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Ausgabe:

1902 Nr. 7

Spalte:

199-202

Autor/Hrsg.:

Goltz, E. Freiherr v. der

Titel/Untertitel:

Das Gebet in der ältesten Christenheit 1902

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Theologifche Literaturzeitung. 1902. Nr. 7.

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Literaturgenre entwickelt hat, für das feine eigenen
Schriften das grofse Paradigma bilden'. Die vielleicht
zu hohe Einfehätzung feines Einfluffes ift immer noch
beffer als die Geringfehätzung, der man jetzt in der
deutfehen gelehrten Literatur gelegentlich begegnet.

Was den Oberbau der Darftellung oder, wie Aall
felbft es nennt, die ideengefchichtliche Seite anbetrifft,
fo mufs man zunächft von der Erklärung im Vorworte
Act nehmen, dafs der Verf. fich nicht die Förderung
der Erkenntnifs davon, wie Jefus gefchichtlich aufgefafst
worden ift, zum Ziele der Unterfuchung gefleckt hat,
und dafs man demnach für die Frage, welche Wirkung
'die Logosidee für das gefchichtliche Verftändnifs von
Jefus Chriftus gehabt hat, verhältnifsmäfsig wenig Material
finden wird. Dies ift auch der fachliche Grund, weshalb
Aall die Bemerkungen des letzten Capitels (f. ob.) fo
knapp gefafst hat, ein Grund, der mir deshalb nicht
zuzureichen fcheint, weil m. M. n. auch die fpätere
dogmengefchichtliche Periode, die feit den trinitari-
fchen und chriftologifchen Auseinanderfetzungen, genug
Anhaltspunkte für das von Aall verfolgte befondere
Thema bietet. Diefes Thema ift ihm von der Erwägung
aus gegeben, dafs thatfächlich eine griechifche Idee, eben
ciie Logosidee, auf einem neuen Boden ein neues Da-
fein gewonnen hat. Ihre Modificationen will er verfolgen,
daneben aber der Frage nachgehen: wie viel oder wie
wenig ift an dem alten Begriffe von feinen technifchen
Formen, von feiner primitiven Art, von feinem Geilte
in den einzelnen Fällen vorhanden, in denen er wiederholt
wird? Bei folcher Frageftellung ift es wiederum ungerecht
mit Lüdemann a. a. O. dem Verf. entgegenzuhalten,
er verkenne durchaus das von Anfang bis zu Ende durchgehende
, ausfchliefslich wirkfame chriftologifche Motiv
für die Heranziehung des Logosbegriffes bei den Chriften,
auch bei den Apologeten. Diefer Tadel wäre dann berechtigt
, wenn wir es mit einer dogmengefchichtlichen
Frageftellung zu thun hätten. In Wahrheit verkennt
Aall diefe unverkennbare Sachlage fo wenig, dafs er
ihrer zu wiederholten Malen gedenkt, freilich immer mit
dem Hinweife darauf, dafs eben durch diefes chriftologifche
Motiv die Logosidee eigenthümlich eingeengt
und gehemmt wird. Ueber den Werth der Synthefe
Chriftus-Logos kann ja, wie der Verf. felbft mit Recht
hervorhebt, verfchieden geurtheilt werden und ift von
Chriften, Philofophen und nicht zuletzt philofophirenden
Chriften ftets verfchieden geurtheilt worden.

Giefsen. G. Krüger.

Goltz, Lic. theol. Paft. Eduard Freiherr von der, Das
Gebet in der ältesten Christenheit. Eine gefchichtliche
Unterfuchung. Leipzig 1901, J. C Hinrichs'fche Buchh.
(XVI, 368 S. gr. 8.) M. 6.80; geb. M. 7.80

Ein weitfehichtiges Thema, das der Verfaffer darzu-
ftellen fich vorgenommen und deffen Umfang nur wenig
durch feine zeitliche Begrenzung eingefchränkt wird!
Denn es ift bekannt, dafs vieles, was in den fpäteren
Liturgien und Gebetsformen (f. dem 4. Jahrh.) auftaucht,
feinem Urfprunge nach in der Anfangszeit angelegt ift
und, wo deren gefchichtliche Daten nicht hinreichen,
auf demWege desRückfchluffes und der genaueren Quellenvergleichung
annähernd gewonnen werden kann. Derartige
Unterfuchungen, für die es auch im vorliegenden
Buche nicht an Beiträgen und methodifchen Hinweifen
fehlt (S. 242 ff.), haben vorwiegend die Gefchichte des
kirchlichen Gottesdienftes zum Gegenftande und werden
nur mehr geftreift. Der Katholik Probft hatte 1871
,Lehre und Gebet in den drei erften chriftlichen Jahrhunderten
' zufammenhängend behandelt, aber letzteres
bei weitem nicht fo eindringend und ausführlich, wie es
hier gefchieht, und mit confeffionellem Accente. Seitdem
ift in Fünzelunterfuchungen proteftantifcherfeits ,die Lehre

I vom Gebet nach dem N. T.', insbefondere mehrfach die
Anbetung Chrifli dargeftellt; an diefe Unterfuchungen
knüpft v. d. Goltz in den erften Theilen feines Buches an.

Er gefleht in der Vorrede zu, dafs es eine fehr
zarte Aufgabe fei, das Gebet in der älteften Chriftenheit
zu behandeln, und dafs die Quellen, welche uns Gebetsworte
oder Aeufserungen über das Gebet überliefern,
eigentlich nur indirecte Zeugnifse abgäben, denn ,die

I Gebete felbft gehören eigentlich nur dem Augenblick
an, in dem fie gefprochen wurden' (S. VI). Als einfeitig
fieht er fowohl die literarifche wie die archäologifche Behandlung
des Problemes an (thatfächlich hat er, wie nicht
zu vermeiden war, in beiderlei Richtung gearbeitet) und
fchliefst auch, was fchwerwiegender ift, die Prüfung des
Lehrgehaltes der Gebetsformeln und dogmengefchichtliche
Verwerthung aus. Seine Hauptabficht ift, auf das ,hinter
den Gebetsworten verborgene innere Leben . . . die
Aufmerkfamkeit zu richten', das im Einzelnen wie bei
der Gemeinde vorhanden fein kann und in Jefus Chriftus
feinen Urfprung hat. Das fei die ,im engern Sinn
theologifche Aufgabe' diefer Unterfuchung (S. VIII). Man
wird fie richtiger als theologifche Aufgabe im weiteren
Sinne bezeichnen, denn fo fehr das Berechtigte des

I gegenwärtigen wiffenfehaftlichen Beftrebens anerkannt
werden foll, das innerchriftliche Leben nach Gehalt
und Urfprung zu befchreiben, nachdem die grofsen
Linien der theologifchen und kirchlichen Gefammt-
entwickelung einigermafsen herausgearbeitet find, fo

I fehr mufs doch auf die bei folcher Zweckbeftimmung

j fich leicht einftellende Gefahr hingewiefen werden, dafs
man die ftraffen Zügel der hiftorifchen Problemftellung
aus den Händen verliert und mit den nicht immer zureichenden
Darftellungsmitteln ein Gemälde liefert, in
dem die Farben, ftatt fich gegenfeitig zu beleuchten, in
einander überfliefsen. Da würde mehr durch Schlaglichter
, die von aufsen hereinfallen, gewirkt. Das jüdi-
fche Element, welches in den altchriftlichen Gebetsftoff,

I den paulinifchen fchon eingerechnet, überging, hat der
Verf. zwar ausreichend, wenn auch nicht zufammenhängend
, berückfichtigt, auf die heidnifchen Gebetsvor-
ftellungen, die doch in gewiffem Sinne die Unterlage
für die Gebetsübung der grofsen Heidenchriflenfchaft der
erften Jahrhunderte bildeten und bei manchen Kirchenvätern
, z. B. in der Lehre von der Dämonenvertreibung
durch Anrufung des Namens Jefu (S. 129), deutlich nachklingen
, ift er wenig (jedoch S. 295 ff.) eingegangen. So
religiös inhaltslos und feicht philofophifch z. B. die Abhandlung
des Schönheitsredners Maximus von Tyrus gehalten
ift, fo hätte ihre Berückfichtigung zum minderten
davor bewahrt, das, was v. d. Goltz dogmengefchichtliche
Behandlung des Themas nennt und was in den
über mehrere Capitel verftreuten Ausführungen über die
Gebete zu Jefus doch theilweife von ihm erfüllt wird,
planvoll zurückzustellen. Seine Ausführungen find darum
keineswegs verfchwommen; davor bewahrt ihn feine fichere
Kenntnifs der altchriftlichen Literatur, feine Gabe klarer
und fliefsender Darftellung und ein grofses Gefchick in der
Stoffgruppirung, das er fchon in feinem Ignatius
(1894, vergl. Nr. 17 des Jahrganges 1895 diefer Zeitfchrift)
ausgezeichnet bewiefen hat. Immerhin liegen gerade
hier einige Bedenken vor, durch die der innere Fortgang
der Entwicklung des Gegenftandes felbft berührt wird.

Im erften Capitel wird das Beten Jefu be-
fchrieben in den etwas nach Art einer Predigtdispofition
lautenden Untertheilen: Wie Jefus felbft betete. Wie
Jefus feine Jünger zum Beten anleitete. Was Jefus über
das rechte Beten lehrte. Der treffliche, knapp und
überfichtlich vorgeführte Inhalt fei mit einigen Sätzen
des Buches angedeutet. ,Was die immer auf Bilder an-
gewiefene menfehliche Sprache nicht höher bezeichnen
konnte, als dadurch, dafs fie ihn den „Sohn" Gottes
nannte, das ift im Gebetsleben des Herrn Jefu zum un-
mittelbarften Ausdruck gekommen. PVeilich ift dies