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Ausgabe:

1902 Nr. 10

Spalte:

305-306

Autor/Hrsg.:

Wellhausen, Julius

Titel/Untertitel:

Die religiös-politischen Oppositionsparteien im alten Islam 1902

Rezensent:

Hartmann, Martin

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305

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 10.

306

Vollzug des angekündeten Wunders mit keiner Silbe
erwähnt wird, erweckt nicht in jeder Hinficht den Eindruck
eines urfprünglichen Berichtes, in dem man
.kein Wort entbehren, keines umgeftalten kann' (S. 119).
Sollte in einer als Schilderung des Empfängnifs-Actes entworfenen
Erzählung diefer letztere nicht deutlicher mar- j
kirt fein, als fo, dafs mit der .Einwilligung Maria's' fich
,für den Erzähler offenbar das Wunder vollzieht' (S. 119)?

3. Die Frage der Maria in ihrer von Luk. abweichenden
Faffung, die jetzt auf ztt-q viöv bezogen werden mufs,
pafst viel befferauf ein urfprüngliches 6v).h)[ixpi] hv yuOtQL

4. Die Ergänzung xovg kuovg in Z. 3 fcheint bedenklich,
da die Erwähnung der Heiden allein nicht in den Zu-
fammenhang pafst. — Leider ift der Text fo lückenhaft
erhalten, dafs fich eine fichere Entfcheidung wohl nicht
mehr wird treffen laifen.

Ein Nachwort (S. 133—146), das zu dem be-
klagenswerthen Streitfalle C. Schmidt contra Spiegel-
berg-Jacoby Stellung nimmt, gehört nicht in den
Rahmen unferer wiffenfchaftlichen Befprechung.

Strafsburg i. E. Anrieh.

Wellhausen, Julius, Die religiös-politischen Oppositionsparteien
im alten Islam. (Abhandlungen der Königlichen
Gefellfchaft der Wiffenfchaften zu Göttingen. Philo-
logifch-hiftorifcheKlaffe. Neue Folge, Band V. Nro.2.)
Berlin 1901, Weidmann. (99 S. 4.) M. 6.50

In den ,Prolegomena zur älteften Gefchichte des j
Islams1 (Skizzen und Vorarbeiten VI) führte Well-
haufen die vergleichende Unterfuchung der verfchie-
denen Traditionen in der grofsen Compilation Tabaris
bis zur Kamelfchlacht; in diefer Arbeit führt er fie, wenig-
ftens für die beiden entwickelungsgefchichtlich bedeut-
famften inneren Bewegungen, die charigitifche und die
fchiitifche, bis zum Ausgange der Omaijidenherrfchaft.
Dankbar erkennen wir den Gewinn an, den die Kenntnifs
der früheflen islamifchen Gefchichte aus diefen Einzel-
forfchungen zieht. Eine Menge neuer Züge, zum Theil
von hohem Intereffe, werden in das Gefammtbild hineingearbeitet
. In der Hauptfache wird diefes aber nicht
geändert. Es ift in Auguft Müller's Islam mit bewun-
dernswerther, von dem licheren Tacte der Intuition geleiteter
Schärfe feftgelegt. Da, wo W. neue Conftruc-
tionen verfucht, kann man ihm nicht immer beiftimmen.
Das gilt namentlich von der Heranziehung des trotz
feiner nun fchon fo oft nachgewiefenen Unbedeutendheit
für die Gefammtheit des vorderen Orientes immer wieder
überfchätzten Judenthums zur Erklärung theologifch-
rechtücher Inftitutionen des Islams bez. Pfeudo-Islams.
Wenn behauptet wird (S. 92): ,Die Idee des monarchifchen I
Propheten als fouveränen Vertreters der Herrfchaft
Gottes auf Erden ift von den Juden auf den Islam übergegangen
', fo ift zunächft einzuwenden, dafs der Islam
einzig in Muhammed einen Prophet-Fürften fleht, und
dafs die Thatfache der Verbindung geiftiger und weltlicher
Leitung in feiner Hand nicht die Folge einer in !
feinem Kreife herrfchenden oder von ihm proclamirten
Idee ift, fondern fich aus den Verhältnifsen auf Grund
feiner ragenden Perfönlichkeit ergab. Von dem Principe
des Prophet-Fürftenthums ift nirgends im Islam die Rede,
und die Verfaffung der islamifchen Gemeinde nach Muhammeds
Tode zeigt auch nicht die leifefte Spur von
Theokratie. Wenn der fchiitifche Pfeudo-Islam, d. h. der
in die Schiat Ali eingefchmuggelte Reft der altbabyloni-
fchen Weltanfchauung von dem Ideal des Gottesftaates
träumt, fo liegt auch hier keine Anlehnung an das Judenthum
vor, fondern vielmehr der Einflufs der alten Volksreligion
, die auch in dem fie urfprünglich bekämpfenden
Judenthum wirkte und das Chriftenthum beherrfcht. Es
ift übrigens für das Wefen der fchiitifchen Dogmatik
jetzt auf eine neue Quelle hinzuweifen, die bizarren, den |

Geift der Schia gut widerfpiegelnden Ausführungen Ibn
Babuje's, von denen E. Möller in ,Beiträge zur Mahdi-
lehre des Islams' (Heidelberg 1901) eine Probe gegeben
hat. In gleicher Weife wie für den echten Islam mufs
das Operiren mit der Theokratie abgewiefen werden für
die Charigiten. Diefe Bewegung ift keineswegs ,echt
islamifches Gewächs' (S. 12). Sie ift im Gegenfatze zum
Islam erwachfen, ift ein Proteft des ungebändigten Araberthums
gegen die von Muhammed gedachte, von feinen
Nachfolgern fyftematifch betriebene Organifirung der Gefellfchaft
; fie kleidet fich auch nicht in die Form der
Theokratie, denn von einer Herrfchaft Gottes durch
einen ihn vertretenden Propheten oder auch nur einen
Chalifen im Sinne der Schia ift nicht die Rede; fie ift
vielmehr die reine Anarchie, die fich hier in einer reli-
gionsgefchichtlich äufserft intereffanten Weife mit der
Frömmigkeit verbindet: gingen doch die Charigiten aus
den ,Lefern', den nur frommen Uebungen lebenden
Männern des Iraq hervor.

So verdienftvoll auch der fleifsige Beitrag W.'s zur
Specialgefchichte des älteften Islams ift, wird doch bemerkt
werden dürfen, dafs an die Behandlung ent-
wickelungsgefchichtlicher Probleme auf irgend einem
enger begrenzten Gebiete des vorderen Orientes heute
nicht mehr gegangen werden darf ohne Einbeziehung
der Forfchungsergebnifse für das Gefammtgebiet. Was
hier in den letzten Jahrzehnten an neuen wichtigen Er-
kenntnifsen aus den affyrifch-babylonifchen Denkmälern
gefchöpft worden ift, hat die Refte der althebräifchen
Literatur und die Gefchichte Israels in ein völlig neues
Licht gerückt. Auch die Anfänge des Islams laffen fich
nicht behandeln ohne Kenntnifs der älteften Cultur ihres
Schauplatzes, foll die Einficht in die inneren Zufammen-
hänge erreicht werden, die doch das Ziel der Gefchichts-
forfchung höherer Ordnung ift.

Charlottenburg-Berlin. Martin Hart mann.

Falk, Franz, Bibelstudien, Bibelhandschriften und Bibeldrucke
in Mainz vom achten Jahrhundert bis zur Gegenwart
. Mit Abbildungen. Mainz 1901, F. Kirchheim.
(VI, 336 S. gr. 8.) M. 4.50

Die Encyclica Leo's XIII. de Stud. Script. Sacr. vom
18. Nov. 1893 Providcntissimus Deus hat einen regen Eifer
in der katholifchenTheologie hervorgerufen. Wir fprachen
davon Jahrg. 1899 Nr. 10 Sp.294 anläfslich des Verfuches
einer neuen textkritifchen Ausgabe. So hat auch der gelehrte
und fleifsige Archivar des Bisthums Mainz die Er-
gebnifse älterer und neuer Studien zur Localgefchichte
unter dem Gefichtspunkte der Gefchichte der Bibel zu-
fammengefafst; ein urfprünglich zur Gutenbergfeier be-
ftimmtes, durch widrige Umftände verzögertes Werk.
Es zerfällt in zwei Bücher, welche das Mittelalter (die
Zeit vor Gutenberg's Erfindung, — 1450) und die Neuere
Zeit (1450—1900, die Zeit des Buchdruckes) behandeln;
doch greift der Verf. an mehreren Stellen des erften
Buches in die folgende Periode über. Im erften Buche
ift eine fachliche Ordnung mit der chronologifchen ver-
fchmolzen: Cap. I. Die Erzbifchöfe und die Bibelftudien
behandelt Bonifaz, Rabanus Maurus u. a., Cap. II. Das
Bibelftudium am Metropolitancapitel das fpätere Mittelalter
, da die Bifchöfe mehr Politiker als Theologen geworden
waren. Die paftoralen Functionen gingen dabei
über auf (III) die Weihbifchöfe und die Domprediger.
IV. Die 1477 gegründete Hochfchule hatte einen Lehrftuhl
für Bibelkunde. Von Intereffe für die Bibel zeugen V.
die Reifen ins heilige Land. VI. Biblifch war die Sprache
der Inftallirungsceremonie eines Stiftsherrn, der Urkunden
, der Siegellegenden. VII. Auch Laien befafsen und
lafen die Bibel. VIII. Vor allem aber wurde in den Klöftern
eifrig die Bibel ftudirt. Im zweiten Buche werden nach
Jahrhunderten geordnet Bibeldrucke, Bibelüberfetzungen