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Ausgabe:

1902 Nr. 11

Spalte:

326-328

Autor/Hrsg.:

Wendt, Hans Hinrich

Titel/Untertitel:

Die Lehre Jesu 1902

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. II.

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Wendt noch immer fortzubeftehen fcheint. R. fchliefst !
fich in der Herftellung des ^-Textes, den er ungefchickter
Weife Bezan nennt, durchaus an Blafs an, obwohl diefer
doch oft Lesarten aufgenommen hat, die nur in einer
Handfchrift vorkommen, ja manchmal nur auf Conjecturen
beruhen. Ferner modificirt R. die Blafs'fche Theorie zwar
noch weiter, als es fchon diefer felbft in feinen fpäteren
Veröffentlichungen gethan hatte, hält aber doch an der
Priorität des ß-Textes im allgemeinen feft, obwohl fich
diefer doch aufser an der einen Stelle 136»"., wo foeben
Harris {Expositor, march 1902, 189fr.) in dem 'Äropog
des revidirten Jofephus-Textes mit. 20 72 eine Beftätigung
des Exiuäg bei D 1 gefunden hat, überall aus dem «-Texte
erklären dürfte. Dadurch ifk ja nicht ausgefchloffen, dafs
er diefen manchmal erläutert und beffer verftehen lehrt,
aber urfprünglicher ift er m. M. n., jene eine Stelle ausgenommen
, mit Sicherheit nirgends.

Am fchwächften find endlich die biblifch-theologifchen
Ausführungen des Verf.s fowohl in der Einleitung als im
Commentar: er findet in der Apoftelgefchichte einfach
überall feine Anfchauungen wieder. Weshalb ftudirt man
dann aber überhaupt das Neue Teftament, wenn man
nichts daraus lernen will? Und zugleich: weshalb fchreibt
man immer wieder folche Commentare, wenn doch das
allermeifle, was man zu fagen hat, fchon bei anderen
fleht und man auf die noch immer ungelöften Streitfragen
nicht eingehen will oder kann? Ich verkenne
ja keinen Augenblick den immenfen Fleifs, der in diefem
Buche fteckt, und halte es für ein treffliches Hilfsmittel
zum Verftändnifs der Apoftelgefchichte und des apoftoli-
fchen Zeitalters überhaupt; aber dafs es uns erheblich
förderte und deshalb gefchrieben werden mufste, das
kann ich nicht finden.

Halle a. S. Carl Clemen.

Lilley, Rev. J.P., M.A., The pastoral epistles. Anew trans-

lation with introduction, commentary, and appendix.

Edinburgh 1901, T.&T. Clark. (VII, 255 S.8.) 2 s. 6 p.
Das vorliegende Werk eines fchottifchen Geiftlichen
(Arbroath) gehört zu den von Marcus Dodsund Alexander
Whyte herausgegebenen Jlandbooks for Bible Classes
and privat studcnts', macht alfo keinen Anfpruch auf
den Werth einer ftreng wiffenfchaftlichen Behandlung
des Stoffes. Die Lefer, für die es beftimmt ift, bedürfen
lateinifcher Transfcription griechifcher Wörter. Damit
foll noch keineswegs ein verwerfendes Urtheil begründet
fein. Eine ausführliche Einleitung und ein die Unterfuchung
noch einmal aufnehmender Anhang befchäftigen fich ein-
gehends mit den somewhat formidable objections' gegen
die traditionelle Annahme paulinifcher Authentie. Verf.
kennt fie zumeift aus den Werken von Pfleiderer, Jülicher
und dem Unterzeichneten. Die Taktik, kraft welcher
diefe Angriffe, trotzdem dafs ihnen felbft in England einzelne
Forfcher wie Samuel Davidfon und Hatch (beizufügen
wäre S. 8 jetzt auch P. Gardner), gerecht geworden
find, doch der Reihe nach abgefchlagen werden, bringt
nichts Neues. Zweite Gefangenfchaft, vorepifkopale Ver-
faffung, jüdifche Irrlehrer, uralte Bezeugung, Fortbildung
der paulinifchen Gedankenwelt und Neubildung des pau-
linifchen Stiles unter dem zwingenden Einflufse fpäterer
Gegnerfchaft und fortgefchrittener Gemeindebedürf-
nifse u. f. w. — wir kennen ja diefe unaufhörlich wiederholten
Ausflüchte genugfam. Ueberdies werden diefelben
hier nur in fehr oberflächlicher Weife vorgetragen, und
die der Exegefe vorbehaltene nähere Begründung ift
meift auch von fehr fragwürdiger Art. Beifpielsweife die
Phrafe ,Eines Weibes Mann' foll einen folchen Chriften
vom Kirchendienfte ausfchliefsen, der vor feiner Bekehrung
mehrere Weiber, fei es fimultan, fei es fucceffiv,
gehabt hat, dagegen auf keinen Fall einer zweiten Ehe
wehren, weil lönft Paulus im Widerfpruche mit fich

felbft (1. Kor. 7 2. b. bb) befunden werden müfste. Die
fyntaktifch intereffante und für den Begriff der Taufe
belangreiche Stelle Tit. 3 7 wird auf einer halben Seite
erledigt, ohne dafs die eigentlichen Schwierigkeiten berührt
werden. Die Erfcheinung der heilfamen Gnade 2n foll
weniger auf Epiphanias, als vielmehr auf Pfingften Bezug
nehmen. In 1. Tim. 3 ig liegt weder eine Bekenntnifsformel,
noch ein Hymnus, fondern eigenfte Dichtung des Apoftels
vor, der auch 2. Tim. 2 11—13 eine Probe feiner poetifchen
Begabung ablegt. Doch wird zugeftanden, dafs Tit. 2 13
Chriftus nicht wohl ,grofser Gott' heifsen könne. Dem
umftrittenen xal 2. Tim. 3 ig wird die richtige, confecutive
Bedeutung zugefchrieben und anerkannt, dafs nicht Per-
fonen, fondern der Schrift felbft Infpiration beigelegt
wird, diefe jedoch nicht ,mechanifch', fondern nur ,dy-
namifch' gedacht fei. Auch fonft begegnen neben einer
anerkennenswerthen Belefenheit in englifcher und deut-
fcher Literatur nicht feiten Anzeichen eines eigenen gefunden
Urtheils.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Wendt, Hans Hinrich, Die Lehre Jesu. Zweite, verbefferte
Auflage. Göttingen 1901, Vandenhoeck & Ruprecht.
(X, 640 S. gr. 8.) M. 12.—

Die zwei Bände der erften Auflage find dadurch
auf einen einzigen und zugleich ift ihre Seitenzahl auf die
Hälfte und darunter reducirt worden, dafs die, früher
den erften Band füllende, Kritik der Quellenberichte hier
nur einen einleitenden Abfchnitt (S. 7—49) bildet. Trotz
formeller Umgeftaltung der Beurtheilung des Markusevangeliums
und hinzugetretener Bezugnahme auf mancherlei
neuere Literatur trifft das früher (Jahrgang 1886 Nr. 9) von
mir über die Genalt, in der hier die Zweiquellentheorie
auftritt, Gefagte auch noch auf die neue Darftellung zu und
darf ich deshalb einfach darauf verweifen. Seine eigentümlichen
Anflehten über das vierte Evangelium konnte der
Verf. diesmal um fo knapper faffen, als er fie erft kürzlich
in einem eigenen Werke vertreten hat, und auch
ich bin in der Lage, einfach auf meine Befprechung
zu verweifen (Deutfche Literaturzeitung 1890, Nr. 50,
vgl. auch Baldenfperger in diefer Zeitfchrift, Jahrgang
1901, Nr. 16). Etwas anders fleht es hinfichtlich des
i zweiten Bandes der früheren Ausgabe, welchem das
jetzige Werk in feiner Hauptmaffe entfpricht. Zwar
pafst, was ich hierüber früher bemerkt habe (Jahrgang
j 1891, Nr. 5), fo ziemlich auf den jetzigen Text, und in-
fonderheit haben die dort aufgeführten Ueberfchriften
| der fünf Hauptabfchnitte (jetzt Abfchnitt 2—5) fo gut wie
keine Veränderung erfahren. Auch die Unterabtheilungen
find fich meift; gleich geblieben. Nur der, die Predigt Jefu
vom Reiche Gottes behandelnde, vierte, früher dritte
Abfchnitt weift eine durchgängig neue Gliederung auf
j und ift wohl in den meiften feiner Theile neu ge-
I fchrieben. Das erfte Capitel, gewidmet der ,Gottesan-
fchauung Jefu' entfpricht dem zweiten der älteren Ordnung,
I deren erltes, allgemeinere Betrachtungen enthaltendes
; Capitel verfchwunden, bezw. inhaltlich auf verfchiedene
Stationen des neu gebahnten Weges vertheilt ift. Das
j zweite Capitel, behandelnd ,die Stellung Jefu zur
I altteftamentlichen Gottesoffenbarung', entfpricht dem
fechften der älteren Ordnung und erfcheint jetzt mit Recht
an eine frühere Stelle gerückt. Von grundlicher Neuarbeit
zeugt es, wenn der Inhalt des früheren dritten
Capitels (,das Heil des Reiches Gottes') jetzt theils in
einem dritten (,das ewige Leben im Reiche Gottes'),
theils in einem vierten (.Glückfeligkeit und Heilsbefitz
im gegenwärtigen Leben') zum Vorfchein kommt,
wahrend ein fünftes (,das gegenwärtige Dafein des
j Reiches Gottes') ungefähr dem früheren fünften (,die
Art und das Kommen des Reiches Gottes') entfpricht.
1 Die Verknüpfung der beiden Lehrartikel vom Reiche