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Ausgabe:

1902 Nr. 13

Spalte:

377

Autor/Hrsg.:

Gruber, Anton

Titel/Untertitel:

Studien zu Pacianus von Barcelona 1902

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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377

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 13.

3/8

Gruber, Anton, Studien zu Pacianus von Barcelona. Diff.
München 1901, Druck von G. Schuh & Co. (61 S. 8.)

Die vorliegende Differtation ift ein erfreuliches Zeichen
dafür, dafs die Arbeit der Philologen fich mehr und mehr
chriftlichen Schriftftellern zuwendet. Gruber behandelt
zunächft das Leben des Bifchofs, vorfichtig die wenigen
Angaben verwerthend, die wir darüber haben; er führt,
öfter nur Nachträge zu früheren Arbeiten gebend, die
Quellen auf, die er in feinen Schriften benutzt hat. Der
zweite Theil bringt meiftens gute Emendationen zu dem
Texte von Peyrot's Ausgabe (Zwolle 1896); Gr. fchliefst
fich, was durchaus zu loben ift, foviel als möglich den von
den Handfchriften überlieferten Worten an. Der dritte
Theil ift der Sprache Pacian's gewidmet. Gr. ftellt hier
unter geeigneten Rubriken die Worte und Wendungen
zufammen, die für die Würdigung der Latinität Pacian's
wichtig find.

So willkommen derartige Arbeiten find, fo halte ich
es doch für ein Unrecht, dafs dem Gedankengehalte
der Schriften keine Aufmerkfamkeit zugewendet wird.
Wort und Gedanke bedingen fich gegenfeitig; ich kann
mir nicht denken, dafs Gr. die Gedanken Pacian's nicht
beffer kennen gelernt hat, als jeder andere; es ift dann
eine verhältnifsmäfsig geringe Mühe, dem Gedankenkreife
des Autors feine hiftorifche Stellung anzuweifen. —
Den Beleg für das hohe Alter des fog. Hymnus Ambrosianus
S. 8 kann ich nicht gelten laffen. Die Worte, die
in Betracht kommen, laffen fich auf 1. Cor. 1555 zurückführen
. — Bei der Aufweifung der Quellen vermiffe ich
eine Angabe über die Herkunft der Ketzernamen, die
fich in Pacian's Schriften finden.

Halle a. S. G. Ficker.

Hertling, Georg Freiherr von, Augustin. Der Untergang der
antiken Kultur. Mit einer Kunftbeilage in Farbendruck
und 50 Abbildungen. (Weltgefchichte in Karakterbildern,
herausgegeben von Franz Kampers, Sebaftian Merkle
und Martin Spahn. I.Abteilung. Altertum.) Mainz 1902,
F. Kirchheim. (II, Iii S. Lex. 8.) Geb. M. 3.—

Unter den Mitarbeitern der Serie weltgefchichtlicher
Charakterbilder, die neuerdings von namhaften katholi-
fchen Gelehrten herausgegeben wird, ift der Reichstagsab-
geordneteProfeffor Frh.von Hertling jedenfalls einer der Be-
kannteften. Schon um feiner Perfon willen wird Jeder feiner
Monographie über Auguftin ein lebhaftesIntereffeentgegenbringen
. Wer in derfelben fucht, was fie geben will, eine
für weitere Kreife verftändliche Charakterfkizze des grofsen
Mannes und der Zeit, in der er lebte, ausgeführt in fchöner
edler Sprache, wird fich nicht enttäufcht fühlen. Auch
die äufsere Ausftattung des Heftes und fein Bilder-
fchmuck, der freilich oft nur in fehr lofer Beziehung
zum Texte fteht, wird Wohlgefallen erregen.

Eine ruhige und vornehme Sachlichkeit beherrfcht
die ganze Darfteilung. Man wird es auch dankbar be-
grüfsen, dafs der Verf. fich bemüht hat, zugleich
ein anfchauliches Culturbild zu geben. Ueberall greift
er auf die Zeitereignifse zurück und fkizzirt dem Lefer
ihren Verlauf. Er läfst uns theilnehmen an dem hohen
Reize der Bekenntnifse Auguftin's, der darin liegt, dafs
wir nicht nur einen tiefen Blick thun in die Entwickelung
feines Innenlebens, fondern auch mitten hineingeführt
werden in das concrete Leben des Tages in jener Zeit.
Gerade einzelne culturgefchichtliche Bilder gehören zu
dem Schönften in der Hertling'fchen Darfteilung. Nur
das dramatifche Moment in der Lebensentwickelung' des
Kirchenvaters tritt zu fehr zurück. Die Darfteilung bleibt
immer bis zu einem gewiffen Grade auf der Oberfläche.
Der Lefer gewinnt nicht den Eindruck von der tiefgehenden
Gewalt der inneren Kämpfe Auguftin's. Das
Ringen feiner Seele ift zwar gefchildert, aber es nimmt I

fich bei Hertling zu fehr aus wie eine ruhige Abwechfelung
verfchiedener Stadien. Der ftille Einflufs der chriftlichen
Mutter, die Lebhaftigkeit feiner Begeifterung für Cicero,
fein Irrewerden am Manichäismus fowie fein ruhelofer Skep-
ticismus unter demEinflufseder Akademiker find zwar nicht
ignorirt — aber die Farben find nicht deutlich genug. Es
fehlt diefem erften Abfchnitte, der ,Auguftin's Geiftesgang
bis zu feiner Bekehrung' darftellt, die dramatifche Kraft.
Weder die Unruhe feiner Seele noch der Frieden und
die Ruhe, die er durch feine Bekehrung fand, find dem
Lefer in ihrer urfprünglichen Intenfivität nahe gebracht.
So Recht auch der Verf. hat, wenn er die Härte der
auguftinifchen Selbftbeurtheilung abmildert, fo hätten
doch die inneren Kämpfe des grofsen Mannes viel lebhafter
dargeftellt werden können und es wäre noch kein
Schade gewefen, wenn die allgemeinen Zeitfchilderungen
deshalb etwas hätten gekürzt werden müffen.

Im zweiten Abfchnitte, in dem: ,die Zeit der Vorbereitung
. Auguftin's Philofophie' zur Darfteilung kommt,
läfst die Hertling'fche Darftellung nichts vermiffen. Der
Gegenftand felbft liegt auf ruhigem und neutralem Gebiete
und die fchöne und klare Entfaltung der auguftinifchen
Hauptgedanken, befonders feiner fo bedeutungsvollen
Pfychologie giebt die harmonifche innerlich gefertigte
Stimmung wieder, die in folchen Partien der
Auguftinifchen Schriften felbft liegt.

Am Schwierigften mufste es dem Verf. werden, der
Forderung einer ,knappen und rein fachlichen' Darfteilung
nachzukommen in dem dritten Abfchnitte, der Auguftin
als Lehrer und Vertheidiger des katholifchen Dogmas
darfteilt. Soweit hier die Zeitereignifse gefchildert find,
wird fich Jeder befriedigt fühlen und man kann nur
fragen, ob diefem Gegenftande bei der Befchränkung
des Raumes nicht zu viel Platz eingeräumt ift in Anbetracht
des Umftandes, dafs Auguftin felbft an ihnen
nur fehr geringen Antheil hatte. Die Darftellung der
kirchlichen Kämpfe felbft aber führte den Verf. zu fehr
kitzlichen Problemen. Am Unbefangenften konnte die
Polemik gegen den Manichäismus zum Ausdrucke
kommen. Verhältnifsmäfsig ausführlich ift auch die Be-
fchreibung des donatiftifchen Kampfes. Man kann H.
nur Recht geben, wenn er hier milde und befonnen die
Anrufung der Staatsgewalt aus den Zeitverhältnifsen erklärt
, und man wird fich freuen aus dem Munde des
katholifchen Politikers zu hören, dafs er die Anwendung
der Auguftinifchen Grundfätze losgelöft aus den damaligen
Zeitverhältnifsen nicht billigt (vgl. S. 80). Eins aber mufs
man auch in diefer Schilderung des Donatismus vermiffen.
Es wird dem Lefer nicht klar, welches gewaltige kirchliche
Princip hier im Kampfe mit der Weltkirche lag,
und was die Kirche, wenn auch aus erklärlichen Gründen
damit aufgab, dafs fie auf die perfönliche Heiligkeit der
Amtsträger verzichtete.

Ganz ungenügend ift die Darftellung des Kampfes
gegen Pelagius; die gewaltige Kraft und Härte der
Auguftinifchen Sünden- und Gnadenlehre wird nicht
fühlbar. Seine Prädeftinationslehre ift kaum geftreift und
es entfteht der irrthümliche Eindruck, als ob die Lehre
der fpäteren katholifchen Kirche und die des Auguftinus
fich vollkommen deckten. Der Semipelagianismus erhielt
fich nicht nur noch längere Zeit in Gallien und
Britannien, fondern hat einen nachhaltigen Einflufs auf
die fanctionirte katholifche Lehre erhalten. Der ganze und
volle Auguftin hat nie in ihr unbefchränkt gelten dürfen.

Das letzte Capitel trägt die Ueberfchrift: ,Das Ende
des Heidenthums und der Untergang des weftrömifchen
Reiches. Auguftin's Werk vom Gottesftaat'. Diefen Worten
entfprechend nimmt die Schilderung der Zeitereignifse
den breiteften Raum ein. Von dem gewaltigen Ideenaufbau
der Gefchichtsphilofophie Auguftin's in dem
Werke vom Gottesftaate giebt H. nur ein flüchtiges Bild.
Seine Grundanfchauung von der civitas Der wird nur
kurz fkizzirt und eine gründlichere Auseinanderfetzung