Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1902 Nr. 7

Spalte:

205-207

Autor/Hrsg.:

Deissmann, Adolf

Titel/Untertitel:

Ein Orginaldokument aus der Diocletianischen Christenverfolgung 1902

Rezensent:

Harnack, Adolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

205

Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 7.

206

Schrift als ,eine hochkirchliche Parallelerfcheinung zum j und dann verworfen hat, eintreten möchte. Es handelt
Montanismus' (357) bezeichnen dürfen. Stahl ift fo wie fo fich um die Frage, ob xrv jioXixixrjv oder xrjv üoXixixrjv
genöthigt, in feinen Ausführungen über das Verhältnifs zum zu fchreiben bez. ob ,die öffentliche Dirne' oder ,die
Montanismus den Hirten über Gebühr herabzurücken und } Politike' zu überfetzen ift. Beides fcheint an fich gleich

möglich. Gegen die erfte Auffaffung (fo die erften Herausgeber
) fcheint zu fprechen, dafs die betreffende chriftliche
Frau (die jedenfalls keine jtoXixixr] gewefen fein kann,
fondern die man verbannt und zugleich ehrlos gemacht
hatte) doch fchwerlich von ihren Glaubensgenoffen
jioXixixrj genannt worden ift.J) Daher lehnt Deifsmann fie
ab und entfcheidet fich für den Eigennamen ,Politike'.
Allein es fcheint mir fehr precär, hier den Zufall hinnehmen
zu müffen, dafs eine von dem Richter in die
Oafe verfchickte Brau den ominöfen Namen ,Politike'
getragen hat. Aber wie? follen chriftliche Brüder ihre
verbannte Schwerter ,die öffentliche Dirne' genannt haben?
Das ift gewifs unglaublich. Indeffen giebt es, wie mir

fomit auch die Didache, die er ungefähr gleichzeitig
fetzt, als recht junge Schrift zu beurtheilen. Der Ab-
fchnitt über das Verhältnifs zur Didache (S. 278 ff.) ift
überhaupt verfehlt; einen .Reformator' kann man Hermas
im Verhältnifs zu ihren Ausführungen über das Geben
(i6; die Liebesrückficht im Hinblick auf den Empfänger
foll doch von voreiligem Geben zurückhalten!) unmöglich
nennen. Und wenn (S. 286 ff.) bezüglich 2. Clem.
eine ältere Hypothefe wieder aufgewärmt wird, als fei
in der 2. Vis. des Hermas eben jene Predigt (!) gemeint,
fo ift ihre Billigung durch folgende Erwägungen ausge-
fchloffen: i. es handelte fich doch um eine prophetifche
Schrift, die nach dem Zufammenhange von der Vis. II
excerpirten nicht fo verfchieden gedacht fein konnte;
2. es ift nicht prophetifche Art, Schriftftellen zu excer-
piren und allegorifch wiederzugeben; 3. was bleibt im
2. Clem. übrig, das mit dem dargeftellten Inhalte von
Vis. II irgend welche Verwandtfchaft hätte? 4. Solche einfache
Forderung wie die der abfoluten Reinheit des
Chriftenlebens erklärt fich doch auf hiftorifchem Wege
einfacher als mit Zuhülfenahme der literarifchen Benutzung.
Zudem ift 5. 2. Clem. wahrfcheinlich gar nicht in Rom ent-
ftanden; und 6. wird die Schwierigkeit, dafs zwei kirchlich
hervortretende Männer Namens Clemens nach einander
(der eine ein halbes Jahrhundert fpäter) in Rom gelebt haben
follen, durch die Hypothefe gar nicht befeitigt.

Betheln (Hann.). E. Hennecke.

fcheint, zwei Auswege: entweder bedeutete 77 jioXixixtj
damals nicht ,die öffentliche Dirne' — die Belege für
diefen Sprachgebrauch find m. W. fpät —, fondern hatte
einen weiteren Sinn (= die Staatsverbrecherin), oder aber
man mufs die Beobachtung, dafs der Brief den Chriften-
ftand aller Betheiligten gefliffentlich verdeckt, auch auf
die Bezeichnung r jcoXixixrj ausdehnen. Deifsmann hat
diefe Verdeckung nachgewiefen (f. feine Bemerkungen zu
xolg xaXolq xal mGxolq), aber er ift m. E. nicht energifch
genug in der Durchführung diefer Betrachtung gewefen.
So überfetzt er auch ,etg xrjgrjGiv' m. E. nicht richtig ,in
Obhut' (bez. S. 19 gar: ,fie findet ein Obdach'); es mufs
heifsen ,in Gewahrfam' (f. z. B. Act. Apoft. 4, 3; 5, 18,
wo xTjQqöiq einfach = Gefängnifs ift). Das Schreiben
will alfo, falls es in unrechte Hände kommen follte, den
Anfchein erregen, als fei eine Dirne in Gewahrfam genommen
. Das Verhältnifs zur Gilde der Todtengräber
bleibt, wie man auch erklären mag, gleich dunkel. Man
kann vermuthen, dafs die zur Dirne Verurtheilte ihnen
zugefprochen worden ift und dafs fich die Chriften unter
ihnen der Frau bemächtigt und fie internirt haben, um fie
nicht ohne Opfer und Gefahr zu bewahren, bis ihr Sohn
Nilus gekommen fein und zur Auslöfung der Mutter —
Geld gebracht haben wird. Deifsmann geht über die
angekündigte Ankunft des Sohnes fchnellen Fufses hinweg
; dieThatfache aber, dafs die xijgrjGtg fo lange dauern
wird, bis der Sohn gekommen ift, läfst fchwerlich eine
andere Auffaffung zu als die, dafs der Sohn Geld bringen
und die Mutter auslöfen wird. Dafs der Brief wirklich
klar geworden fei, will ich nicht behaupten. Solange wir
von den ,Todtengräbern' und den Beziehungen der chrift-
lichen Presbyter zu ihnen nichts wiffen, find wir auf Vermuthungen
angewiefen. Ich geftehe aber, dafs mir die
Grundlage der Annahme, dafs Chriften in beiden Ort-
fchaften unter den Todtengräbern zu fuchen find, keineswegs
ficher ift. Alles hängt hier an dem IgauT/Jc. So
foll nach Wilcken und Deifsmann gelefen werden;
allein die Stellung des Wortes ift höchft auffallend, ja
kaum erträglich. Die erften Herausgeber lefen Ig avxcöv,
was auch nicht befriedigt. Das Wort ift, wenigftens auf
dem Lichtdrucke, nicht recht leferlich (eg . '. x . .)•, man

Deissmann, Prof. D. Adolf, Ein Originaldokument aus der
Diocletianischen Christenverfolgung. Papyrus 713 des
British Mufeum herausgegeben und erklärt. Mit einer
Tafel in Lichtdruck. Tübingen 1902, J. C. B. Mohr.
(VII, 36 S. gr. 8.) M. 1.50

,PEVOGigEi(-giq) jrgEOßgco(-goq) anoXXcovi ngtGßvxEgco
ayamjxco aösXcpco ev xco x<xiqeiv. mqo xcov oXcov jtoXXa
öe ctOJtaC.oficu xai xovg naga g01 Jiavxaq aösXcpovq er &co.
yivcoGxeiv ge 0-eXco aöcXcps oxi 01 VExgoxacpoi svrjvoxaoiv
sv&aöt Eig to £ö03 xrjv m>Xixixi]v xrjv xeftcp&EiGav eiq
oaGiv vjio xijg ?)ysuoviag xcu ravxrjv JiagaÖEÖcoxa xoiq
xaXoiq xai nioxoiq sgavxtjq xcov vexgoxacpcov stg xrgrGiv
eöx av eX&t] 0 vioq avxrjq vEiXoq. xai oxav eXO-rj övv &eco
uagxvgtjGi 001 Jtsgi cov avxrjv jiEJioirjxaGiv. ör/XcoGov 6s
(toi xai öv Jicgi cov frsXciq Evxav&a ijdecoq jcoiovvxi.
sggcooirai ge Evxoftai sv xco d-co.

Deifsmann überfetzt:

,Pfenofiris der Presbyter an Apollon den Presbyter,
feinen geliebten Bruder im Herrn Heil! Vor allem grüfse
ich Dich vielmals und alle bei dir befindlichen Brüder in
Gott. Wiffen laffen möchte ich dich, Bruder,, dafs die
Todtengräber hierher in das Innere die Politike gebracht
haben, die in die Oafe gefandt ift von der Regierung.
Und ich habe fie fogleich den Trefflichen und Gläubigen

unter den Todtengräbern in Obhut übergeben bis zur j erwartet, dafs die vtxgoxctcpoi an der "zweiten Stelle
Ankunft ihres Sohnes Neilos. Und wenn er mit Gott 1 mit den vorher Genannten identifch find und dafs

gekommen ift, wird er Dir von allem Zeugnifs geben,
was fie an ihr gethan haben. Thue mir aber auch Deiner-
feits kund, was Du hier gethan haben möchten;; ich thue
es gern. Ich wünfche Dir Wohlergehen im Herrn Gott'.

Der von Grenfellund Hunt publicirte Papyrus ift
von Deifsmann gründlich unterfucht und erläutert
worden. Dafs er ein chriftlich.es Document aus den Verfolgungszeiten
(ann. 250fr.), wahrfcheinlich aus der Dio-
cletianifchen Zeit ift, ift fichergeftellt. Die Erklärung ift
im Einzelnen fo anziehend, dafs ich durch ein Referat

fich daher das ,ex . . . .' auf jcagaÖEÖcoxa bezieht. Ift
nicht Ig dvxlrjq zu lefen, fo dafs die xaXol xai mar61 im
Gegenfatze flehen zu den rohen Todtengräbern, die fie
hergefchleppt haben? In diefem Falle fällt die von Deifsmann
gegebene Erklärung dahin; die Sache wird viel
einfacher; weder giebt es Todtengräber hier und Todtengräber
dort, noch befinden fich Chriften unter ihnen,
fondern (heidnifche) Todtengräber haben die verurtheilte

l) Nicht einwenden darf man, dafs ehrbare chriftliche Frauen der

Niemanden um den Genufs der LeCtÜre bringen will. Ich j ^ren l**»*e jn der Regel nur verbannt, umgekehrt aber unfreie Weiber
.. „j . r r>ii' u it. . 1 n'cnt verbannt, fondern in loco geftraft worden find: denn in befonderen

Werde aber auf einen Punkt eingehen, an welchem ich Fallen gefchah auch ehrbaren Frauen der befferen Stände das Aeufserfte,
tur eine Möglichkeit, die Deifsmann lorgtaltlg erwogen ! namentlich unter Maximinus Daza.