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Ausgabe:

1902 Nr. 13

Spalte:

379-380

Autor/Hrsg.:

Wiegand, Friedrich

Titel/Untertitel:

Agobard von Lyon und die Judenfrage 1902

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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379

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 13.

380

der genuinen Gedanken Auguftin's mit den weltgeichicht-
lichen Ideen des Papftthums wird gar nicht verfucht. Nur
jede Identification der civitas Dei Auguftin's mit der Kirche
und jede -ftaatsfeindliche Tendenz feiner Ideen lehnt H.
ab. Dann kommt er wieder auf die Schilderung der Zeit-
ereignifse zurück. Zuletzt läfst H., um die Darfteilung ab-
zufchliefsen, den Auguftin gleichfam in einer traumhaften
Vifion die Dinge fehen, die feinem Tode im Römerreiche
folgten bis zum völligen Untergange des Reiches. So
fchön diefer Schlufs gefchrieben ift, fo wünfcht man ihn
doch ergänzt durch einen anderen Ausblick. Die grofse
Bedeutung Auguftin's in der Gefchichte der Kirche wird
zwar von H. mehrfach gewürdigt, aber zuletzt fehlt der
Hinweis auf die gewaltige und vielfeitige Wirkfamkeit,
die Auguftin noch Jahrhunderte lang durch feine Schriften
ausgeübt hat. Freilich hätte das den Verf. vielen kritifchen
Problemen allzu nahe geführt und ihm die Rückfichten
erfchwert, die er zu nehmen hatte.

Das Buch will fchliefslich feinem Zwecke gemäfs
beurtheilt werden. Eine kurze Charakterfkizze eines
folch' gewaltigen Mannes kann nicht Alles bieten und
der Verf. hatte wohl oder übel manche Rückficht zu
nehmen. Seine milde und irenifche Auffaffung tritt wohl-
thuend hervor, und es darf in einer Zeit, in der jede
fachliche Gefchichtsdarftellung innerhalb der katholifchen
Kirche auf Angriffe feitens der ultramontan-jefuitifchen
Majorität zu rechnen hat, mit PTeuden begrüfst werden,
wenn sine ira et studio ein Bild eines grofsen Mannes
aus der Vergangenheit der Kirche gezeichnet wird, auf
den beide Confeffionen des Abendlandes gleiches Anrecht
haben.

Deyelsdorf. Lic. Ed. von der Goltz.

Wieg and, Prof. Dr. Friedrich, Agobard von Lyon und die

Judenfrage. Sonderabdruck aus der Feftfchrift der
Univerfität Erlangen zur Feier des achtzigften Geburtstages
S. königlichen Hoheit des Prinzregenten
Luitpold von Bayern. Erlangen u. Leipzig 1901,
A. Deichert Nachf. (32 S. Lex. 8.) M. 1.—

Da Referent in diefer Abhandlung im Wefentlichen
nichts Unrichtiges zu entdecken vermocht, auch nichts
hinzuzufügen hat, fo begnügt er fich mit einer Angabe
ihres Inhaltes.

Wiegand erklärt, wie Agobard zu feinem fchroffen
Antifemitismus gekommen ift. Dem claffifchen Lande für
religiöfen Fanatismus und maafslofen Judenhafs, Spanien,')
entflammend, fand er doch auch in Burgund Veranlaffung
genug, ein Gegner der Juden zu bleiben. In Burgund
gab es fchon feit dem 6. Jh. die ausgeprägteften Anti-
femiten. Die Kirche erkannte, da das fränkifche Volk
noch nicht zu dem lebendigen Befitze des Chriftenthums
gekommen war, es als ihre Pflicht, den Einwirkungen des
geiftig und focial überlegenen oder wenigftens fich fo
gerirenden Judenthums zu begegnen. Wegen des wach-
fenden Vertrauens zu der chriftlichen Sache verfchwindet
feit der Mitte des 7. Jh. die Judenfrage von fränkifchen
Synoden, und unter Karls des Grofsen, allem Menfch-
lichen gewachfenen Regiment, hätte weder der Jude be-
fondere Rechte für fich in Anfpruch zu nehmen gewagt,
noch die Kirche es für nöthig befunden, den principiellen
Gegenfatz gegen das Judenthum befonders hervorzukehren
. Anders wurde es unter Ludwigs des Frommen
principlofer Regierung. Die Begünftigung der Juden bei I
Hofe und ihre Arroganz geben den Anlafs, dafs ,ein geringfügiges
Problem den Charakter einer Principienfrage
annahm' (S. 14). Die Schutzbriefe Ludwigs, die die chrift-
liche Propaganda unter Sklaven, die einzelnen Juden ge-

1) Freilich darf man fich nicht auf Monumenta Gtrmaniae, Scriptares
I, S. HO zum Jahre 782, für die fpanifche Herkunft Agobard's berufen,
und die von Simfon, Jahrbücher des fränkifchen Reichs unter Ludwig
d. Fr. I, S. 47 angeführten Worte laffen eine andere Deutung zu.

hörten, verboten, und die Taufe diefer Sklaven von der
Erlaubnifs ihres Herrn abhängig machten, erfchienen
Agobard als ein Eingriff in die Rechte der Kirche und
als eine Verhinderung an ihrer Pflicht, fich der Niedrigen
anzunehmen. Mag Agobard zu weit gegangen fein, indem
er aus dem Kampfe gegen vereinzelte kaiferliche Maafs-
regeln einen Kampf gegen ein Princip machte, fo waren
doch auch die kaiferlichen Maafsnahmen widerfinnig und
ungerecht, da fie ausfchliefslich das materielleIntereffe der
jüdifchen Herren berückfichtigten. In dem Conflicte, der
fich in den Jahren 824—828 abfpielte, unterlag zwar
Agobard; aber die Politik der Kirche den Juden gegenüber
im weiteren Verlaufe des Mittelalters fchlug den Weg
ein, den er vorgezeichnet hatte, und hier kommt die klerikale
Uebertreibung und Maafslofigkeit zum Ausdrucke.

Es wäre wohl angebracht gewefen, der Frage etwas
weiter nachzugehen, wie die Juden in die begünftigte
Stellung am Hofe Ludwigs des Frommen gekommen find.

Halle a. S. G. F ick er.

Boerger, Dr. Robert, Die Belehnungen der deutschen geistlichen
Fürsten. (Leipziger Studien aus dem Gebiete
der Gefchichte. VIII. Band, 1. Heft.) Leipzig 1901,
B. G. Teubner. (VIII, 152 S. gr. 8.) M. 4.80

Der Verfaffer beginnt mit einer allgemeinen Erörterung
des Begriffes ,Belehnung' und einer kurzen Betrachtung
über die Belehnungsfymbole, für die überdies
aufser Du Cange Grimm's Rechtsalterthümer
zu berückfichtigen gewefen wären. Dann befpricht er
den Unterfchied zwifchen Szepter- und Fahnlehen nach
der Lehre der Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts. Er
ftellt feft: 1. der Sachfenfpiegel betrachtet die geift-
lichen Fürftenlehen nicht, wie Homeyer meinte, als eine
species des genus Fahnlehen, fondern als ein befonderes,
von den Fahnlehen verfchiedenes genus von Lehen.
2. Dies befondere genus ift nach dem Schwabenfpiegel
als Szepterlehen zu bezeichnen. 3. Diefer Unterfchied
fchliefst nicht aus, dafs geiftliche Fürften neben ihren
Szepterlehen weltliche Fahnlehen erhalten. Im zweiten
Capitel wird dargelegt, dafs die Lehre der Rechtsbücher
dem Rechtsbrauche ihrer Zeit entfpricht. Seit 1122
empfangen die geiftlichen Fürften die Inveftitur mit den
Regalien in der That vermitteln: des Szepters, während
die Belehnung mit weltlichen Lehen durch Uebergabe
einer oder mehrerer Fahnen erfolgt. Geiftliche Fürften,
die aufser ihrem Szepterlehen ein weltliches Lehen vom
Reiche haben, wie die Erzbifchöfe von Cöln und Magdeburg
, der Bifchof von Würzburg, werden demgemäfs auch
vermitteln der Fahne belehnt. In einem dritten Capitel
unterfucht der Verf. dann das Lehnsverhältnifs der geiftlichen
Fürften. Er zeigt, dafs der folenne Ausdruck
feodum im 12. Jahrhundert noch nicht auf die Szepterlehen
der geiftlichen Fürften angewandt worden ift, dafs die
fürftlichen Rechte derfelben vielmehr confequent regalia
genannt wurden. Daraus fchliefst er im Gegenfatze
gegen die herrfchende, von Ficker aufgehellte Theorie,
dafs die Unterwerfung der geiftlichen Fürften unter das
Lehnsrecht nicht fchon von Friedrich I. bewirkt worden
fei, fondern fich ganz allmählich im Laufe des 12. Jahrhunderts
vollzogen habe, aber erft zu Beginn des 13. Jahrhunderts
fich ficher nachweifen laffe.

Die folgenden Capitel find faft nur für den Antiquar,
nicht für den Hiftoriker von Intereffe. Denn der Verf.
befchäftigt fich in ihnen nur mit der Gefchichte der
Belehnungsformalitäten vom 13. Jahrhundert bis zum
Untergange des heiligen römifchen Reiches. Bemerkenswerth
ift nur der Nachweis, dafs feit dem 14. Jahrhundert
bei dem Belehnungsacte zwifchen geiftlichen und weltlichen
Fürften kein Unterfchied mehr gemacht wird, und
dafs fich in der äufseren Form des Actes deutlich die
Macht des Reiches fpiegelt.