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Ausgabe:

1902 Nr. 8

Spalte:

233-235

Autor/Hrsg.:

Frey, Johannes

Titel/Untertitel:

Die zweimalige römische Gefangenschaft und das Todesjahr des Apostels Paulus. Ein Beitrag zur neutestamentlichen Chronologie 1902

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 8.

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giltige folgt; befteht fie aber darin, dafs das ganze, dann
lebende Israel gerettet werden foll, (denn von den Toten
ift keine Rede), fo konnte Paulus auch 93 für die ungläubigen
Zeitgenoffen verdammt fein wollen.

Liegt fonach auch hier kein Grund vor, ein älteres
Schriftflück aus dem Römerbrief auszufcheiden, fo noch
weniger in dem Verhältnifs desfelben zum Galaterbrief.
Ich habe diefen ja früher felbfl für fpäter als jenen gehalten
, aber feitdem eingefehen, dafs die von mir beigebrachten
Gründe nicht zwingend waren. So kann ich
auch nicht auf eine ältere Quelle des Römerbriefes fchliefsen
und noch weniger aus der engeren Berührung desfelben
mit dem Jakobusbrief. Sp. erklärt diefen ja für ein nur an
zwei Stellen überarbeitetes jüdifches Schriftflück; aber
auch wenn man ihn fortdauernd als Werk eines Chriften
anfleht, kann man ihn unmöglich für vorpaulinifch halten;
denn der Standpunkt, gegen den Jak. 214 ff. polemifirt,
war vor Paulus und vollends im Judenthum unerhört.

Es erübrigt alfo nur noch, die Annahme einer in
7*4—24 enthaltenen älteften, jüdifchen Quelle auf ihre
Berechtigung zu prüfen; und hier mufs ich allerdings
Sp's. Vorausfetzungen zuftimmen. Er bezeichnet es,
wie ich, als pfychologifch unwahrfcheinlich, dafs Paulus
mit Vers u auf einmal im Präfens eine Schilderung von
dem erhebt, was Vers 9—11 im Präteritum dargeftellt ift,
alfo von etwas Vergangenem, dem Zuftande des Unwiedergeborenen
; ich würde noch hinzufetzen, dafs der
Verzweifelungsfchrei Vers 24 zur Komödie wird, wenn fich
Paulus nur in jenen längft überwundenen Zuftand zurück-
verfetzt hat. Trotzdem aber glaube ich, dafs diefe
Schilderung (ohne dafs Vers 25bc vor 24 gefleht zu werden
brauchte) mit dem fonftigen Urtheil des Apoftels über
das Verhältnifs des Chriften zur Sünde wohl vereinbar
ift. Denn wie das avxbq hycö zeigen dürfte, ift jene
Schilderung doch immer nur einfeitig, der Sieg über die
Sünde aber — das beweifen ebenfo Stellen wie I. Kor.
924 ff. und Phil. 312 — auch bei Paulus nur ein princi-
pieller. Zur Annahme einer älteren Quelle liegt alfo hier fo
wenig wie fonft genügender Grund vor; der Römerbrief
kann vielmehr — etwa mit Ausnahme der Schlufsdoxologie,
über die jetzt auch noch Bacon, Journal qf Biblical
Literatur* XVIII, 1899, 167ff. und Moffatt, The Hi-
storical New Testament 1901, 631 ff zu vergleichen wäre —
nach wie vor als einheitlich gelten.

Halle a. S. Carl Clemen.

Frey, Mag. theol. Johannes, Die zweimalige römische Gefangenschaft
und das Todesjahr des Apostels Paulus. Ein

Beitrag zur neuteftamentlichen Chronologie. (Als Manu-
fkript gedruckt.) Jurjew (Dorpat) 1900. (Leipzig,
A. Deichert'fche Verlagsbuchh.) (S. 263—301 Lex. 8.)

M. —.80

Die Annahme einer zweiten römifchen Gefangen-
fchaft des Paulus, die eine Zeit lang entfehieden unmodern
geworden war, hat neuerdings wieder zahlreiche
Vertreter gefunden, deren Argumente aber zum Theil
auch noch nicht durchfehlugen. Frey will deshalb die
Echtheit der Paftoralbriefe und das fonft angeführte
Zeugnifs der alten Kirche von vornherein preisgeben,
meint aber doch, eine zweite römifche Gefangenfchaft
als gefchichtlich erweifen zu können. Und zwar verfucht
er das auf drei verfchiedenen Wegen.

1. Zur Zeit des zweiten Timotheusbriefes fei die
Lage des Apoftels völlig ausfichtslos, während er im
Philipperbriefe trotz aller Müdigkeit und Todesfehnfucht
doch auf Befreiung rechne und ebenfo die Apoftelge-
fchichte einen günftigen Ausgang feines Proceffes erwarten
laffe. Ich will dem gegenüber nicht auf Act. 2025 ver-
weifen; denn darüber könnte man in der That mit Frey
fagen: ,auch wenn der Verfaffer gewufst hat, dafs die
damalige Ahnung Pauli fich nicht erfüllt hat, hätte er

die Szene in Milet nicht anders erzählen können, fondern
fie höchftens ganz weglaffen müffen. Selbft eine nachträgliche
Notiz, Paulus hätte damals zu fchwarz gefehen,
hätte nur den Nerv der ganzen Erzählung durchfehnitten'.
Aber heifst es im Philipperbrief 217 nicht auch: aXXa
si xai (jjisvöofiai hm x% %-vöia xal Xecxovnyia xrjg m-
Orecoq vfiwv und umgekehrt II. Tim. 41s: QVGsxai [is 6
xvgioq aJtb mxvxbq EQyov sxovrjgov, das doch wohl nach
dem Vorhergehenden zu verliehen ift? Frey meint
freilich (nach vielen anderen von Eufeb bis Zahn), gerade
hier einen directen Hinweis auf eine zweite Gefangenfchaft
finden zu können, fofern danach die erfte
Procefsverhandlung einen officiellen Abfchlufs gefunden
habe; aber er überfieht dabei, dafs eine Mittheilung
darüber für Timotheus, der feitdem (zur Zeit des Philipperbriefes
) wieder bei Paulus gewefen, doch eine fehr
alte Neuigkeit war, während diefer die Verhandlung vor
Feftus fehr wohl fo befchreiben konnte: denn hoffte er
nicht, (feiner optimiftifchen Anfchauung von der römifchen
Obrigkeit, wie fie doch auch Rom. 13 durchblickt,
entfprechend) freigefprochen zu werden und zu neuer
Miffionsarbeit Gelegenheit zu bekommen, fo hätte er
natürlich überhaupt nicht an den Kaifer appellirt. Allerdings
paffen zu diefer Situation nun nicht die fonftigen
Angaben des zweiten Timotheusbriefes und der beiden
anderen Hirtenfchreiben über die Lage des Apoftels;
aber das beweift eben nur von neuem, dafs diefelben
nicht einheitlich find, eine Erkenntnifs, der neuerdings
auch Harnack und Hilgenfeld Ausdruck gegeben haben,
und mit der Frey von vornherein ganz anders hätte
rechnen follen. Dann würde er wohl auch die fonft in
den Paftoralbriefen vorausgefetzten Verhältnifse nicht auf
eine, ihrem Verfaffer überlieferte zweite Gefangenfchaft
des Paulus gedeutet haben.

2. Aus I. Clem. 5 entnimmt Frey, felbft wenn § 7
mit Bergmann zu Bereichen wäre, dafs man von uns unbekannten
Gefangenfchaften des Paulus und (da die
Interpolation fchon früh ftattgefunden haben müfste)
von einer Reife nach Spanten wufste, und hat mit dem
Letzteren unzweifelhaft Recht. Aber auch er hat nicht
gezeigt, dafs diefe Tradition nicht aus Rom. 15 entftan-
den fein kann und bereits eine Befreiung aus der erften
Gefangenfchaft vorausfetzen mufs; von einer folchen ift
vielmehr ausdrücklich zuerft in den apokryphen Apoftel-
gefchichten und im Kanon Muratori die Rede — fei es
nun, weil fich die fpanifche Reife nicht anders unterbringen
liefs, fei es wegen des zweiten Timotheusbriefes,
den doch auch viele andere fchon im Alterthum wie
Eufeb verftanden haben. ,Dafs die genannte Tradition
nicht erft feit dem Ende des zweiten Jahrhunderts nachweisbar
ift, fondern fpäteftens dem erften Anfange desfelben
angehört, beweift das Clemenszeugnifs im Zu-
fammenhalt mit den Paftoralbriefen' auch noch nicht.

3. Dafs Paulus nicht in der neronifchen Verfolgung
umgekommen ift (was doch derfelbe Clemensbrief, deffen
Zeugnifs eben fo hoch gefchätzt wurde, vorausfetzen dürfte),
folgert Frey zunächft aus der (erft'bei Tertullian begegnenden
) Tradition von feiner Enthauptung, dann der
Nachricht des Cajus von feinen xobncua an der via
Ostiensis (die nicht die Richtftätte zu bezeichnen brauchen),
endlich der (kaum fo zu preffenden) Notiz der Apoftel-
gefchichte, Paulus habe nach feiner Ankunft im Frühling
öiexiav oltjv in Rom gepredigt, ehe er — fo erklärt
man ja diefen abrupten Schlufs gewöhnlich — Herbft 64
hingerichtet wurde. Frey nimmt deshalb vielmehr an,
Paulus fei, nachdem er fchon 61 nach Rom gekommen,
63 freigefprochen worden, nach dem Orient und Spanien
gereift, hier 64 in Zufammenhange mit der neronifchen
Verfolgung verhaftet, 65 nach Rom gefchafft und hier
66 oder 67 enthauptet worden. Ich mufs dagegen, von
allem anderen abgefehen, namentlich das Schweigen der

j Apoftelgefchichte geltend machen; denn wenn diefelbe
| auch nach i8 nur den Lauf des Evangeliums bis in die

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