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Ausgabe:

1902 Nr. 8

Spalte:

239-241

Autor/Hrsg.:

Roth, Friedrich

Titel/Untertitel:

Augsburgs Reformationsgeschichte 1517 - 1530. 2., vollst. umgearb. Aufl 1902

Rezensent:

Bossert, Gustav

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239

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 8.

240

Was nun die zwifchen uns nach fchwebenden Probleme
betrifft, fo mufs ich bekennen, dafs der Verfaffer
mich an keinem wichtigen Punkte überzeugt hat, obgleich
ich von einem fo umfichtigen Forfcher zu lernen gerne
bereit und ihm für ein paar Correcturen dankbar bin.
Meine Ausführungen über die Entftehung des Apoftol.
Symbols, den IL Clemensbrief und Papias hat er nicht
fo gründlich und genau erwogen, wie er es fonft zu thun
pflegt; über Hegefipp werden wir noch einmal reden,
wenn die neue Eufebius-Ausgabe erfchienen fein wird;
die Thefe, dafs die Petrusacten wie die des Johannes
gnoftifchen Urfprunges, ja wahrfcheinlich von einem
Verfaffer feien, ift durch die Gründe, die er S. 417 anführt
, fchlecht gedeckt, da keine diefer Inftanzen, wie B.
felbft wiffen mufs, den gnoftifchen Urfprung ficher ftellt.

Neue Argumente in Bezug auf controverfe Probleme
hat der Verf. fo gut wie nirgendwo geltend gemacht (doch
f. die Ausführungen über Hermas). Eben defshalb verharre
ich bei den Anfätzen und Urtheilen, wie ich fie
gegeben; denn die Gegeninftanzen, welche er anführt, zu
erwägen, haben mir bereits die Arbeiten von Funk, Zahn
und Anderen Gelegenheit gegeben. Neues wird man in
dem Werke überhaupt nicht viel finden; aber das foll
kein Vorwurf fein: die neue kritifche Durcharbeitung des
gefammten Materials ift vom höchften Werthe. Nur in
einem Abfchnitte wird der Verf. feine Lefer enttäufchen,
nämlich in dem der gnoftifchen Literatur gewidmeten.
Hier ift nicht nur der Mangel an tieferen und weiteren
Gefichtspunkten am empfindlichften, fondern auch die
literarhiftorifchen Ausführungen find zu kurz, ja an
einigen Stellen geradezu flüchtig. Man vergleiche z. B. die
dem Apelles oder die der koptifch-gnoftifchen Literatur
gewidmeten Abfchnitte. Dafs Hermogenes ein refpectabler
Denker gewefen ift mit wirklich originellen Ideen, erfährt
man überhaupt nicht, u. f. w. Für das .Gnoftifche' ift
diefes Werk mithin wenig brauchbar; aber fonft wird es,
deffen bin ich ficher, von Katholiken und Proteftanten
gleichmäfsig als ein fehr willkommenes und zuverläffiges
Hülfsmittel für patriftifche Studien begrüfst und mit Dank
benutzt werden.

Berlin. A. Harnack.

Roth,Friedrich, AugsburgsReformationsgeschiclitel517-1530.

Gekrönte Preisfchrift. Zweite vollftändig umgearbeitete
Auflage. München 1901, Th. Ackermann. (XVII, 381
S. gr. 8.) M. 6.-

Gerade vor 20 Jahren war die erfte Auflage diefes
preisgekrönten Buches erfchienen, das jetzt völlig unge-
arbeitet und reich vermehrt erfcheint. Aus 257 S. find
381 fammt dem Regifter geworden. Roth hat nicht nur
die feitdem erfchienene Literatur, fondern auch das Augsburger
Stadtarchiv, das bifchöfliche und das St. Anna-
Archiv und zahlreiche Handfchriften der Augsburger
Stadtbibliothek benützt. Dazu boten die gedruckten
Chroniken, befonders die von Wilh. Rem, Clemens Sender
und Pirm. Gaffer werthvolles Material. In allen Capiteln
ift darum eine Bereicherung zu fpüren. Dabei war es
dem Verfaffer möglich, auch die Jahre 1529 und 1530, die
man in der erften Auflage fchmerzlich vermifste, heranzuziehen
. Man fieht vielfach, wie der Verfaffer aus dem
Vollen arbeitet und doch die grofse Kunft derBefchränkung
zu üben weifs. Auf diefe Weife gelingt es ihm, fchon im
erften Capitel ein Bild von Augsburg beim Beginne der
Reformation zu zeichnen, das ungemein feffelt. Das
frühere zweite Capitel vom Reichstage zu Worms bis
zum Abfchiede des zweiten Nürnberger Reichstages ift
nunmehr in zwei Capitel zerlegt 1. die politifchen Ver-
hältnifse vom Wormfer Reichstage bis zum Bauernkriege
S. 87—112 und 2. die Fortfehritte der Reformation vom
Reichstage zu Nürnberg bis zum Bauernkriege.

Der von dem Barfüfser Joh. Schilling hervorgerufene

Aufftand tritt in feiner ganzen Gefährlichkeit hervor. Faft
bedauern möchte man, dafs in der Schilderung der
Folgen des Bauernkrieges die in der erften Auflage fcharf
gezeichnete Charakterfigur des Bundesprofofen Berthold
Aichelin, der wie ein Würgeengel durch Schwaben zog, in
Wegfall gekommen ift, wahrfcheinlich weil Roth die furchtbare
Thätigkeit des Henkers, dem über 1200 Menfchen zum
Opfer fielen, nicht auch in Augsburg nachweifen konnte.

Befonders ftark kommt die Bereicherung der zweiten
Auflage den Capiteln vom Abendmahlsftreite und den
Wiedertäufern zu gute. Jetzt tritt diePerfon Mich. Keller's,
feine Herkunft, fein ganzes Auftreten und die Macht
des Zwinglianismus viel heller in den Vordergrund. Die
pfeudonyme Schrift gegen Bugenhagen, deren Verfaffer
fich Conrad Reyfs von Ofen nannte, ift ficher als Werk
Mich. Kellers erwiefen. Veefenmeyer und Keim haben
I gegen Uhlhorn recht behalten. Sehr erfreulich ift auch
das Licht, das jetzt auf Huberinus fällt, deffen Herkunft
j jetzt ficher feftgeftellt ift. Einiges Bedenken hat Ref.
gegen die Annahme, dafs der Rath von Augsburg zwei
reine Privatleute auf die Berner Disputation gefchickt
hätte (S. 307). W. Wackinger und Kafpar Huberinus müffen
irgendwie Männer des öffentlichen Vertrauens gewefen fein,
wenn das Erfcheinen von Privatperfonen als Augsburger
Abgefandten in Bern nicht Befremden hervorrufen follte.

Man wird auch den Freundeskreis von Huberinus
noch etwas näher erforfchen müffen. Wie kennen aus
den Widmungen feiner Schriften als feinen Gönner Martin
Weifs, den Freund desRhegius (S. 136), Moritz Kern, 1521
in Tübingen, fpäter in Wittenberg gebildet und 1539
Pfarrer zu Welzheim, gebürtig aus Krumbach (Bl. f.
württb. KG. 1887, 64. De Wette, Luthers Briefe 5, 177),
' Hans Möfcht, wahrfcheinlich Pfarrer in Schwaben, Veit
Satler, wohl aus Bayern, und Margareta von Sachfenheim
(Widmung des Streitbüchleins 1541). Ein Abdruck feines
Berichtes über die Reformation in Augsburg nach dem
Codex Gothanus Fol. Nr. 91 wäre fehr erwünfeht. Die
■ Bruchftücke, welche German in feinem Joh. Forfler bietet,
genügen nicht, um ein ficheres Urtheil über den praktifch
reichbegabten Mann zu ermöglichen.

Das Capitel ,Wiedertäufer zeigt, wie fich Augsburg
zu einem Mittelpunkte diefer rafch bis in den fernen
Often fich verbreitenden Secte, zu einem ihrer ,Tauben-
kobel' eignete. Aber nirgends zeigen fich irgendwelche
I fichere Spuren einer Anknüpfung an jene .altevangelifche'
I Gemeinde, die Ludwig Keller's A und O geworden ift.
Allerdings ift Augsburg ficher, wie Roth S. 34 fagt, ein
Sitz der Waldenferbewegung gewefen. Die auf Verbreitung
der deutfehen Bibel und der myftifchen Schriften
des Mittelalters gerichtete Thätigkeit der Augsburger
j Buchdrucker fcheint nach Roth auf Einwirkung von
Ketzern hinzudeuten. Es ift jedenfalls merkwürdig, dafs
in den Jahren 1473—1490 nicht weniger als 6 Augsburger
Ausgaben der heil. Schrift erfchienen. Aber die von
Keller behauptete Identität der beiden 1524 hingerichteten
Aufrührer Hans Kag und Hans Speifer mit Hans Koch
und Leonh. Meifter, die fchon H. Haupt zurückgewiefen
hat, erweift Roth als ganz unmöglich. Die Zeugenaus-
j fage, die Roth mittheilt, zeigt in Kag einen Mann, der
I nichts weniger als ein Mitglied einer frommen Waldenfer-
! gemeinde oder gar einer ihrer Führer gewefen fein kann.
I Der Schulmeifter Leonhard von Linz ift, wie Ref. in dem
j Jahrbuch z. Gefch. des Prot, in Oefterreich 1900, S. 131
j gezeigt hat, Leonhard Freisleben oder Eleutherobius. Zur
j Wirkfamkeit Jörg Nefpitzer's von Paffau in Franken S. 234
vgl. Theol. Studien aus Württb. 1882, S. 187. Er war ein
Leineweber. Einige kleine Berichtigungen hat Ref. beim
Lefen notirt. S. 217 Z. 11 v. u. L 1896, Z. 6 v. u. 1. Steph.
ftattjoh., S. 285 Z. 11 Herbrechtingen bei Giengen. Die
i in 16. Jahrh. vorkommende Namensform Herbertingen
! bezeichnet heute ein Dorf im Oberamt Saulgau, das hier
! nicht gemeint fein kann. S. 286 Z. 1 1. Ehfes, S. 290.
Z. 21 wird die richtige Form des Namens Stöfs fein,