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Ausgabe:

1901 Nr. 6

Spalte:

168-169

Autor/Hrsg.:

Hirsch, J.

Titel/Untertitel:

Fragment einer arabischen Pentateuch-Uebersetzung 1901

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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167 Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 6. 16S

Förster, Dr. iur. Gerhard, Das Mosaische Strafrecht in
seiner geschichtlichen Entwickelung. (Ausgewählte Doc-
tordiffertationen der Leipziger Juriftenfakultät.) Leipzig,
Veit & Comp., 1900. (91 S. gr. 8.)

Es ift immer ein Gewinn, wenn von nichttheologifcher
Seite ein uns geläufiger Stoff" behandelt wird; altvertraute
Begriffe treten dabei in neuen Zufammenhang und neue
Beleuchtung, Unrichtiges wird befeitigt, Verfchwommenes
fchärfer umgrenzt. Das vorliegende Schriftchen erfcheint
unter den ausgewählten Doctordiffertationen der Leipziger
Juriftenfakultät. Verf. will eine gefchichtliche Entwickelung
des altisraelitifchen Rechtes geben. Den Anfang macht die
wilde Rache; fie wird fpäter vom Gefetz für gewiffe Fälle
(befonders Tödtung und Ehebruch) fanctionirt und zum
Rechtsinftitut; hierdurch und durch den Grundfatz der
genauen Wiedervergeltung (taliori) wird ihr wilder Charakter
gezähmt. Neben die Rache ffellt Verf. die Friedloslegung
, d. h. die Ausftofsung des Schuldigen aus der
Gemeinfchaft (Familie, Stadtgemeinde, Volk); fie giebt
den Schuldigen nach Auffaflung des Verf. der Rache
des Beleidigten preis, will aber die Rache um des
Friedens der Gemeinfchaft willen aus der Umfriedigung
des Gemeinfchaftsbezirkes hinaus verlegen. Für die Friedloslegung
aus der Familie, der primitiven Gemeinfchaft,
führt Verf. als Beifpiel an die Vertreibung aus dem
Paradies, den Fluch über Kain, die Preisgabe Israels an
die Feinde durch Jahve. Ein weiterer Schritt zur Civili-
fation über die Rache hinaus ift die Bufse, die die Rache
aufhebt. Sie erfcheint zunächft als freier Verfuch, den
Zorn des Beleidigten abzuwenden; wo die Rache Gewohnheitsrecht
geworden ift, wird fie Bufsvertrag und
die Bufsfumme wird vom Gefetz normirt. Rache und
Bufse giebt es nicht blos zwifchen Menfch und Menfch,
fondern auch zwifchen Jahve und Menfch. Jahve rächt
die Beleidigung perfönlich und läfst fich gleichfalls durch
die Bufse, die den Zorn abwenden möchte, d. h. durch
Opfer, befchwichtigen. Rache und Bufse vollziehen fich
zwifchen den Individuen und fchaffen noch keine genügende
Garantie für die öffentliche Sicherheit. Daher
nimmt die Gefammtheit mehr und mehr die Beftrafung
der Verbrecher in die Hand, und indem die durch Orakel-
befcheid gegebenen einzelnen Beftimmungen typifch
werden und allmählich zu fyftematifcher Aufzeichnung
kommen, entfteht ein öffentliches, auf den göttlichen
Willen gegründetes Strafrecht. Diefes gliedert fich die
bisherige Privatftrafe ein. Da die Rechtsgrundfätze auf
Jahves Willen zurückgeführt werden, erfcheint jede Verletzung
der Gebote als Verletzung Jahves und die Gemeinfchaft
vollzieht an Stelle Jahves die Strafausübung
am Schuldigen. — In anfchaulicher Weife werden noch
einzelne Begriffe des Strafrechtes durchgefprochen, fo
der Begriff des Vorfatzes, der zunächft bei der Tödtung
(als vorausgehende Feindfchaft) erfcheint, und die Fahr-
läffigkeit, die allmählich als befonderes Vergehen erkannt
wird. Die Beftimmungen des Bundesbuches giebt Verf.
in einer hübfchen und überfichtlichen Dispoiition, und
am Schlufse werden die 10 Gebote einzeln durchgenommen
. Sie find als Strafrechtsfätze aufgefafst, fo dafs auf |
die Uebertretung jedes Gebotes grundfätzlich der Tod
gefetzt wäre.

Anlafs zu Fragen und Ausftellungen bleibt genug.
Es ift irreführend, wenn die Rache als Privatftrafe der
Beftrafung durch die Gemeinfchaft als der öffentlichen und
fpäteren Art entgegengefetzt wird. Denn einerfeits ift die
Rache nicht blofse Privatfache, fondern urfprünglich zugleich
Gemeinfchaftsfache, und andererfeits tritt neben die
Rache von Anfang an die Befeitigung des Schuldigen durch j
die Gemeinfchaft in der Abficht, die Gemeinfchaft von I
der Befleckung zu reinigen. Dafs die gefetzlich erlaubte I
bezw. gebotene Rache hauptfächlich durch die Ein-
fchränkung auf das Vorfätzliche gemildert wurde, müfste J
fchärfer hervortreten. Die Anwendung der gefetzlich erlaubten
Rache auf den Diebftahl ift gezwungen und
veranlafst den Verf. unter anderem, Rache und Bufse
in ein fchiefes Verhältnifs zu einander zu fetzen. Denn
die Bufse wurde allem nach hauptfächlich und wohl vor»
Anfang an bei Vergehen gegen das materiale Eigenthum
angenommen, bei denen die Rache aufser Kraft blieb.
Der Sündenfall kann nicht als Diebftahl gedeutet werden,
denn Diebftahl fetzt den Eigenthumsbegriff voraus. Die
Opfer find nicht als Bufse zu verliehen; das beweift vor
allem das Schuldopfer. Denn der dem Schuldopfer zu
Grunde liegende Brauch war, fo viel ich fehe, eben die
Bufse, die auf das Verhältnifs zwifchen Jahve und Menfch
übertragen wurde. In folchen Fällen, wo zwifchen Menfch
und Menfch nach dem Gewohnheitsrechte die Bufse eintrat
, wurde fie auch der Gottheit gegenüber ausgeübt;
aber fpäter wurde auch diefem Brauche der Charakter des-
Sühneopfers aufgedrückt, wodurch der Ritus feine jetzige
complicirte Geftalt bekam. Befonders undeutlich bleibt

I die Friedloslegung; die beigezogenen Beifpiele reden nur
von der Auslieferung des Schuldigen durch feine Gemein-

| fchaft an den beleidigten Theil oder von der Vertilgung
des Schuldigen in der Abficht, die Gemeinfchaft von der
Verunreinigung zu fäubern. Die Auffaflung der 10 Gebote
als öffentlicher Strafrechtsfätze kann nur in gewalt-
famer Weife durchgeführt werden. Es müffen hierbei,
wie Verf. thut, alle Verbote auf Thathandlungen und
das Verbot des Diebftahls z. B., da auf diefen der Tod
fonft nicht gefetzt ift, auf den Angriff gegen res sacrae
eingefchränkt werden. Gerade im Gegenfatze zu den
alten Gefetzesvorfchriften ift; der Dekalog vielmehr eine
fpätere freie Zufammenftellung der religiöfen und ethi-
fchen Ideale. Ungenau ift auch die Annahme, dafs diefe
Gebote urfprünglich profane Rechtsfätze gewefen, fpäter
zu Willensbeftimmungen Jahves gemacht worden wären;
denn die religiös-kultifche Seite Haftet der geltenden Sitte
und dem Vergehen gegen fie gerade im erften Stadium

! der Entwickelung an. — Im Allgemeinen bedürfen derartige
Unterfuchungen, wie der Verf. fie unternimmt, einer
gründlichen religionsgefchichtlichen Bildung und der Er-
kenntnifs, dafs das alte Leben der Völker nicht in einige
wenige Formeln gezwängt werden kann.

Tübingen. P. Volz.

Hirsch, Dr. J., Fragment einer arabischen Pentateuch-Ueber-
setzung. Herausgegeben und eingeleitet. Leipzig, O.
Harraffowitz, 1900. (XXXVIII, 79 S. gr. 8.) M. 4.—

Peritz, Dr. Moritz, Zwei alte arabische Uebersetzungen des
Buches Rüth. Zum erften Male herausgegeben und mit
Anmerkungen verfehen. Berlin, S. Calvary & Co., 1900.
(61 S. gr. 8.) M. 1.50

Die erfte der hier aufgeführten Veröffentlichungen
flammt aus einer Handfchrift, welche aus dem Befitze
von A. Jellinek in den der Wiener Israelitifchen theo-
logifchen Lehranftalt überging. Sie wird vom Herausgeber
dem 11.—12. Jahrhundert zugewiefen und enthält
Lev. 5,11—Dt. 28, 68 (mit einigen Lücken). Das Arabifche
in hebräifcher Schrift fcheint nicht Copie, fondern Originalarbeit
; dafür fprechen die vielen Zwifchenräume, die zum
Theil von anderer Hand, namentlich aus Saadja, ergänzt
wurden, zum Theil unausgefüllt blieben. Uer Verf.,
über den aufser dem Umftand, dafs er kein Karäer gewefen
fein wird, nichts Näheres ermittelt werden kann,
da Anfang und Schlufs der Hdf. fehlen, war offenbar
kein gelehrter Mann; daher läfst er z. B. für feltene
Ortsnamen einfach eine Lücke, die nun eine fpätere
Hand ergänzt; f. die Zufammenftellung S. XXII. Seine
Abweichungen vom mafforetifchen Text — f. die Lifte
S. X ff. — haben keine Bedeutung; überhaupt ift das
Ganze mehr für den Philologen, namentlich für den, der
fich für das Juden-Arabifch intereffirt, und für den
israelitifchen Theologen, als für den evangelifchen von