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Ausgabe:

1902

Spalte:

250-251

Autor/Hrsg.:

Eisler, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Bewußtsein der Außenwelt 1902

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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249

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 8.

Schleiermacher'fche Gedanken; und zum Theile erft durch
Schleiermacher find verfchiedene Disciplinen der Theologie
eingeordnet worden, die Hyperius fchon gefordert hat:
Kirchengefchichte und Kirchenrecht, Kybernetik, Poimenik
und Liturgik.

Befonders werthvoll aber find für uns die Anfchauungen
des Hyperius über kirchliche Mündigkeit, weil fie in die
heute im Mittelpunkte des kirchlichen Intereffes flehende
Confirmationsfrage einfchlagen. Wenn er auch andere
Verhältnifse im Auge hat, als fie heute überall vorliegen —
denn zu Hyperius' Zeit war ja die Confirmation noch
längft keine allgemeine kirchliche Sitte, und fein Bettreben
geht mit dahin, dafs fie es werde, — fo ift doch die
Sorge, die aus feinen Ausführungen fpricht, diefelbe, die
uns heute bewegt; er fürchtet, dafs ohne hinreichende
Bewährung die Jugend die vollen Rechte erwachsene
Gemeindeglieder in Anfpruch nehmen dürfte, und fordert
deshalb eine ausgefprochene Mündigkeitserklärung, die
nur denen zu Theil werden foll, die der Katechet als
tüchtig und willig erkennt. Documentirt werden foll fie
durch die Handauflegung, der Hyperius, von Butzer be-
einflufst, einen facramentalen Charakter beilegt. Damit
hat er unevangelifche Bahnen betreten. Seine Forderung
einer Mündigkeitserklärung aber hat vielleicht noch eine
Zukunft. Wer weifs, ob nicht die gegenwärtige Bewegung
dazu führt, neben der Confirmation noch einen derartigen
kirchlichen Act einzurichten? In feiner Einleitung zu
Hyperius' De catechesi, in der er deffen Gedanken nicht
nur in ihrem hiftorifchen Zufammenhange, fondern auch
in ihrer Bedeutung für die Gegenwart befpricht, führt
Sachffe das des näheren aus.

Aus feinen Darlegungen erhellt namentlich, dafs nicht
nur ein antiquarifches, fondern auch ein durchaus actuelles
Intereffe die Herausgeber bei ihrer Arbeit leitete, und dafs
auch wirausdemStudium derHyperius'fchenSchriften nicht
nur Förderung unferes gefchichtlichen Sinnes, fondern auch
Nutzen für die gegenwärtige Praxis davontragen können.

Was die Wiedergabe der oben genannten Schriften
im einzelnen betrifft, fo druckt Cafpari einfach den
lateinifchen Text der Elcmcntachristianaereligionis nach der
Ausgabe: Marburgi Andreas Colbhis exaidebat MDLXI1I
ab, die zweifellos die Originalausgabe darftellt. Die in
demfelben Jahre bei Thomas Guarinus in Bafel gedruckte
Ausgabe hat er mit ihr verglichen und bis auf ein paar
Kleinigkeiten genaue Uebereinftimmung conflatirt. Hin-
fichtlich des Inhaltes der Elementa wird es alfo nichts
ausmachen, dafs Cafpari auf weitere bibliographifchc
Unterfuchungen verzichtet zu haben fcheint. Immerhin
wäre es intereffant gewefen — gerade weil auch fonft fo
wenig von Hyperius' Einflufs auf feine Zeitgenoffen zu
fpüren ift — zu erfahren, ob die Elementa wirklich
nur in Bafel einen Nachdruck erlebt haben. In den
katechismusgefchichtlichen Publicationen ift durchweg
über Hyperius nichts zu finden; Friederike Fricke
(Luther's kleiner Katechismus in feiner Einwirkung auf
die katechetifche Literatur des Reformationsjahrhunderts.
Göttingen 1898 S. 144f.) kennt auch nur den Bafeler
Nachdruck.

Die Homiletik und Katechetik werden, erftere von
Achelis, letztere von Sachffe in deutfehen Ueberfetzungen
dargeboten. Das ift in unferer lateinfeheuen Zeit begreiflich
; dennoch können wir ein leifes Bedauern nicht unterdrücken
, dafs nicht wenigftens der Urtext der Ueberfetzung
in Paralleldruck beigefügt worden ift; wohl nur die Rücklicht
auf den dadurch veranlafsten höheren Preis des
Buches hat das verhindert. Auch bedauern wir, dafs bei
De formandis concionibns die zweite Ausgabe von 1562
ganz unberückfichtigt geblieben ift, zumal der Wagnitz'fche
Neudruck zu den literarifchen Seltenheiten gehört. Hätte
es wohl auch zu weit geführt, die abweichenden Stellen
in extenso unter dem Texte anzugeben, fo hätten die be-
deutfamften Veränderungen (vgl. z. B. Die Homiletik und

Katechetik des Andr. Hyperius S. 10 Anm. 1) doch vielleicht
in Anmerkungen regiftrirt werden können.

Doch wir wollen dankbar fein für das, was wir haben.
Möge die forgfame Arbeit der Herren Herausgeber in
fleifsiger Benutzung ihrer Darbietungen ihren Lohn finden!

Efchershaufen i. Brfchw. Ferdinand Cohrs.

Eisler, Dr. Rudolf, Das Bewusstsein der Aussenweli Grundlegung
zu einer Erkenntnistheorie. Leipzig 1901. Dürr'-
fche Buchh. (106 S. gr. 8.) M. 2 —

Vorliegende Arbeit will einen Beitrag liefern zur
Löfung oder wenigftens Klarftellung des Problems von
der Beziehung zwifchen Vorftellung und Gegenftand. In
klarer, methodifch fortfehreitender Darftellung vertritt
der Verf. einen ,kritifchen Realismus', der dem durch
Avenarius begründeten Empiriokriticismus nahe fleht, ohne
fich jedoch mit demfelben zu identificiren.

In der Streitfrage des Verhältnifses der Erkenntnifs-
theorie zur Pfychologie, bei welcher fich der zwifchen
beiden aufs ftrengfte fcheidende Neukantianismus und
der die Erkenntnifstheorie in Pfychologie auflöfende
Pfychologismus als Extreme gegenüberftehen, neigt der
Verf. in feiner das Problem und die Methode erörternden
Einleitung mehr zu letzterer Auffaffung. Vor aller Kritik
ift eine Pfychologie nicht blofs des Aufsenweltsbewufst-
feins, fondern des Erkennens überhaupt nothwendig.
Durch Beobachtung und Analyfe mufs das in den Erkennt-
nifsbegriffen urfprünglich Enthaltene, d. h. das, was wir
felbft — nicht willkürlich, fondern durch zwingende
pfychologifch-logifche Motive veranlafst — in fie hineingelegt
haben, ohne weiter darauf zu achten, zu einem
actuell Gewufsten geftaltet werden. Wird dann aber
über die Berechtigung, die Gültigkeit des vom naiven
Bewufsfein Angenommenen geurtheilt, fo hat das Amt
der Kritik begonnen.

Ueberall legt der Verf. das ,naive' Aufsenweltsbe-
wufstfein zu Grunde und ftellt die Frage, wie dasfelbe
im Lichte der philofophifchen Reflexion gedeutet bezw.
ergänzt und corrigirt werden mufs, damit es der Grundforderung
alles Erkennenwollens: möglichfter Wider-
fpruchslofigkeit,Einheitund Begreiflichkeit desErkenntnifs-
inhaltes, genüge. Da aber jede Theorie des Aufsenwelts-
bewufstfeins von der Grundthatfache ausgehen mufs, dafs
uns die Gegenftände, feien fie nun was immer, durch die
Sinneswahrnehmung gegeben werden, fo ift zunächft der
Begriff der Wahrnehmung, befonders in feinem Verhältnifse
zur Empfindung ins Auge zu faffen. Während mit
der Empfindung nur ein einfacher Inhalt von qualitativer
Beftimmtheit ohne Beziehung desfelben auf ein
Object der Aufsenwelt gegeben ift, haben wir in
der Sinneswahrnehmung das durch Empfindung vermittelte
unmittelbare Bewufstfein von Gegcnftänden und
ihren Eigenfchaften. Das conftante Zufammen von Wahrnehmungsinhalten
, von Qualitätencomplexen nöthigt uns,
fie als im Verhältnifse zu einander felbftändige Einheiten
aufzufaffen und auf die Wahrnehmungsgegenftände die
Kategorie der Dingheit anzuwenden. Seinen eigentlichen
Inhalt aber fchöpft der Dingbegriff aus dem unmittelbaren
Wiffen des Ich von fich felber. Indem das Ich
das in fich felbft Vorgefundene in das objectiv Erlebte
hineinlegt (Jntrojection1 nach Avenarius) wird der Wahrnehmungsinhalt
wirklich als eine Art Ich, als ein dem
eigenen analoges, gleichartiges Wefen erkannt (S. 39).
Ebenfo wandern die Kategorien der Einheit und Identität.
Permanenz und Kräftigkeit (Subftantialität und Caufahtät)
vom Ich in das Object hinüber. Die Dinge aber in
diefem Sinne find nicht mehr blofse Bewufstfeinsinhalte,
fondern etwas Transfcendentes, Qualitätencomplexe mit
transfeendenten Factoren. Aus dem naiven wird der
kritifche Realismus, indem die Abhängigkeit der Sinnesqualitäten
vom erlebenden Ich erkannt und das Object-