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Ausgabe:

1902

Spalte:

3-5

Autor/Hrsg.:

Carus, Paul

Titel/Untertitel:

The history of the devil and the idea of evil from the earliest times to the present day 1902

Rezensent:

Weinel, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 1.

Paläftina noch keinen zuverläffigen Dardeller gefunden.
Dalman, dem es vergönnt war, 1898/1899 fünfzehn Monate
lang im Oriente zuzubringen, hat diefe Gelegenheit
benutzt, um eine grofse Zahl von Volksliedern zu fam-
meln, in der ausgefprochenen Abficht, damit eine grundlegende
Vorarbeit für archäologifche Unterfuchungen zu
geben. Nach ihrem Inhalte laffen fich die mitgetheilten
Lieder folgendermafsen gruppiren: Lieder auf Feld und
Tenne, im Haufe, im Weingarten, in der Wildnifs, bei
Quelle und Brunnen, in Dorf und Zeltlager, am Kalkofen
und beim Hausbau, auf Weg und Steg, beim Zeltfeuer
, im Kaffeehaus, auf der Karawanenftrafse, zur See,
auf dem Kriegspfade, auf der Pilgerfahrt und bei chrid-
lichen Feften; ferner Kinderlieder, Hochzeitslieder, Gaft-,
Tanz-, Abfchieds- und Todtenklagelieder.

Leider ift die Transfcription nicht genau phonetifch,
doch ift das Verfahren in der Vorrede einigermafsen gerechtfertigt
. Was die bei allen möglichen Gelegenheiten
üblichen Liebesverfe anlangt, fo id natürlich der angefangene
Freund oft als Femininum gemeint. Indeffen
ift in vielen Fällen — das Genauere ift an Ort und
Stelle zu erfahren — der Wortlaut buchftäblich zu verliehen
. Männerliebe mit den davon unzertrennlichen
fexuellen Verirrungen ift, wie bekannt, im Orient fehr
verbreitet, die Literatur feit der Abbafidenzeit ift
voll davon. Unfere Bibliotheken bergen viele Hand-
fchriften, in denen diefes Lader bekämpft wird, aber
in fo obfcoener, ekelhafter Weife — allen voran der
Theologe Sojjnti —, dafs der Gewinn den Schaden
nicht aufwiegt. Die Vermuthung, dafs dem Gedichte
S. 62 eineEpifode aus dem Leben Muhammed's zu Grunde
liege, id richtig. Sie gehört zu derjenigen Claffe von
Legenden, in denen Begegnifse des Propheten mit Thieren
gefchildert find, einer Behenden Rubrik in allen Traditionsbüchern
. Die Vergleichung der Brüde mit Taffen (S. 100),
bezw. mit umgekehrten Taffen, welche der Herausgeber
fingulär findet, erinnere ich mich bedimmt, fchon mehrmals
gelefen zu haben, wenn ich auch im Augenblicke
die Stellen nicht nachweifen kann.

In der Einleitung S. XII dehen einige beachtens-
werthe Bemerkungen über die Beurtheilung des ,hohen
Liedes'. Verf. wendet fich mit Recht gegen die neuerdings
immer mehr um fich greifende Anficht, dafs alle
Gelange diefes Liedes von der Braut und ihrem Bräutigam
reden, während es fich mindedens vielfach ganz
allgemein um Liebhaber und Geliebte handelt. Und
wenn gar Siegfried in feinem Commentare meint, dafs
die Schilderungen der Reize beider den Vollzug der Ehe
vorausfetze, fo id das unglaublich naiv. Sehr richtig wird
S. XXIV angedeutet, — was übrigens nichts Neues id —
dafs die Ton- und Vortondehnungen in der biblifchen
Vocalifation des Hebräifchen ihren Urfprung der mufi-
califchen Recitation der heiligen Texte verdanken. Ich
fchliefse hieraus, dafs diefe Dehnungen für die Profa
und die Sprache des gewöhnlichen Lebens nicht die ge-
ringde Bedeutung haben und deshalb bei Leibe nicht die
Wichtigkeit verdienen, mit der fie in den hebräifchen
Grammatiken abgehandelt werden. — S. XXIX wird zum
Vei dändnifse des muficalifchen Terminus der Pfalmen,
Sela, auf die Phrafe sal hingewiefen, mit der die Mauwalfänger
auf den dörflichen Feden bei Aleppo ihren
Vortrag zu fchliefsen pflegen. Aber das hebräifche Selah
kann diefen Sinn nicht haben. Zu S. XXVI Z. 5 bemerke
ich noch, dafs der Verfaffer der RecJierches sur la gammc
arabe, nicht J. P. U., fondern J. P. N. Land heifst.

Giefsen. Fr. Schwally.

Carus, Dr. Paul, The history of the devil and the Idea of
evil from the earliest times to the present day. Chicago
1900. (XVI, 496 S. Lex. 8.) $ 6.

Aus drei Gründen habe ich die Redaction der Th.
L.-Ztg. gebeten, mir eine Anzeige diefer Gefchichte des

Teufels in den Spalten ihrer Zeitfchrift zu gedatten, obwohl
diefes Buch populärer gehalten id als die Mehrzahl
der hier befprochenen Schriften.

Einmal id das Buch ,die That eines Muthigen', der
,auf dem Grunde folider Forfchung den Muth der Zu-
fammenfaffung' hatte (vgl. Harnack, ,Die Aufgabe der
theolog. Fakultäten' u. f. w. Berlin 1901, S. 20). Freilich
kam ihm dabei zu Batten, dafs er in Roskoff einen
tüchtigen Vorgänger befafs. Auch will ich keineswegs
verkennen, dafs das Buch nicht überall den wiffenfehaft-
lichen Anforderungen entfpricht. So find bei der Dar-
dellung der griechifchen Gedankenreihen und Vorflel-
lungskreife, fo viel ich fehe, leider die bedeutenden Arbeiten
von Rohde und Dieterich nicht benutzt. Im
Gebiete des alten und neuen Tedamentes und der älteden
Kirchengefchichte find, trotz mancher Fehler und
wunderlicher Gedanken, doch im Grofsen und Ganzen
die beden Arbeiten zu Rathe gezogen worden. Ueber
die Dardellung der ödlichen Religionsgefchichte habe ich
kein quellenmäfsig begründetes Urtheil; aber fo viel
ich weifs, hat der Verf. auf diefem Gebiete befonders
gearbeitet. Indeffen trotz aller Mängel im Einzelnen id
der Wurf einer folchen grofsen religionsgefchichtlichen
Arbeit intereffant und lehrreich. Führt fie uns doch
! von den primitiven Vordellungen zu dem Geiderglauben
der alten Aegypter, der Akkadier und Semiten, der Perfer
und Inder, Griechen, Italiker und Nordländer, um uns
dann durch die ganze Gefchichte des Chridenthums hindurchzuleiten
, bis der Teufelsglaube durch die Kämpfe
gegen die fcheufslichenHexenverbrennungen unddurch die
wachfende Aufklärung dirbt und die Phänomene, auf die
er fich letztlich dützt, ihre pathologifche Erklärung finden.
Ja der Verfaffer vergifst nicht, uns den Teufel auch ,in
versc and fable1, (407—438) vorzudellen, wobei wir wieder
bis herunter zu unferen modernen Whtzblättern und ihren
Teufelsgedalten geführt werden. Leider vermiffe ich hier
einen fehr intereffanten Satan: Hauffs Memoirenfchreiber.
Es id ein tiefer Blick in die geidige und fittliche Entwicklung
der Menfchheit, den bei einer folchen Ueber-
ficht über die Gefchichte der Perfonification des Uebels
und des Böfen thut, wer Augen hat, zu fehen.

Das zweite, was mir werthvoll erfcheint an diefem
Buche, gerade für uns Theologen und Specialiden, id
die Bekanntfchaft mit vielen auffallenden ,Parallelen' zu
altchridlichen Vordellungen, die es vermittelt. Der Verf.
befchränkt fich nämlich keineswegs blofs auf fein Thema,
fondern zieht, wie das ganz richtig id, auch andere Gedanken
, die mit ihm in enger Verbindung dehen, zur
Erklärung heran. Diefe ,Parallelen' werden fehr ver-
fchiedenartige Bedeutung haben; manche werden fich
auch bei näherer Betrachtung als Täufchung heraus-
dellen. Immerhin bleibt noch genug übrig, was der
höchden Beachtung werth id. Die babylonifchen Parallelen
find fchon fo oft angezogen, dafs ich fie hier
übergehe (vgl. S. 32 ff. 36. 56); aber wenig beachtet
mag der Weg vom qiaQftaxov ad-avaöiaq zu den perfffchen
j Ausfagen über den /Aw;««-Trank fein, obwohl der Weg über
j die Mithrasmyderien fchon von Judin gewiefen wird (S. 57).
j Auch auf den öcorzyp-Namen und ,den Sieger' (0 vixmv) in
j derApk. fällt auf S 58 gleichfalls neues Licht aus dem Oden.
In den Commentaren wird, fo viel ich fehe, auch nicht das
buddhidifche Lebensrad (ebenfowenig wie das orphifchej
zu Jak. I, i7 citirt (S. 127), und die ,meflianifche'Hoffnung in
Indien, die fich an Vifchnu und fein Erfcheinen auf dem
weifsen Roffe anknüpft, id, fo viel ich weifs, auch noch
nicht beachtet, ebenfo wenig das buddhidifche Höllenbild
(S. 93. 128 ff.). Doch genug davon; fond komme ich in
den Ruf eines planlofen Stöberns, und überdies möchte
ich zum Selbd-Lefen und -Suchen auffordern. Wras wir
zunächd aus folchen ,Parallelen' lernen können, id: 1. Der
Synkretismus der Religionen im vorderen Orient id älter
und gröfser als man früher gemeint hat, und die Frage,
woher feine Elemente gekommen find, fchwieriger zu be-