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Ausgabe:

1902 Nr. 13

Spalte:

374-376

Autor/Hrsg.:

Mercati, Giovanni

Titel/Untertitel:

Antiche Reliquie Liturgiche Ambrosiane e Romane 1902

Rezensent:

Harnack, Adolf

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373

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 13.

374

Der hiermit berührten Eigenart der Stellung, welche das j
fragliche Begriffspaar in der johanneifchen Gedankenwelt
einnimmt, ift ein zufammenfaffender Rückblick gewidmet,
welcher unter Anderem den nicht ausfchliefslich eschato-
logifch gerichteten Begriff des ,ewigen Lebens', wie er
nur im Evangelium und Brief des Johannes vorkommt,
mit der Neuerung in Verbindung bringt, dafs hier nicht
erft der gen Himmel erhöhte Chriftus, fondern fchon der
auf Erden wandelnde feine vorzeitliche Wirkung als Lebensund
Lichtquelle fortfetzt (S. 321 f.). Nach Abfchlufs
diefer, den breiteften Raum diefes erften Bandes einnehmenden
,biblifch-theologifchen Monographie überLeben
und Licht tritt der Verf. an den entfeheidenden Gedanken,
die eigentliche Neufchöpfung des johanneifchen Prologes,
an die Lehre von der Fleifchwerdung des Logos und damit
an den Punkt heran, wo jede philonifche Analogie aufhört
CS. 328f.), aber auch die fynoptifchen Geburtsgefchichten
Ablehnung erfahren (S. 33of.). ,So gewifs der Logos, von
dem die Fleifchwerdung ausgefagt wird, kein anderer fein
kann, als das abfolute Perfonwefen, das gleich im Beginn
des Prologes als &tog bezeichnet ift, fo gewifs mufs er
vom Evangeliften bei der Sarkofe entgegen der völligen
Paffivität des Gezeugtwerdens activ gedacht fein' (S. 334).
Schon von den Prämifsen der paulinifchen Chriftologie aus
wird man demfelben Refultat entgegen getrieben (S. 337).
Unferem Verf. zufolge liegt beiden Lehrbildungen die
gemeinfame Vorausfetzung zu Grunde, ,dafs das wirkliche
und wahrhaftige Menfchenkind Jefus von den erften
Anfängen feines Dafeins und feiner Entwicklung an mit
dem präexiftenten himmlifchenPerfonwefen fo innig vereint
worden ift, dafs alle menfehlichen Bewufstfeinskräfte
(paulinifch ausgedrückt: ipvyrj und vovq insgefammt) andauernd
in die Herrfchaft des rein pneumatifch-perfön-
lichen jenfeitigen Princips gebracht, ihm dienftbar gemacht
wurden und folcherweife das letztere die Bedeutung des
eigentlich perfonbildenden höheren Wefensfactors in Jefus
erhielt' (S. 338). Die Undenkbarkeit einer folchen Zwei-
perfönlichkeit fleht ihrem wiederholten Vorkommen in der
Religionsgefchichte nicht im Wege, wobei eine unmittelbare
und vollftändige Einigung einer göttlichen Perfon
mit einem Menfchen in der Weife vorgeftellt wird, dafs
das Bewufstfein des Letzteren im Bewufstfein der Erfteren
aufgeht (S. 345). Zwar nicht im Umkreis des fogenannten
Alterthums läfst fich dies nachweifen, wohl aber hat eine
unleugbare Aehnlichkeit der johanneifchenIncarnationsidee
mit dem indifchen Avatarafyftem ftatt (S. 344 f.), und zwar
um fo mehr, als beiderfeits die Vorftellung des Menfchen-
fohnes (vgl. S. 348 k über den Narayana) hereingezogen
erfcheint, die ihrerfeits Aufmerkfamkeit und Spürfmn
unferes Verf.'s noch einmal auf die Gnofis lenkt (S. 353 k).
Auch hier trifft man wieder eine Gelehrfamkeit an, die auf
allen Gebieten in gleicher Weife zu Haufe ift und fich
fchliefslich auch noch in dem anhangsweife beigefügten
Verfuch einer Erklärung der Namen Abraxas, Barkabbas
und Barbelo nach indifchen Analogien kundgibt (S. 385k).
Man hat zuweilen das Gefühl, den Verf. hier bei aller
Vorficht und Zurückhaltung auf gewagteren Gängen
begriffen zu fehn. Glücklicher Weife finden wir uns aber
doch am letzten Ende dahin verbefchieden, dafs eine
wirkliche Erklärung der dem vierten Evangeliften eigen-
thümlichen Ideen von Fleifchwerdung und Menfchenfohn
aus den Berührungen feines theologifchen Denkens mit
fremden Gedankenkreifen nicht zu gewinnen fei (S. 357).
Durchfchlagend wirkt vielmehr die eigenfte Speculation
oder vielmehr religiöfe Intuition, welcher zufolge der
monotheiftifche Gottesgedanke durch eine uranfängliche
Dualität modificirt und dadurch auf den ,höchft möglichen
Grad von Lebendigkeit'gebracht worden fein foll(S. 175.358),
während zugleich durch Hereinziehung des Menfchenfohn-
gedankens die ftarre Transcendenz überwunden und mit
iolcher Einführung des Momentes der Menfchenähnlich-
keit in die Idee Gottes fogar erft die nothwendige Vorausfetzung
für die Incarnation gefchaffen wurde (S. 359).

Unter diefer Vorausfetzung würde alfo der johanneifche
Menfchenfohn, in welchem wir fonft nur eine etwas
unficher und fchwankend gehaltene Verwendung des
fynoptifchen terminus erkennen konnten, vielmehr berufen
fein, den paulinifchen Himmelsmenfchen zu erfetzen, nur
dafs zugleich die Logosidee (,Gott bei Gott') aus dem
Zwifchenwefen ein ,Gottwefen' werden läfst (S. 175. 358):
eine mehr überrafchende, als durchweg überzeugungskräftige
Zurechtlegung der johanneifchen Gedankenwelt!
Doch müffen wir den zweiten Band abwarten, um uns der
Tragweite, welche der Verf. diefer Ideenaffociation bei-
mifst, und damit auch des richtigen Verftändnifses derfelben
zu verfichern.

Unterzeichneter kann die Befprechung des vorliegenden
Werkes nicht fchliefsen, ohne feiner freudigen Genug-
thuung darüber Ausdruck zu geben, darin einer weitgehenden
Uebereinftimmung mit den in feiner ,Neuteftament-
lichen Theologie' und im ,Hand-Commentar' niedergelegten
Ergebnifsen begegnet zu fein. Für ausdrücklich (S. 218 k
221.370) oder ftillfchweigend (z. B. 5.46k 73 k) angebrachte
Correcturen kann ich nur dankbar fein und werde es an
nachgehender Erwägung nicht fehlen laffen. Auch fonft
ift dem Verf. die fein Thema betreffende neuere exegetifche
und kritifche Literatur wohl bekannt. Selbftverftändlich
berührt er fich viel mit Weizfäcker, deffen Andenken das
Werk gewidmet ift, und mit Pfleiderer, welcher fofort in
eine, mannigfache Differenzen aufweifende, Auseinander-
fetzung mit dem Verf. eingetreten ift (Proteftantifch
Monatshefte 1902, S. 65 k), wie es diefer vielfach
gegenüber der Monographie E. v. Schrenck's über den
Begriff des Lebens (vgl. Th. Lztg. 1899, S. 10k) thut.
Kreyenbühl's Werk (vgl. Th. Lztg. 1902, S. 6k) ift ihm
offenbar erft kurz vor Thorfchlufs zur Hand gekommen
(citirt nur S. 374, vgl. jedoch S. 346. 362). Gemein hat
er mit ihm die Richtung der Unterfuchung auf die Gnofis.
Die überaus fcharffinnig verfolgten Spuren, welche irgendwie
, fei es anfchliefsend, fei es abwehrend, dahin weifen,
bilden neben den gründlichen Erörterungen biblifch-
theologifcher Art den werthvollften Gehalt des vorliegenden
Werkes. Refultate betreffend kann man jetzt
fchon vermuthen, dafs die reichere Entfaltung der Gnofis,
die das vierte Evangelium vorausfetzt, ein verhältnifs-
mäfsig fpäte Datirung bedingen mufs (S. 91. 200k 231.384).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Mercati, Giovanni, Antiche Reliquie Liturgiche Ambrosiane
e Romane con un excursus sui frammenti dogmatici
Ariani del Mai. (Studi et Testi 7.) Roma 1901,
Tipografia Vaticana. (79 S. gr. 8.)

Diefes Heft der vaticanifchen ,Studien und Texte'
enthält 1. einen bisher unbekannten ,Ordo Ambrosiaiuts
ad consecrandam ecclesiam et altaricc (Codex v. Lucca,
saec. IX.) nebft einem Anhange über einen irländifchen
Tractat ähnlichen Inhaltes, 2. eine Abhandlung JFram-
menti liturgici apparentati col sacramentario Leoniand,
3. liturgifche Fragmente eines anonymen Arianers aus
der Zeit um 400 nebft einer Unterfuchung über die
von Mai publicirten arianifchen dogmatifchen Tractate,
endlich eine Notiz über den Urfprung der gallifchen
Liturgie. Die mit bekannter Zuverläffigkeit und Gelehrfamkeit
geführten Unterfuchungen bieten den Fachgelehrten
— aber wie viele Liturgiker vom Fach giebt es
unter uns? — manches Werthvolle; weitere Kreife wird
man für fie nicht intereffiren können. Aber das Heft
enthält auch ein Stück, das für jeden Hiftoriker von Werth
ift. In den arianifchen dogmatifchen Tractaten Mai's, die
Mercati unterfucht hat, fteht ein Conftantin-Citat, dem
man bisher kaum Beachtung gefchenkt hat. Mercati
zeigt, dafs Mai es falfch abgegrenzt hat und dafs es
vier Mal länger ift. Es lautet mit den Verbefferungen
Mercati's: ,Hoc ins divinum, has scripturas sanetas defen-
dit Constantinus senior dicens: „Licet me sublimissimum