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Ausgabe:

1902 Nr. 9

Spalte:

262-266

Autor/Hrsg.:

Duhm, Bernhard

Titel/Untertitel:

Das Buch Jeremia erklärt 1902

Rezensent:

Giesebrecht, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 9.

262

Zug nicht verkennen, der fich m. E. mit Recht in der j
jüngften Phafe der Behandelung gewiffer atl. Fragen geltend j
macht. Hatte fchon Gunkel in feinem kürzlich von mir
hier befprochenen Commentare davor gewarnt, die Ent-
ftehungszeit der Sagen mit der Zeit ihrer Niederfchrift zu
verwechfeln, fo geht St. von diefem Satze geradezu aus
(S. 1), und im Vorworte kann er fagen (S. VI): ,Die
weitgehende Skepfis gegenüber der Zuverläffigkeit der
israelitifchen Ueberlieferung, die fich vielfach findet, fchien
mir je länger defto mehr unberechtigt zu fein. Dafs die
Ueberlieferung viel mehr brauchbares Material enthält, als
man vielfach meint, das zu zeigen, ift fchliefslich der
Zweck diefer Arbeit geworden'. So fieht St. im genea-
logifchen Syflem der israelitifchen Stämme den Reflex
von Verhältnifsen der früheften Richterperiode (S. II. 34b
48. 57), wo Stade bis in die Königszeit hinabgegangen
war. Das fchliefst nicht aus, dafs St. den Ueberliefer-
ungen fehr verfchiedenen Glauben entgegenbringt, dafs
fie ihm gelegentlich fogar der Correctur nach dem von
ihm vermutheten Hergange bedürftig erfcheinen (vgl. z. B.
S. 45 b). Um hier von einer Einzelheit auszugehen, die
für feine gefammte Auffaffung des Gefchichtsverlaufes
wichtig ift, fo halte ich es für unbedingt verfehlt, wenn
er Mofe zu einem Angehörigen des Jakobftammes macht.
Wie ift es denkbar, dafs, wenn gerade diefer Stamm die
geiftige Kraft befafs, die Anerkennung feines Führers
auch beim Leaftamm auf die Dauer durchzufetzen, er fich |
das y.cxyjjua follte haben rauben laffen, ihn als den
feinen ang'efehen zu wiffen, zumal in der eigenen elo-
hiftifchen Ueberlieferung? Mögen auch nicht alle Stämme
in Aegypten gewefen fein, dafs blos der Jakobftamm dort
gewefen fei, ift nimmermehr zu beweifen. Jedenfalls aber
hätte, dafs Aarons Sohn Eleafar Erbbefitz auf dem Gebirge
Ephraim verliehen wird (S. 101) St. als Argument
nicht verwenden follen, nachdem er felbft anerkannt hat,
dafs Levi einft auf dem Gebirge Ephraim gewohnt habe
(S. 14). Aber auch die Art, wie er fich mit Num 16. 32
abfindet, hat für mich etwas Unbefriedigendes, und erft ,
recht will mir die Parallele Bileam-Laban (S. 104) nicht [
einleuchten. Ich komme nicht darüber hinweg, dafs von |
Anfang an die Beziehungen zwifchen Jakob- (ich fage
nicht Rahel-) flamm und Leaftamm engere find. Mag
Jakob auch Rahel vorziehen: fein erftes Weib ift Lea
und Rüben fein Erftgeborener. Infolge deffen halte ich
auch St.'s Behandlung von Gen. 31—33. 35 fur willkürlich
, wenn er S. 57 fagt, es fei (als fecundäres Element) j
zunächft Alles auszufcheiden, was auf Lea und Silpa Bezug
nehme. Wenn er ferner meint, die Lea- und Silpa-
ftämme feien erft auf einem Umwege (seil, als Brüder der j
Söhne Raheis und Bilhas) Jakobföhne geworden (S. 46J,
fo ift diefer Annahme wenig günftig, dafs die Beziehungen
der Leaftärnme zum Stamme Jofeph durchaus feindliche
waren (S. 66). Wiederum flehe ich dem Verfuche, die
elohiftifche Ueberlieferung in Jof als Parallele zur Jakobs-
gefchichte nachweifen zu wollen, fkeptifch gegenüber. St.
ift, begreiflich genug, geneigt, Jofuas Uebergang über den
Jordan von Jericho weg in die Jabbokgegend zu verlegen,
wo Jakob hinüberzog. Aber damit bleibt z. B. ein Factum
unerklärt (ich fage das trotz der Ausführungen auf
S. 95), dafs nämlich das Stammesheiligthum in Gilgal
älter ift als dasjenige in Bethel fjdc 21—5). Ueberhaupt
dürfte man fich den Gefchichtsverlauf reicher, bewegter,
freier vorzuflellen haben, als St. ihn uns glaubhaft j
machen will. Ich werde bei ihm den Eindruck eines
künftlich Zurechtgemachten nicht recht los: unter feiner
Hand erfcheinen mir die Sagen zu fehr als Glieder eines
von vornherein einheitlich angelegten Syftemes, ftatt dafs
fie ihrem Urfprunge entfprechend zunächft als Einzel-
fagen gefafst find. So läfst er fich vom Beftreben, aus
ihnen einen möglichft einfachen hiftorifchen Extract zu j
gewinnen, m. E. zu leicht gefangen nehmen und thut in
Generalifiren und Ausgleichen des Guten zu viel. Dahin
rechne ich vor Allem gewiffe Parallelifirungen: Jofeph- j

Jakob (-Ifaak-Abraham); Rahel-Rebekka-Sarah etc. Ich
meine, es fei durch das genealogifche Schema der ur-
fprüngliche Spielraum der Gefchichte in der Darftellung
unferer Quellen mannigfach fchon fo ftark eingeengt
worden, dafs mich zu viel Glaube an die Deutbarkeit
genealogifcher Formen mit einigem Zweifel erfüllt. Darf
ich daran erinnern, dafs Spartaner und Juden ihr Bundes-
verhältnifs damit motiviren, dafs fie Brüder feien und
Abrahams Gefchlecht entflammen? (I Makk 127. 21 II 59).
Wenn in fo fpäterZeit noch vorübergehende Berührungen
gemeinfamer Lebensintereffen dergleichen genealogifche
Blüthen zeitigen konnten, wer weifs, ob man die genea-
logifchen Ueberlieferungen jener alten Zeit durchweg fo
ernft nehmen darf, dafs fie die Grundlage von Conftruc-
tionen abgeben könnten, wie fie St. in ftrenger Durchführung
meint liefern zu können? Alfo mehr Freiheit
der Bewegung! Es ift mir z. B. auch nicht zweifelhaft,
dafs Rahel älter fei als Benjamin; aber dafs darum Lea
nothwendig älter fein müffe als alle 6 refp. 7. von ihr
gegenwärtig abgeleiteten Stämme, ift mir keineswegs er-
wiefen. Wie wenig weifs J (Jdc 1) davon, dafs Lea bei
der Eroberung noch Ein Stamm gewefen fei! Ferner
glaube ich z. B. auch, dafs einzelne Stämme von Kades
aus direct nach Norden gezogen find, ohne das Oftjordan-
land zu berühren. Allein dafs dies auf alle, zumal auf
Rüben, zutreffe (ich verweife nochmals auf Num 32), habe
ich Mühe anzunehmen. Eines vermiffe ich: es wäre doch
wohl mehr darüber zu fagen gewefen, inwiefern die Einwanderung
durch die in Kanaan vorgefundenen Be-
völkerungsverhältnifse bedingt refp. modificirt wurde.

Ich habe einige Einzelheiten hervorgehoben, um
meine Bedenken dagegen zu äufsern. Sie liefsen fich
leicht mehren, zumal fo unficheren Vermuthungen gegenüber
, wie fie S. 171. 24 (P kenne Makhir nicht als Sohn
Manaffes), auch 30 f. vorgetragen werden. Ich geftehe,
St. hat alle Einzelheiten aber fo gefchickt in einen grofsen
Zufammenhang zu bringen gewufst, dafs man fie darin faft
als nothwendige Glieder empfindet. Man darf fich indeffen
nicht täufchen laffen, als ergäbe eine Summation z. T.
fehr disputabler Einzelzüge, die durch eine glänzende
Combinationsgabe des Verf.'s zu einer höheren Einheit
componirt worden find, ein völlig gefchichtswahres Bild.
Trotzdem legt man feine Arbeit ficherlich nicht ohne das
dankbare Bewufstfein aus der Hand, in reichem Maafse
angeregt und in Manchem gefördert worden zu fein. Es
mufs freilich künftiger intenfiverer Befchäftigung mit den
angeregten Problemen vorbehalten bleiben, ins rechte Licht
zu (teilen, wie viele der Refultate Steuernagel's Anfpruch
aufbleibenden Werth erheben können. — S. 7 Z. 11 v o
ift ftatt Lea: Rahel zu lefen.

Bafel. Alfred Bert holet.

Duhm, Prof. D. Bernh., Das Buch Jeremia erklärt. (Kurzer
Hand-Commentar zum Alten Teftament. Herausgegeben
von Karl Marti. Abteilung XI.) Tübingen
1901, J. C. B. Mohr. (XXIII, 391 S. gr. 8.) M. 6.80

Mit dem Duhm'fchen Commentar zu Jeremia ift unzweifelhaft
ein bedeutungsvolles Werk erfchienen. Ich
befpreche es zunächft nach feinen literarkritifchen Reful-
taten, die ich im Anfchluffe an meine Auffaffung am über-
fichtlichften darftellen kann.

Ich habe in meinem Jeremiacommentar drei Abtheilungen
aufgeftellt, in die fich die Beftandtheile des
Jeremiabuches eingliedern: a) Stücke von Jeremia's Hand
(erfte Perfon). b) Stücke von Baruch's Hand (dritte Perfon).
c) Zuthaten der Bearbeiter. Duhm ftreicht in feinem
Commentar eine fehr grofse Zahl von Jeremiaftücken und
verlegt fie in die dritte Kategorie, und auch für die
Baruchpartien wird eine fehr bedeutende fpätere Ueber-
arbeitung angenommen. Jeremia hat nach D. gar nichts