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Ausgabe:

1902 Nr. 11

Spalte:

334-341

Autor/Hrsg.:

Ihmels, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die Selbständigkeit der Dogmatik gegenüber der Religionsphilosophie 1902

Rezensent:

Reischle, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. II.

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der fallchen Apologetik. An diefem Stamme ift die 1 uns feine Gegenwart als fittliche Kraft erfahren läfst.

von Tr. bekämpfte, mit hiflorifchen Mitteln arbeitende,
ein kleiner Zweig, deffen Wachfen ein untergeordnetes
Intereffe hat.

Zweitens kann ich nicht für richtig halten, wie
Tr. den Anfpruch des Chriftenthums auf Abfolutheit
beurtheilt. Richtig ift, dafs diefer Anfpruch mit
hiftorifchen Mitteln nicht zu rechtfertigen ift. Richtig
ift namentlich, dafs fich darin das Bewufstfein aus-
fpricht, Gott felbft gefunden zu haben. Aber gerade

Dafs aber etwas Höheres uns nicht gegeben werden
kann, fieht jeder ein, der in dem Verftändnifs fittlicher
Liebe innerlich felbftändig geworden ift. Alfo der chrift-
liche Glaube hat nicht nur, fondern ift Ueberzeugung von
der ,Abfolutheit des Chriftenthums'. Nur infoweit hat
Tr. Recht, als er an die apologetifche Aufgabe denkt.
Diefer können wir nur dienen, wenn wir Anderen dazu
helfen, zu prüfen, ob nicht Jefus gröfser als alle anderen
Meifter ift. Auch die richtige Erinnerung liegt in der

deshalb können die Fortfehritte der hiftorifchen Forfchung ; Thefe diefer Schrift, dafs wir unferen Glauben felbft
uns nicht dazu zwingen, diefen Gedanken aufzugeben, j nicht als etwas Abfolutes anfehen dürfen, fondern ihn

Tr. unterfcheidet eine naive und eine künftliche Abfolut
heit der Religion. Jene finde fich in allen lebendigen
Religionen in wefentlich derfelben Weife, bevor fie zu
einer Auseinanderfetzung mit anderen geiftigen Mächten
gezwungen feien. Wenn dagegen die naive Zuverficht
durch die Vergleichung geftört fei, fo verfuche die
Theologie durch Beweife das Verlorene wieder zu gewinnen
. Damit fei uns aber nicht mehr zu helfen.

immer neu erkämpfen müffen. Endlich meine ich, dafs
jener Mangel feiner Schrift dem Verf. felbft zur Ehre
gereicht. Er fpricht aus, dafs die Religion nur im Befitz
deffen, was er naive Abfolutheit nennt, lebendig fei. Er
fieht ohne Zweifel auch felbft, dafs die Perfon Jefu für
jeden, der fo zu ihm fleht, wie er es ausführt, eine ab-
folute Bedeutung gewinnt. Wenn Tr. nun trotzdem damit
zurückhält, das auszufprechen, fo fcheint er zu erwarten,

Wir müfsten uns darein ergeben, dafs uns die naive j diefs Bekenntnifs würden alle, die es faffen können,

Zuverficht des Wortes, ,einen anderen Grund kann niemand
legen', nicht mehr ganz erreichbar fei. Was uns
bleibe, fei die Erkenntnifs, dafs das Chriftenthum die
gegenwärtig gröfste Offenbarung der religiöfen Kraft ift,
dafs wir an Jefus die Quelle diefer höchften Kraft zu
einem Leben aus Gott haben, dafs wir an ihn als die
thatfächlich uns gegebene Offenbarung Gottes gewiefen
find. Das müfste, meint Tr., dem wirklich frommen
Menfchen, der nichts anderes fucht als Gott allein, genügen
. Um fo mehr könne ihm das genügen, als es
höchft unwahrfcheinlich fei, dafs die Macht des perfön-
llchen Lebens Jefu innerhalb der menfehlichen Gefchichte

Ihmels, Prof. Lic. Ludwig, Die christliche Wahrheitsgewiss-
heit, ihr letzter Grund und ihre Entstehung. Leipzig 1901,
A. Deichert Nachf. (VI, 344 S. gr. 8.) M. 5.60

— Wie werden wir der christlichen Wahrheit gewiss? Ebd.
jemais überboten werden könne. Immerhin verlange die j T900. (41 S. gr. 8.) M. —.60

zwifchen den Zeilen lefen. Eine folche Zurückhaltung
fleht auf jeden Fall in erfreulichem Gegenfatz zu der
Theologie, die durch möglichft unzarte Handhabung des
Bekenntnisses ihre kirchliche Brauchbarkeit zu erweifen
fucht.

Marburg. W. Herr mann.

Wahrhaftigkeit, fich vorzuhalten, dafs es fich hier nicht um .

abfolut fondern um Wahrfcheinhchkeit handelt, " Die Selbständigkeit der Dogmat.k gegenüber der Rehg.ons-

Philosophie. Sonderabdruk aus der Festfchrift der
Univerfität Erlangen zur Feier des achtzigften Ge-

und dafs die Abhängigkeit von einer unendlichen Macht
uns auf eine unbeftimmte Fülle neuer Erfahrungen ge-
fafst macht. Mit der letzten Bemerkung hat Tr. das
berührt, wodurch feine Auffaffung für ihn felbft unmöglich
werden mufs, die aus dem religiöfen Erlebnifs
felbft hervorgehenden Gedanken. Im Chriftenthum ift
allerdings der Glaube in jedem Moment neuer Offenbarungen
gewärtig. Damit ift aber dennoch die Zuverficht
verbunden, den unvergänglichen Grund des Heils
in der Gefchichte gefunden zu haben. Diefe Zuverficht
hat der Chrift nicht nur fo lange, als für ihn noch die

burtstages Sr. königlichen Hoheit des Prinzregenten
Luitpold von Bayern. Erlangen u. Leipzig, A. Deichert
Nachf., 1901. (34 S. gr. 8.) M. 1.—

Vor wenigen Jahren ift Ihmels als ein literarifch faft
noch unbekannter Mann in das akademifche Lehramt
eingetreten; feitdem hat er in rafcher p'olge durch
mehrere Veröffentlichungen von feinem wiffenfehaftlichen
Arbeiten Kunde gegeben. Das oben zuerft genannte

Schranken beliehen, die durch hiftorifche Forfchung nieder- ! Werk hat wohl vor allem den Rechtsgrund für feine
geriffen werden können. Denn das, was wir an Chriftus ! Berufung in einen gröfseren Wirkungskreis gebildet. In

und durch Chriftus haben, macht uns den Gedanken
unmöglich, dafs nach ihm ein Gröfserer kommen könne.
Wir haben mit ihm das unüberfchreitbare fittliche Ideal
aus uns felbft erzeugt und find uns klar darüber, dafs

der That zeugt es von tüchtigem Wiffen und eindringendem
Forfchen, von der Fähigkeit pfychologifcher Zergliederung
und von dialektifcher Begabung. Mit un-
erfchütterlicher Ruhe und unermüdlichem Fleifse arbeitet

wir in der unerfchöpflichen Fülle fittlicher Aufgaben, die j er fich durch die Erwägung der verfchiedenften Ent-
fich uns damit eröffnet, das ewige Leben des Geiftes fcheidungsgründe und die Beantwortung von mancherlei
vor uns haben. Wenn wir aber einfehen, dafs das Einwänden hindurch: ,freilich' und allerdings', ,zwar' und
Gefetz, das uns wirklich ewig bindet, uns nicht von ,aber', .einerfeits' und ,andererfeits' find befonders beliebte
Aufsen gegeben werden kann, fondern der Ausdruck ; Gedankenkategorien feiner Darftellung. Aber die Kehr-
unferer freien Gefinnung fein mufs, wenn wir alfo fitt- feite ift: der Lefer hat manchmal den Eindruck eines
liehe Liebe verftehen können, fo haben wir das Organ, in etwas fcholaftifchen Eifers der Quaeftionen und Diftinc-
dem Jefus des N.T. die einzige Macht perfönlichen Lebens j tionen, er fchleppt fich nicht ohne Mühe durch das Buch

zu erfaffen, die uns mit völligem Vertrauen und reiner
Ehrfurcht erfüllt. Erfahren wir das, fo wird uns auch
die unermefsliche Bedeutung diefer fchlichten Thatfache
nicht ganz verborgen bleiben. Auch wenn wir noch fo fehr
von der Unmöglichkeit eines Wunders überzeugt waren,

hindurch und findet es nicht leicht, feinen Ertrag zu über-
fchauen; auch die Ausdrucksweife ift zwar meift klar,
jedoch oft abftract und umttändlich. Aber wenn das Werk
nichts eigentlich Packendes und Durchfchlagendes hat
fo kann man doch der wiffenfehaftlichen Leiftung die

fo erleben wir nun felbft an der unvergleichlichen Art diefes volle Achtung nicht verfagen, und aufrichtig mufs man
perfönlichen Lebens ein Wunder. Wir find aber der Zu- fich des energifchen Bemühens freuen, Verftändigung
verficht, dafs alle, die diefe Erfahrung beherzigen, in ihr auch mit den Gegnern zu gewinnen, nicht durch künft-
eine ewige Erlöfung finden werden. Denn fie werden liehe Compromifse, fondern durch möglichft genaue
auch erleben, dafs Jefus ihnen die Offenbarung des Gottes j Darlegung der Sache felbft in ihrer Vielfeitigkeit.
wird, der uns immer mehr aus der Verworrenheit heraus- Ihmels (teilt fich eine doppelte Aufgabe. Fürs erfte

führt, die Knechtfchaft des Schuldgefühls aufhebt und | fragt er: was ift der letzte Grund der chriftlichen Wahr-