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Ausgabe:

1902 Nr. 1

Spalte:

11-16

Autor/Hrsg.:

Clemen, Carl

Titel/Untertitel:

„Niedergefahren zu den Toten“ 1902

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Ii Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 1. 12

Verfchiebung der Texte betheiligt fich der Verf. grund-
fätzlich niclit; dafür greift er, wo Incongruenzen ihn in's
Gedränge bringen, um fo zuverfichtlicher zur Annahme
kirchlicher Interpolationen (S. 127. 153. 16b f. 354. 369.
372 h 409. 563. 579. 625. 644. 667. 710). Die Auslegung ift
überall da im Vortheil, wo es (ich um Herausfteilung des
myftifchen Elementes handelt. Man lieft Bachtenswerthes
über Art und Wefen der Myftik, die der Verf. nicht
hoch genug feiern kann (S. 338 f. 438 f.), daneben aber
doch auch über die Schranken und Mängel, welche von
hier aus der Weltanfchaung und Lebensauffaffung des
Evangeliften erwachfen (S. 532 f. 628 f.). Zeigt fich der j
Verf. hierbei und überhaupt bei feiner ganzen Conftruc-
tion, beifpielsweife gleich bei Zurechtlegung des confufen
Berichtes der Philofophumena über den Simonianismus
(S. 256f.), offenkundig zumeift an der neueren Philofo-
phie orientirt, fo dürfte man auf derjenigen Seite, wo
diefer Vorwurf fich befonders laut machen wird, nicht
vergeffen, wie dafür die herkömmliche Auslegung des
Johannes meift ebenfo einfeitig theologifch bedingt und
nach dem Mafsftabe einer Chriftologie eingerichtet war,
mit welcher das vierte Evangelium in der That oft wenig
genug zu thun hat (S.435 h 493h). Zumal einer capricirten
Zuruckführung der gerammten johanneifchen Gedanken- 1
weit auf altteftamentliche Theologie gegenüber bilden
die Hinweife auf griechifche Parallelen, z. B. auf Phädon
(S. 160 f. 447. 662 f.) ein Gegengewicht, welchem man |
nicht alle Berechtigung abfprechen darf. Man mufs fich,
um nicht ungerecht gegen eine erhebliche Arbeitsieiftung
zu werden, entfchhefsen, das Buch in feiner Eigenart zu
nehmen. Diefe aber befleht darin, dafs mit der gefchicht-
lichen und exegetifchen Forfchung religionsphilofophifche
Studien und religiöfe Bekenntnifse unabtrennbar verbun- 1
den und verwoben find, fo dafs, wie Menander im Namen i
feines Chriftus, fo auch wieder der Verf. durchgehends :
im Namen feines Menander zu uns redet, indem er ein
ganzes Syftem der Offenbarungs- und Erlöfungsphilofo-
phie vor uns ausbreitet und dabei gelegentlich wirklich
tieffinnige Gedanken entwickelt, wie über Zeit und Ewigkeit
(S. 398. 4CO. 496. 528 f. 586. 627), über das Wefen j
des Gebetes (S. 720 h 728 f.) und die damit gegebenen [
Anläffe zur Bildung eines perlonlichen Gottesbegriffes j
(S. 723 f.) und fo manches Andere, was in diefer ohnehin
fchon zu weit ausgedehnten Anzeige nicht mehr be- j
rührt werden kann.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Clemen, Priv.-Doz. Prof. Lic. Dr. Carl, „Niedergefahren zu

den Toten". Ein Beitrag zur Würdigung des Apoftolikums. j
Giefsen 19OO, J. Ricker. (VIII, 240 S. gr. 8.) M. 5.—

Nur in geringem Mafse kann ich diefem Buche zu-
ftimmen, will aber eben defshalb von vorn herein betonen
, dafs ich es feines aufsergewöhnlichen Fleifses,
feiner mannigfaltigen Gelehi famkeit, feines reichen Scharf-
finnes wegen wiffenfchaftlich durchaus hochhalte. Clemen
bezeichnet feine Arbeit als einen ,Beitrag zur Würdigung
des Apoftolikums'. Der Ausdruck .Würdigung' läfst erkennen
, dafs er ein perfönliches Intereffe an dem .Stücke'
deffelben, welches er behandelt, nimmt. Es ift in der
That fo, dafs Cl. dem Gedanken der Hadesfahrt des
Herrn mit einer inneren Theilnahme gegenüberfteht, die
in unferer Zeit feiten ift. Selbft in der Widmung des
Buches, ,dem Andenken zweier früh verftorbener Ge-
fchwifter', kommt fie zum Ausdrucke. Cl. glaubt, dafs
der genannte Artikel des Apofh licums meift nicht recht
verftanden werde und defshalb weder in der Predigt
benutzt, noch fonft im Leben der Gemeinde, im Glauben
und Hoffen der Chriften, fo verwerthet werde, wie ihm
zukomme. Er will ihm alfo durch Darlegung feines
,allein berechtigten', nämlich feines hiftorhehen Sinnes
zu Hilfe kommen, und hofft mit feinem Buche befonders 1

I ,auch unter praktifchen Theologen Beachtung zu finden'.

Mir will fcheinen, dafs das innere Intereffe an dem Ar-
I tikel, welches Cl. erfüllt, ihm bei feiner Forfchung nicht in
jedem Sinne förderlich gewefen fei. Mag auf der einen
Seite feine unermüdliche Sorgfalt, die auch vor keinem
noch fo compficirten Nebenproblem am Wege zurück-
fchreckt, darin einen ftarken Ruckhalt gehabt haben,
fo ift er auch für Gedanken dadurch prädisponirt worden,
die anderen kaum zwingend erfcheinen werden. Er fieht
überall nur das, was die ,befonders wichtige Erkenntnifs',
die er in dem Artikel findet, in den Quellen ftützt oder
behindert. Gefchichtlich hängt an dem Artikel aber
noch vieles andere. Doch mag es fein, dafs ich, befangen
wie ich mit Bezug auf die Probleme, die die
Apoftolicumsforfchung uns ftellt, ja vor anderen bin —
Sachkenntnifs fchützt vor Befangenheit nicht — Cl.s Ausfichten
, feine Auffaffungen durchzufetzen, unterfchätze.
Wie dem fei, fo hoffe ich wenigstens im Weiteren unbefangen
zu referiren.

Cl. hat feine Arbeit in drei Abfchnitte zerlegt.
Er handelt I. vom ,Alter', 2. vom ,Sinne'. 3. vom ,Werthe'
des Stückes im Apoftolicum, das der Titel nennt. Ich
mufs feine Gedanken fachlich zufammenfaffen, denn den
vielverfchlungenen Wegen, wie Cl. fich feinen Refultaten
nähert, kann ich im Referate nicht nachgehen.

1. Es ift Cl.'s Ueberzeugung, dafs eine Bezugnahme
auf Chrifti Hingang zu den Todten in der Unterwelt
zum uralten, vielleicht urfprünglichften Beftande des
Tauffymboles gehört. Der Textus reeeptus des Apoftoli-
cums confervirt hier ein ,Stück', das fchon 1. Petr. 3, 19 ff.
als integrirendes Moment eines oder des Tauffymboles
erkennbar ift. Von dem .Symbole', das wir im N. T.
bemerken könnten, urtheilt Cl., dafs es mit unterem
Apoftolicum .blutsverwandt' fei. Er braucht diefen Ausdruck
einige Male für das Verhältnifs, das ihm vor-
fchwebt, ohne ihn genauer fachlich zu präcifiren. Wir
werden uns an folgende Ideen halten müffen. Dafs bei
der Taufe eine Formel wie unfer Apoftolicum eine Rolle
gefpielt, vermuthlich als Bekenntnifs gedient hat, verbürgt
die Petrusftelle durch die ganze Art des Gedankenganges
und Ausdruckes. Ohne diefe Stelle würde man da, wo
im N. T. fonft eine .Formel' erkennbar wird — bei Paulus
offenbar 1. Kor. 15, 3 f., wohl auch Rom. 8,34, fonlt befonders
Act. 13, 27ff. —, fich etwa genügen lal'fen können,
auf eine kurze ,norma praedicationis* eine Zufammen-
faffung des Kerygmas für miffionarilche Zwecke, zu re-
fleciiren. Was den Inhalt des nun doch vermuthlich
auch fchon bei Paulus anzunehmenden Taufbekennt-
nifses betrifft, fo war dasfelbe nach Cl. nur .chnftologifch'.
Das ältefte bymbol war ,eingliederig'. Seine Grundaus-
fage war, dals Jefus der .Herr und Chrift' fei. Aber es
berührte dann auch hiftorifche Daten des Lebens Jefu.
Nach Paulus ficher den Tod, das Begräbnifs, die Aufer-
ftehung, wahrfcheinlich (Rom. 8,34") das Sitzen zur Rechten,
nach 1. Petr. ficher die Hadesfahrt und die Wiederkunft
zum Gericht (4,5). Wahrfcheinlich hatte man zum Theil
anfiatt oder auch neben ctJto&avovxa ein oxavQmdtvxa
tjti IJovxiov IliXdxov. Irgendwo und-wann (in Aua?
und fchon vor 10O?) läfst Cl. das eingliederige Symbol
im Anfchlufs an Matth. 28,19 zu einem dreigliederigen,
.trinitarifchen', umgt ftaltet werden. Es fcheint mir, dafs
er fich denkt, es fei bei diefer Gelegenheit auch
fchon im 1. Art. mit Worten wie jtou/xt/v ovQavov xai
ymq, im 2. mit einigen weiteren hiftonfctien Dati n (jungfräuliche
Geburt? nicht fchon .Himmelfahrt), im 3. mit
einer Bezugnahme auf die Kirche (auch die £m?/ ulcovioq?)
ausgestattet worden.

Vom ,Orient' (Cl. liebt es, fich fo unbeftimmt auszudrücken
) kommt das Symbol ins Abendland, u. a.
auch nach Rom. Die Geftalt, in der wir es an letzterem
Oite kennen lernen, R, ift — wegen Hermas, Cl. hat
fich durch Harnack uberzeugen laffen — hier nicht
vor 140 anzufetzen. Keinesfalls ift R die Grundlage