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Ausgabe:

1902 Nr. 13

Spalte:

384-386

Autor/Hrsg.:

Naville, Ernest

Titel/Untertitel:

Das Glaubensbekenntnis der Christen 1902

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 13.

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es bei den Apofteln nicht. Ift des Vaters Wille und
That erkannt, ift Sinn und Werk der Gottheit klar.
Dafs aber Jefus nur paffiv am Werke Gottes betheiligt
fei und als erfter Empfänger der Gnade in untere Reihe
trete, das war innerhalb des apoftolifchen Wortes durch
den Chriftnamen Jefu ein für allemal ausgefchloffen. Denn
mit diefem war er nicht als Empfänger, fondern als
Geber der Gnade und Wirker des göttlichen Willens be- j
zeugt' (37).— Im dritten Kapitel geht Sch. auf die Grafs'fche
Frageftellung in der Weife ein, dafs ihm die Gefahr
drohte, felber ein Opfer der fcholaftifchen Methode zu
werden, die er bei feinem Vorgänger aufs Rühmlichfte
zu bekämpfen fucht: ,Das Verhältnifs der apoftolifchen
Sätze zu den kirchlichen Formeln (37—48) —
unter diefem Titel fetzt der Verf. die apoftolifchen Aus-
fagen zu den drei Formeln in Beziehung, die Grafs aus
der kirchlichen Lehrarbeit herausgehoben hatte, und die
durch die Namen Origenes, Anfelmus, des Heidelberger
Katechismus bezeichnet werden. Sch. fucht nachzu-
weifen, dafs diefe apoftolifchen Ausfagen zu den drei
Formeln Parallelen bieten. ,Die apoftolifche Kreuzeslehre
leitet uns nicht zu einer Wahl zwifchen den kirchlichen
Formeln, fondern zu einer Reinigung, Durchbildung
und Vereinigung derfelben an' (48). Es mufs anerkannt
werden, dafs Sch, bei diefem durch Gr. eingeleiteten
Verfahren einer Vergleichung zwifchen dem ,apoftolifchen
Wort' und den kirchlichen Formeln, durch gefunde, metho-
dologifch unanfechtbare Grundfätze geleitet wird. ,Unfere
griechifch gefchulten Alten haben kühn und offen, manchmal
naiv fpeculirt. . . Sie fragen alle, wie übrigens auch
Grafs: warum mufste Jefus Gottmenfch fein, da die
Wahrnehmung, dafs er es ift, weit hinter dem Erkenntnifs-
ziele zurückbleibe, das erft dann erreicht fei, wenn fich das
Sein für unfer Auge ins Seinmüffen erhoben habe. Diefe
von oben nach unten verlaufenden Schlüfse, die im ewigen
Willen Gottes beginnen, um dort das Gefchehene in feiner
Wurzel zu faffen, und im Jenfeits ihren Standort zu
nehmen, um von dort aus das Diesfeits zu fehen, find
das ausfchliefsliche Eigenthum unferer Alten, und weder
in Jefu Wort zurückzutragen, das fich von folchen lediglich
der Erkenntnifs dienenden Beftrebungen fern gehalten
hat, noch in den lehrhaften Ausfagen der apoftolifchen
Documente enthalten, die nie den Blick von Gottes vollbrachter
That wegziehen, noch auch für uns wiederholbar,
da damit eine für uns vergangene Form der Logik künftlich
confervirt würde. . . Wir haben darum bei den Alten
beftändig die Aufgabe zu löfen, die Subftanz ihres Gedankens
von feiner deductiven Geftaltung und Verun-
ftaltung zu fondern, und ihn, abgefehen von der Form,
in der fie ihn felber haben und geben, nach feiner reellen
Begründetheit zu meffen. Nur in diefer Begrenzung kann j
von „Schriftgemäfsheit" der Betrachtungen des Origenes
und Anfelmus die Rede fein; in diefer Begrenzug mufs
aber ihr Verhältnifs zum Schriftinhalt nothwendig erwogen
werden' (38—39). — ,Die lehrhaften Ausfagen
der Apoftel verweifen uns an die Kreuzesgefchichte.
Durch das, was diefe felbft uns fichtbar macht, ent-
fcheidet es fich, ob und wie uns an Jefu Kreuzesbild
feine Gottheit erkennbar wird' (48). Mit diefem Satze
eröffnet Sch. das vierte Kapitel feiner Schrift: ,Der Heilands
- und Kreuzeswille Jefu (48—69). Die hier
ausgefagte Gleichung begründet der Verf. durch Betrachtungen
, die in das Gebiet der religiöfen Pfychologie
gehören, aber durch die ftets dem Glaubensblicke vergegenwärtigte
jPaffionsgefchichte' normirt fein follen.
Sowohl die Analogie, die Jefu Sterben mit unferem
Sterben verbindet, als auch die mit derfelben zu unlöslicher
Einheit verbundene Befonderheit des Heilandstodes
(62), fucht Sch. zum Ausdrucke zu bringen — ein
Ausdruck, der allerdings in feinem Ringen mit dem
wuchtigen Gegenftande zuweilen fchwerfällig und dunkel
wird. — Von dem gewonnenen Ergebnifse aus blickt
Sch. wieder auf die drei Gruppen von Formeln zurück,

deren Wahrheitswerth er zu prüfen unternimmt, (V. Das
Verhältnifs der kirchlichen Formeln zurPaffions-
gefchichte, 69—83): er verfucht es, aus der ,neutefta-
mentlichen Kreuzeslehre' (81) die Momente zu ermitteln,
die in den kirchlichen Formeln in abgeftufter Weife zu ihrem
Rechte gelangt find, und kommt auch hier zu dem früher
bereits erzielten Schlüfse, dafs der Gehalt der drei be-
rückfichtigten Lehrformen durch die biblifchen Gedanken
erft zu feiner Einheitlichkeit und Wahrheit gebracht, von
den ihnen anhaftenden Einfeitigkeiten und Unrichtigkeiten
gereinigt werden kann. — Das Schlufskapitel (VI. 83—90)
handelt von der ,Heilandsmacht des Gekreuzigten'.
,Unfer Auf blick zu Gott entlieht durch die Verkündigung
der Kreuzesthat. . . Was wir Göttliches befitzen, der
Aufblick zu Gott, den wir haben, der Geift, in dem wir
I beten und lieben, wird uns durch das den Gekreuzigten
verkündigende Wort zu Theil. Darin wird die Gottes-
I macht des Kreuzes, damit aber auch das Gottfein des
Gekreuzigten, in einer alle Zeiten durchftrahlenden Bezeugung
offenbar' (90).

Ref. gefleht, dafs er die Schrift Sch.'s mit fehr ge-
mifchten Gefühlen gelefen hat. Der religiöfen Kraft, die
in diefen Seiten athmet und die noch ungehemmter zur
Geltung käme, wenn die Auseinanderfetzung mit Grafs
nicht immer wieder die pofitive Entwickelung Hörend
durchkreuzen würde, wird fich kein Lefer entziehen
können. Auch aus der Beurtheilung der religiöfen Motive
der kirchlichen Formeln wird er manche Förderung
und Anregung gewinnen. Dagegen erweckt der die ganze
Darfteilung beherrfchende Biblicismus desVerf.s, der mit
der ,Leidensgefchichte' als mit einer zu einem allgemeinen
Kanon verdichteten maffiven Gröfse operirt, ein Gefühl des
I Mifsbehagens und der Unficherheit, welches den Werth
feiner dogmatifchen Ausführungen aufs Bedenklichfte beeinträchtigt
und die Wirkung auch feiner beften Gedanken
zu fchwächen droht.

Strafsburg i. E. P. Lob Hein.

Naville, Emeft, Das Glaubensbekenntnis der Christen. (Le

Credo des Chrctiens.) Eine religiöfe Betrachtung. Au-
torifirte Ueberfetzung von Sid. Gieferer. Stuttgart 1902,
M. Kielmann. (V, 88 S. gr. 8.) M. 1.—, geb. M. 1.80

Diefe Arbeit des auch unter uns bekannten und
hochgefchätzten Philofophen will keine hiftorifche Unter-
fuchung fein, die über Urfprung und Einführung des
Apoftolicums irgend welchen Auffchlufs giebt, auch keine
theologifche Abhandlung, welche über den dogmatifchen
Inhalt und Werth der einzelnen Glanbensartikel fich aus-
läfst; fie hat vielmehr ,den Zweck zu zeigen, welchen
Gebrauch man von der alten Formel des chriftlichen
Glaubens machen kann, indem man fie als Mittel zur
Entwickelung der Frömmigkeit betrachtet'. (S. 87). Als
,Hülfsmittel zur Frömmigkeit' ift die Schrift zugleich als
Förderungsmittel zur Einheit und Zufammengehörigkeit
aller Chriften gemeint. ,Bildet doch das apoftolifche
Glaubensbekenntnifs einen Theil des Gottesdienftes in
allen Kirchen des Occidents und ift es in allem, was die
Hauptfache anlangt, ebenfo im Credo der Kirchen des
Orients enthalten' (S. 4). Im Geifte milder Irenik, die
überall das Einigende hervorhebt und die Unterfchei-
dungslehren zurücktreten läfst, giebt der Verfaffer eine
an biblifche Ausdrücke und Anfchauungen fich anlehnende
, religiöfe Paraphrafe der einzelnen Stücke des
Bekenntnifses. Diefelbe ift möglichft allgemein gehalten,
fo dafs die Grundgedanken aller chriftlichen Confeffionen
übereinzuftimmen fcheinen. In diefem Beftreben, das
Glaubensbekenntnifs in einer Weife auszulegen, die zu
einer religiöfen Weiterbildung feiner Lefer beitragen und
die, wenn auch nicht im Einzelnen, fo doch in den religiöfen
Theilen, den Anhängern der verfchiedenen chriftlichen
Kirchen annehmbar fcheinen könnte', hat der Verf. ,fein