Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1902

Spalte:

177-179

Autor/Hrsg.:

Friedrich, J.

Titel/Untertitel:

Ignaz von Döllinger 1902

Rezensent:

Tschackert, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

i;8

beiden erften Bände der M.'fchen Ausgabe die Anzeige
von Harnack, 1892, Nr. 16. Das jetzt als ,Liturgikon'
bezeichnete Werk entfpricht nach Form und Inhalt dem
flavifchen Sluschebnik, ,in welchem bekanntlich Abend-
und Morgengottesdienft vor der Liturgie ihre Stelle
rinden in den feftftehenden unveränderlichen und den
Priefter betreffenden Theilen'. Zur Einleitung hat M.
beigegeben die Betrachtungen über die göttliche Liturgie'
von Gogol, die 1857 herausgegeben wurden, S. IX—CIV
(von ihnen läfst M. übrigens auch den ruffifchen Text
mit drucken, da fie auch für feine Landsleute eine ,biblio-
graphifche Seltenheit' geworden). Dann folgt das eigentliche
Corpus des Liturgikons: 1. Ordnung der Hierodia-
konia (kleiner Hesperinos, Nachtwache a) grofser Hespe-
rinos b) Orthros (beides für die Sonntage], fchliefslich
Hesperinos an Wochentagen und in der grofsen Faften-
zeit), S. 1—75 ; 2. Liturgie des Chryfoftomus und Bafilius,
S. 75—162; 3. Liturgie der vorher geweihten Gaben (Gregorys
Dialogus), S. 163—194; dazu die Communiongebete,
S_ 194—214; 4. Eigenthümlichkeiten des bifchöflichen Ritus
(ausführlicher als in der 2. Aufl.), S. 218—241; 4. Sammlung
von Bitten für befondere Gelegenheiten, S. 241—284;
5. einige kleinere Stücke (Gebet des Priefters vor der
Liturgie am Altar u. a.), S. 284—304; 6. kurzer Vergleich
der Nachtwachenriten in der orthodoxen und römifchen,
koptifchen, armenifchen etc. Kirche, S. 295—304. Nun
erft folgt eine Abhandlung von M. felbft, wie fie in den
anderen Bänden (wohl auch in den früheren Auflagen
diefes erften Bandes, die mir nicht zur Hand find), den
Eingang bildet, nämlich eine Erörterung über ,Wefen
und Bedeutung der göttlichen Liturgie nebft vergleichender
Darftellung der Entftehung und Entwickelung ihres
Rituals', S. 304—454. Zum Schlufse giebt M. eine Ofter-
tabelle bis zum Jahre 2000. Hoffen wir, dafs bis 2000
fleh der orthodoxe Kalender dem abendländifchen ange-
pafst haben wird! Das Buch wird auch und vielleicht
erft recht in der neuen Form vielen willkommen fein.

Giefsen. P. Kattenbufch.

Friedrich, J.. Ignaz von Döllinger. Sein Leben auf Grund
feines fchriltlichen Nachlafses dargeftellt. Dritter
Theil. Von der Rückkehr aus Frankfurt bis zum
Tod. 1849—1890. München 1901, C. H. Beck. (V,
732 S. gr. 8.) M. 16.—

Ein Werk von bleibendem Werthe hat mit dem vorliegenden
dritten Bande der Friedrich'fchen Döllinger-
Biographie feinen Abfchlufs gefunden. Die Verhältnifse
und Thatfachen, die hier befprochen werden, find ja für
die Zeitgenoffen der letzten dreifsig Jahre in der Hauptfache
nicht neu; aber in diefem Zufammenhange, an
dem rothen Faden der inneren Entwickelung des gröfsten
katholifchen Theologen des XIX. Jahrhunderts vorgeführt
, wirken fie aufs neue fpannend und erfchütternd.
Eine Phafe der katholifchen Kirche tritt vor unferen
Blick, wie fie feit dem Tridentinum nicht wieder vorgekommen
ift, und ein Theologenleben fehen wir fleh vollenden
, das der deutfehen katholifchen Wiffenfchaft zur
höchften Ehre gereicht und doch als erfchütternde Tragödie
endet: der gelehrte Greis, der treuefte Sohn feiner
Kirche, wird von den clericalen Machthabern, die geiftig
tief unter ihm flehen, exeommunicirt und ifolirt; mit
dem Ruhme des charaktervollen Confeffors fchliefst
Ignaz von Döllinger fein reich gefegnetes Leben im
Alter von 90 Jahren am 9. Januar 1890. Dramatifch
packend verläuft diefes ergreifende Stück Gefchichte.
Mit möglichfler Objectivität läfst der Verf. die Thatfachen
und feinen Helden felbft fprechen; das giebt
feiner Darftellung das Gepräge ruhiger Sachlichkeit; mit
vornehmer Wiffcnfchaftlichkeit hält er fleh frei von Angriffen
auf die Gegner, was dem Verf., der diefes Stück
aufregender Gefchichte an der Seite Döllinger's felbft

durchlebt und durchlitten hat, eine grofse Selbftüber-
windung gekoftet haben mufs. Aber gerade diefe Zurückhaltung
Fricdrich's wirkt wohlthuend auf den Lefer
und wird nicht wenig dazu beitragen, dafs fein gehaltvolles
Werk ein Lefebuch der Gebildeten werden wird
und, fo wünfehen wir, recht lange bleiben mag.

Als die beiden erften Bände diefer Biographie in
diefer Zeitung zur Anzeige gebracht wurden, war dem
Referenten nicht klar, in welcher Ausdehnung der Verf.,

' nachdem er bis 1849 fchon zwei Bände gefüllt hatte,
die darauf folgende wichtigfte Zeit des Lebens Döllinger
's zur Darftellung bringen würde. Verglichen mit
den erften zwei Bänden ift nunmehr die Zeit von
1849—[890 fehr kurz ausgefallen, weil der Verf. über

! die wichtigften Werke Döllinger's, die feit 1861 vorliegen
, nur kurz referirt; dadurch ift es ihm möglich geworden
, den überreichen Stoff, welcher für die Zeit von
1849—1890 in den Schriften, dem handfehriftlichen Nach-
lafse und den Briefen Döllinger's vorliegt, in einem
Bande zu verarbeiten. So ift die Ungleichmäfsigkeit eingetreten
, dafs die minder wichtige Periode des Lebens

. Döllinger's in grofser Breite, die weitaus bedeutungs-
vollfte in relativ gedrängter Darftellung vorgeführt wird.
Pfychologifch erklärlich ift diefes Verfahren allerdings
durch den Umftand, dafs der Verf. in feiner detaillirten
Gefchichte des vaticanifchen Conciles die Thatfachen, in
deren Verlauf Döllinger's kräftige Hand 1869—1871 eingriff
, fchon ausführlich zur Darftellung gebracht hat,
daher jetzt kein Bedürfnifs fpürte, fleh hier zu wiederholen
; aber der Lefer der Döllinger-Biographie würde
doch gern z. B. aus dem Janus' und aus den .Römifchen
Briefen von Quirinus', Hauptarbeiten Döllinger's aus jener
Zeit, näheres erfahren; auch aus den Reden und Vorträgen
, die Döllinger als Präfident der Akademie der
Wiffenfchaften feit 1873 gehalten hat, hätte mögen reichlicher
mitgetheilt werden; denn gerade diefe letzteren

. Glanzleiftungen feines ftaunenswerth hiftorifch gebildeten
Geiftes find wenig verbreitet, und jene Meifterwerke aus
der Concilszeit dürften heute auch nur in wenigen Händen
fein. Denn wir müffen mit der betrübenden Thatfache

j rechnen, dafs die Ereignifse von 1870, der nationale Krieg
und das vaticanifche Concil, die uns Zeitgenoffen er-
fchüttert haben, für die heutige Generation nur ebenfo
blofs gefchichtliche Thatfachen find wie die zahllofen
anderen Vorgänge, die fie — aus Büchern lernt. Um
fo wichtiger ift es, dafs ihr die beften Bücher darüber
zugeführt werden. Dazu aber gehören der Janus' und
.Quirinus' Römifche Briefe'.

Soll ich nun den Eindruck wiedergeben, den diefer
dritte Band und mit ihm das ganze Werk auf mich gemacht
hat, fo mufs ich bekennen, dafs das Bild Döllinger's
nach der Friedrich'fchen Zeichnung doch erheblich heller
ftrahlt als man bisher in proteftantifchen Kreifen zu ur-
theilen gewohnt war. Döllinger erfcheint fchon feit 1849
weitherziger, als wie wir ihn bisher aufgefafst haben: er will
die .Freiheit'der Kirche.aber nicht die Knechtfchaft anderer;
er will die Aemter im Staate nach der Befähigung der Anzuflehenden
, nicht nach der Confeffion vergeben wiffen; er
tritt für die Emancipation der Juden ein. Welch eine Weite
des Blickes, welch eine Hoheit der Gefinnung für den
früher ultramontanen Theologen! Aber ganz auf der
Höhe, als der führende Geift der wiffenfehaftlich gebildeten
und deutfeh-national gefinnten Katholiken erfcheint
er fodann feit feinen berühmt gewordenen Münchener
Odeonsvorträgen über den Kirchenftaat von 1861,
durch welche er die jefuitifch-papaliftifche ,pia opinio'
von der Nothwendigkeit eines Kirchenftaates für die
Freiheit der geiftlichen Leitung der Kirche mit fchonungs-
lofer Confequenz zu Grabe trug und mit divinatorifchem
Scharfblicke den 20. September 1870 gewiffermafsen
vorweg nahm. Mit einzigartiger Elafticität des Geiftes
vollzog er dabei an fich felbft das mühfame Gcfchäft
des Umlernens aus dem legendarifchen zum wahrhaft