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Ausgabe:

1902 Nr. 11

Spalte:

329

Autor/Hrsg.:

Baum, Mathilde

Titel/Untertitel:

Johann Wilhelm Baum. Ein protestantisches Charakterbild aus dem Elsaß 1809-1878. Zweite stark vermehrte Auflage 1902

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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329

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. Ii.

330

die Rothenburger reformatorifche Partei über die vom
Markgrafen Kaiimir bezw. dem Ansbacher Pfarrer Rurer
und dem markgräflichen Geheimfecretär Vogler aufge-
ftellten Streitpunkte abgab, und das durchaus Luther'fches
Gepräge trägt; ja das von den Wertheimern — wie Kolde
nachweift — ihrem Gutachten zu Grunde gelegt wurde.

Dann aber läfst Teufchlein fich von Karlftadt ge- J
winnen und erfcheint am Ende feines Lebens uns noch j
als Anhänger der Schwärmer. Sein Verhalten im Bauernkriege
bringt ihm das Verderben: am 1. Juli 1525 ift er
auf dem Markte in Rothenburg hingerichtet worden.

Er war ein Mann regfamen Geiftes. Bei ruhigerer
Entwickelung hätte er bei diefer Anlage vielleicht Bedeutendes
geleiftet; in den kritifchen Zeiten der Reformation
wurde fie ihm verhängnifsvoll.

Dem Herrn Verfaffer gebührt für das anregende
Lebensbild aus den grofsen Tagen, aus denen uns jeder
intereffirt, der fie erlebt hat, unfer ganzer Dank.

Efchershaufen i. Brfchw. Ferdinand Gohrs.

Baum, Mathilde, geb. Bockel, Johann Wilhelm Baum, j

Ein protettantifch.es Charakterbild aus dem Elfafs
1809—1878. Zweite ftark vermehrte Auflage. Strafsburg
i. E. 1902, J. H. E. Heitz. (VIII, 183 S. gr. 8.)

M. 3.-

Die von mir einftin diefen Blättern (Jahrg. 1880, Nr. 18)
zur Anzeige gebrachte erfte Auflage diefes ungemein
anfprechenden, mit ebenfoviel Liebe wie Gefchick entworfenen
Lebensbildes ift hier durch Mittheilungen vermehrt
worden, welche namentlich die früheren, vor der Ver-
heirathung mit der Verfafferin gelegenen Zeiten betreffen.
Dahin gehört in erfter Linie der ganze Abfchnitt ,Aus |
der Strafsburger Lokalchronik 1829—42' mit feinen be- |
zeichnenden und unterhaltenden Erinnerungen aus der
Gefchichte des Elfafses unter Louis Philippe. Aufserdem
manche Mittheilungen aus Briefen an Müntz und andere
Freunde. Ich hebe daraus hier nur die Schilderung
feiner Bekanntfchaft mit de Wette hervor, die jedem
willkommen fein wird, der noch etwas übrig hat für
diefen charaktervollen und überaus verdienten Theologen
(S. 441.). Aber auch der echt deutfehe, tapfere und geift-
fprühende Mann felbft, welchem die vorliegende Veröffentlichung
gilt, wird im Gedächtnifse Aller, welche in
Reformationsgefchichte arbeiten, fortleben. Schon der
Thesaurus Bauinianus wird dafür forgen. Leider follte
dem unermüdlichen Sammler und Gefchichtfchreiber,
welcher zugleich ein geborener Redner, ein Prediger
von Gottes Gnaden war, gerade derjenige, welcher recht
eigentlich zur Fortfetzung feines Lebenswerkes berufen
gewefen wäre, fein Sohn Guftav Adolf Baum, der Verfaffer
von .Magiftrat und Reformation in Strafsburg',
fchon am 19. April 1886 im Tode nachfolgen. Wir
verftehen es, dafs die Mutter die hochbeglückten Worte,
die der Vater feiner Geburt widmete (1. Aufl. S. 85 f.),
nicht mehr abdrucken liefs. Auch dem treuen Freund
der ganzen Familie, Dr. A. Erichffon, dem wir Baum's
Biographie in der ,Real-Encyklopädie für proteftantifche
Theologie und Kirche' verdanken, habe ich fchon vor
Jahresfrift in derfelben Thomaskirche einen Nachruf
widmen müffen, in welcher ich feiner Zeit dem Vater
und dem Sohne bezeugen durfte, was fie uns Strafsburger
Proteftanten gewefen find.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Calvino, Pfr.Paolo, Evangelische Bestrebungen in Italien. Ein

Beitrag zur Los von Rom-Bewegung. Karlsruhe 1901,
J. J- Reiff in Komm. (76 S. 8.) M. —.80

Die kleine populäre Schrift des durch feine Rundreifen
bekannten Waldenferpredigers fchildert nach
einem hiftorifchen Rückblicke die Entwickelung und

den gegenwärtigen Stand des Proteftantismus in Italien.
Neben den Waldenfern, die mit Recht die eingehendfte
Berückfichtigung finden, fleht die chiesa evangelica
italiana und wirken die Darbiften, die Wesleyanifchen
Methodiften, die bifchöflifch-amerikanifchen Methodiften,
Baptiften, Anglikaner und Salutiften. Dazu kommt dann
noch die kleine chiesa cattolica refonnata unter dem
tapferen Ex-Kanonikus von St. Peter, dem Grafen Cam-
pello — es mag erinnert fein an A. Robertfon, Graf
Campello und die katholifche Reform in Italien. Mit
Vorwort von W. Beyfchlag, Halle a. S. 1900, J. Fricke.
(168 S.) — und allerhand individuelle evangelifche Unternehmungen
, unter denen die Bibelverbreitung und die
evangelifche Preffe die wichtigften find. Die Gefammt-
zahl der Proteftanten in Italien berechnet der Verf. auf
rund 60,000. Er hält fich frei von Schönfärberei und
urtheilt befonnen und ruhig über die einer Los von
Rom-Bewegung in grofsem Style im Wege flehenden
Hindernifse. Wie grofs noch immer die Macht des
Klerikalismus ift, zeigt die Thatfache, dafs es bisher
unmöglich gewefen ift, die gefetzliche Ehefcheidung
einzuführen, und durchzufetzen, dafs dem Priefter unter
Androhung von Strafe verboten wird, eine Ehe einzu-
fegnen, bevor fie vor dem Standesamte gefchloffen
worden ift. Die Folgen der Unterlaffung diefer zweiten
Beftimmung fchildert Calvino (S. 67) als höchft ver-
hängnifsvolle; er behauptet, dafs es in Italien hunderttaufende
aufsergefetzliche Familien giebt.

Marburg. Carl Mirbt.

Troeltsch, Prof. Dr. Ernft, Die Absolutheit des Christentums
und die Religionsgeschichte. Vortrag, gehalten
auf der Verfammlung der Freunde der Chriftlichen
Welt zu Mühlacker am 3. Oktober 1901, erweitert
und mit einem Vorwort verfehen. Tübingen 1902,
J. C. B. Mohr. (XXIII, 129 S. gr. 8.) M. 2.75

Bei Büchern, die etwas zu fagen haben, gehen wir
muthig auch an Sätze wie den folgenden: ,Nicht blofs,
weil eine rein kaufal-mechanifche Betrachtung einerfeits
und eine wertende, in diefem Gefchiebe notwendige und
wirkfame Prinzipien überfinnlicher Motivation auftauchen
laffende Betrachtung andrerfeits fich ausfchliefsen, fondern
weil ich mich nirgends von der wirklichen Durchführung
der kaufalen Betrachtung von den Empfindungen
und Begehrungen bis zu den Ideen und allgemeingiltigen
Werten hinauf habe überzeugen können, und weil das
ganze höhere, auf eine unfinnliche Wirklichkeit bezogene
Geiftesleben eine ontologifche Begründung in felbftändigen
Prinzipien erheifcht' (XL). Trotzdem ift es ärgerlich, dafs
der Verf. uns fo oft nöthigt, mit folchen vielköpfigen
Ungeheuern zu kämpfen. Denn dafs er einfach und klar
fchreiben kann, hat er reichlich bewiefen, auch in diefer
Schrift. Dafs er diefe Fähigkeit allzu oft ruhen läfst,
hat vielleicht auch manche Mifsverftändnifse verfchuldet,
über die er fich beklagt. Es ift aber zu hoffen, dafs
diefe Schrift klar machen wird, was der Verf. will. Seine
Aufgabe ift nicht neu, fie feffelt uns alle mehr oder minder.
Er aber fafst fie mit fo reichen wiffenfehaftlichen Mitteln an
und wird die meiden Lefer fo fehr von feiner rückfichtslofen
Wahrhaftigkeit, alfo von feinem religiöfen Ernft überzeugen
, dafs man ihn wird hören müffen, auch wo man
ihm nicht zuftimmen kann. Die Lage, die der Theologie
j aus der Entwickelung der Gefchichtswiffenfchaft ent-
ftanden ift, will er fo darlegen, dafs alle Verfuche, fie
zu verfchleiern, endlich aufhören müffen. Da wird
natürlich jeder aufmerken, der fich auch um folche
Klarheit ernftlich bemüht hat, aber weifs, weshalb wir
Chriften fchwer dazu zu bringen find. Wir wollen daran
I fefthalten, dafs etwas in der Gefchichte gewordenes eine
ewige und umverteile Bedeutung hat. Das bringt uns
j natürlich auf gefpannten Fufs mit einer Wiffenfchaft,

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