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Ausgabe:

1902 Nr. 14

Spalte:

403-405

Autor/Hrsg.:

Jackson, Samuel M.

Titel/Untertitel:

Huldreich Zwingli 1902

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 14.

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wurde, in das Gebiet gewiefen, wohin es gehört. (Es
heifst, dafs ihm dies bereits fehr übel genommen worden
wäre von Leuten, denen die Aufgabe einer Legende den
Sturz des Chriftenthums bedeutet.) Aber warum geht er
nicht noch einen Schritt weiter, und bezeichnet nicht
manchen kirchlichen Brauch als das Erzeugnifs eines
alten heidnifchen Aberglaubens, der in der Kirche fich
forterhalten, ja man wird fagen dürfen, der in der Kirche
erft neues und ftärkeres Leben bekommen hatte? Es ift
gewifs bezeichnend, dafs er immer und immer wieder
nur auf die üttliche Umwandelung hinweift, die das
Chriftenthum hervorgebracht hätte. Und was die Cultur
anbetrifft, fo fonnt fich Grifar in dem Gedanken, dafs
die Kirche erhalten habe, was von der antiken Cultur
erhalten geblieben ift; — aber welch' elende Trümmer
das waren, fagt er nicht.

Doch brechen wir ab. Auf Einzelheiten einzugehen,
halten wir nicht für nöthig, ebenfo wenig, Fehler, fchiefe
Ausdrücke zu regiftriren oder Beweife dafür zu liefern,
dafs wir Grifar's Schreibweife an vielen Stellen nicht als
gefchmackvoll bezeichnen können; feiten haben wir ein
von den intereffanteften Gegenftänden handelndes Buch
fo unbefriedigt aus der Hand gelegt.

Halle a. S. G. Ficker.

Jackson, Prof. Samuel Macauley, Huldreich Zwingli, the

reformerof German Switzerland, 1484—1531. Together
with an hiftorical survey of Switzerland before the
Reformation, by Prof. John Martin Vincent; and a
chapter on Zwingli's theology by Prof. F. H. Foft er.
New York 1901, G. P. Putnam's Sons. (XVI, 519 S.
m. 32 Abbildgn. u. 1 Karte.) 6 s.

Zwingli, Huldreich, (1484—1531) the reformer of German
Switzerland, Selected works. Translated for the firft
time from the Originals. The German works by Prof.
Lawrence A. McLouth, and the Latin by Henry
Preble and Prof. George W. Gilmore. Edited with
general and special introductions and occasional notes
byProf. Samuel Macauley Jackfon. Philadelphia 1901,
Univerfity of Pensylvania. Sold by Longmans, Green
& Co., New-York. (258 S. 8. m. Bildnis.)

Die Zwingliforfchung ift gegenwärtig aufserordentlich
rege, nicht zum wenigften dank der rührigen Thätigkeit
Egli's, in deffen Hand nach Staehelin's Tode faft alle
Fäden der Zwingli-Arbeit zufammenlaufen. Ein erfreulicher
Beweis, dafs es in der That gelungen ift, neues
Intereffe für Zwingli wach zu rufen, ift die vorliegende
Biographie Jackfon's, Profeffors der Kirchengefchichte in
New York. Sie will den Amerikanern den Schweizer
Reformator nahebringen: my highest ambition is, that
Huldreich Zwingli may win in this way a large numbcr
offriends (2, S. 3). Die fo geftellte Aufgabe ift m. E. vortrefflich
gelöft. Die Biographie ruht auf folider wiffen-
fchaftlicher Grundlage, Verf. ift mit der modernen
fchweizerifchen und deutfchen Zwingliforfchung allenthalben
vertraut bis auf die Kenntnifs der Egli'fchen Zeit-
fchrift Zwingliana, und hat auf einer eingehenden Studienreife
fich an Ort und Stelle in der Schweiz und Deutfch-
land (Marburg vor allem) Informationen geholt. Diefer
Reife entflammen wohl auch die vorzüglichen Photogra-
phieen von den wichtigften Stätten Zwingli'fcher Wirkfam-
keit, die dem Buche beigegeben find. Damit berühre ich
fogleich ein Charakterifticum der Jackfon'fchen Zwingli-
biographie: ihre ungemein praktifche Anlage — echt
amerikanifch. Sie will nichts Neues bieten — könnte es
z. Z. auch kaum — aber fie Hellt das über Zwingli bekannte
Material in fo gefchickter und feffelnder Weife
und zugleich mit Unterftützung der Abbildungen in fo an-
fchaulicher Form dar, dafs auch der mit Zwingli fchon

einigermafsen Vertraute fie nicht ohne Nutzen lefen wird.
Es ift amerikanifch, wenn jedem vorkommenden Orte fo-
fort die Entfernung von der nächften gröfseren Stadt
beigefügt wird, wenn die Gröfsenverhältnifse des Geburtshaufes
Zwingli's genaueftens gebucht werden — aber foll
man das unnützen Ballaft nennen? Wie anmutig weifs
Verf. die fpärlichen Nachrichten über Zwingli's Jugendjahre
zu einem Bilde von Jittle Zwingli' zu verwerthenl
(S. 5iff.). Zahlreiche Briefe und Quellenftücke (in Ueber-
fetzung) find in den Text verwoben, in Facfimile auch
Schriftproben mitgetheilt — kurz, man lernt den ganzen
Zwingli kennen und fchätzen. Und dabei ift Verf. keineswegs
panegyrifcher Verehrer for his hero — das Buch ift
in der Sammlung heroes of the reformation erfchienen —
vielmehr wird die Schranke Zwingli's durchaus anerkannt
und Luther das Seine vollauf gelaffen: Zwingli was jealous
of the claim of chronological antecedence made for Luther.
This was a weakness of a very venial order. The fact
is that neither Luther nor Zwingli was more than a centre
of the reformatory movement, which had been gathering
force, before they were born. Leaders do not create the
movements they head (S. 130). Sehr dankenswerth ift die
Zufammenftellung: on the allusions to Luther in the Zwingli
Correspondence of 1519 (S. 139fr.), wie überhaupt die
Excurfe des Verf.'s fehr lehrreich und praktifch zugleich
find (vgl. z. B. S. ooff.: Excursus on Zwingli's Parents,
Uncles, Brothers and Sisters, oder S. 214fr. die Zufammenftellung
der Aeufserungen Zwingli's über Hutten). Ein
peinlich genaues Regifter ermöglicht die im Buche verborgenen
Schätze fchnell aufzufinden. Ift die Darftellung
im Allgemeinen knapp, fo wird fie fehr eingehend in dem
Capitel: the inner Course of the Zürich Reformation d. h.
beiBefprechung der Auseinanderfetzung Zwingli's mit den
Täufern — begreiflich bei der Bedeutung des Anabaptismus
in Amerika, daher auch die Bemerkung: the modern
Baptists are not responsible for the doings of their religious
forbears.

Der Biographie geht voraus ein Abfchnitt: Switzerland
at the Beginnnig of the sixteenth Century aus der Feder
von Prof. Vincent an der John Hopkins Univerfity; eine
vorzügliche Ueberficht über die politifchen und focialen
Verhältnifse der Schweiz am Vorabende der Reformation.
Auch hier wieder der praktifche Amerikaner: in einem
Abfchnitte: Opinions of Foreigners hören wir eine Reihe
gut ausgewählter Urtheile über die Schweiz, und klar und
knapp ift die Züricher Verfaffung auseinandergefetzt.

Auch das Schlufscapitel: Zwingiis Theology, Phi-
losophy and Ethics flammt nicht vorn Biographen, fondern
von Prof. Frank Hugh Forfter in Oakland (California).
Hier wäre ja gewifs noch manches Neue zu fagen ge-
wefen, namentlich nach der Seite der Wurzeln derZwingli-
fchen Theologie hin, aber Verf. befchränkt fich — und
das war auch für feine Zwecke das Gebotene — auf ein
kurzes Referat über die theologifchen Grundgedanken
Zwingli's, zumeift im Anfchlufse an de vera et falsa
religione. Die bekannten Aeufserungen über die aufser-
chriftliche Seligkeit erklärt Verf. fo: Zwingli in aecordance
with the natural consequences of the emphasis which he
laid lipon the sole causality of God, maintained the freedom
of the Spirit of God in his Converting Operations and ex-
hibited a surprising breadth of view, embracing zvithin
the gracious Operations of God even noted cases of moral
excellence among the heathen, like Socratcs — erfchöpfend
ift das ja nicht, aber fchlechter wie das von Andern bisher
dazu Bemerkte ift es auch nicht. Hier müfste eine
principielle Würdigung der Problemftellungen für Zwingli
einfetzen, doch dazu ift vorliegendem Werke gegenüber
hier kein Anlafs, wie überhaupt mit Abficht auf kleine
Ausftellungen verzichtet wurde (vgl. zu S. 171 Anm. über
Lambert, S. 387 zu Zwingli's Kirchenbegriff). Das Buch
mufs als Gefammtleiftung beurtheilt werden, und von da
aus kann das Urtheil nur ein gutes fein.

Schon der Biographie ift als Appendix Zwingli's