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Ausgabe:

1901 Nr. 5

Spalte:

155-157

Autor/Hrsg.:

Bürkner, Richard

Titel/Untertitel:

Grundriss des deutsch-evangelischen Kirchenbaues 1901

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 5.

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Arbeiten von Stutz. — Mit alledem foll nicht beftritten j
werden, dafs das Buch allen Theologen, die fich kirchen- i
rechtlich orientiren wollen, gute Dienfte leihen kann.
Der Verf. hat fich wirklich Mühe gegeben, den fpröden
Stoff den Theologen mundgerecht zu machen; möchte
der Erfolg nicht ausbleiben!

Leipzig. Rieker.

Bürkner, Superint. Richard, Grundriss des deutsch-evangelischen
Kirchenbaues. Mit 46 Grundriffen und Anflehten
. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1899.
(VIII, 270 S. gr. 8.) M. 5.—; geb. M. 5.80

Das Buch enthält, was der Titel nicht deutlich fagt,
eine Gefchichte und Theorie des evangelifchen Kirchenbaues
. Der erfte, umfangreichere, Theil ift im Wefent-
lichen ein Referat über das, was in den grofsen neueren
Werken über den Kirchenbau des Proteftantismus zu
lefen ift. Es war ein ganz praktifcher Gedanke, ihre
wefentlichen Refultate einem gröfseren Publicum vorzulegen
, und wer nicht von vornherein ein Feind von
Compendien ift, wird fich vielleicht gern diefer Einführung
in ein grofses, neuerfchloffenes Arbeitsfeld bedienen.
Was geboten wird, ift für diefen Zweck hinreichend, fo-
gar reichlich. Das Buch hätte im Ganzen gewonnen,
wenn es nicht in 72 Paragraphen eingetheilt wäre, wenn
nicht am Schlufs des hiftorifchen Theiles noch ein eiliger
Ausflug nach Dänemark, Norwegen, Schweden, die Nieder- j
lande, Frankreich, die Schweiz, England und Nordamerika
unternommen würde, und wenn überhaupt nicht fo viele
Einzelheiten mitgetheilt würden; da fie aber einmal da-
ftehen, hätte auch ein alphabetifches Regifter der be- I
fprochenen Kirchen, fowie der angeführten Autoren und
Baumeifter nicht fehlen follen. Der Verfaffer verhält
fich mehr referirend und recenfirend als entwickelnd. 1
Man fähe ihn gern noch öfter aus feiner Stoffmaffe
auftauchen.

Im zweiten Theile kommt er felbft zu Wort, und
wenn fchon das Referat hauptfächlich durch die Auf-
faffung des Referenten anziehend war, fo tritt hier feine
Eigenart ins befte Licht. Ein verftändiges und gemäfsigtes
Urtheil, eine nüchterne Auffaffung, ein guter Gefchmack
und ein gefunder Menfchenverftand fprechen aus allen
feinen Ausführungen. In den kirchengefchichtlichen
Urtheilen erkennt man den Biographen Karl Hafe's, den
er häufig, bewufst und auch wohl unbewufst, citirt, und j
deffen Einflufs ich zuweilen fogar bis in einige Befonder-
heiten des Stiles verfolgen zu können meinte; weniger !
freilich in den äftthetifchen Urtheilen, denen ich öfter
lebhaft widerfprechen würde, wenn hier dazu der Ort
wäre. Der Verfaffer ift praktifcher Theologe, kein Kunft- 1
hiftoriker, und noch weniger Aefthetiker. Aber auch fonft
wünfeht man ihm zuweilen etwas mehr Anfchauung. I
Man möchte gern etwas davon merken, dafs er manche
der von ihm gefchilderten Bauten felbft ftudirt hat, wie
es doch gewifs der Fall ift. Wenn ein fo weit ausfehendes j
Thema wie das Verhältnifs des Katholicismus zur bildenden
Kunft durch die Bemerkungen auf S. 263 h nicht
erledigt fein foll, mufs auch der Schein gemieden werden, J
als ob mit diefen wenigen Aeufserlichkeiten das Wefent-
liche gefagt wäre. Dagegen wünfehe ich dem Verfaffer
ein grofses Publicum und weiten Beifall — oder meinetwegen
auch Widerfpruch — für feine Ausführungen über [
die evangelifchen Grundfätze im Kirchenbau. Er betont,
dafs das evangelifche Gotteshaus vor allem zweckmäfsig
fein müffe. Als feinen Hauptzweck aber erkennt er den j
Predigtgottesdienft. Die Kanzel habe darum ihren natür- j
liehen Platz in der Achfe der Kirche, und fei fo zu
ftellen, dafs fie von allen Plätzen aus gefehen werden
könne, da ohne Sehen das Hören und Verftehen er-
fchwert fei. Auf diefe praktifchen Erfordernifse kommt j
es ihm an; die ,Hörfamkeit' einer Kirche ift wichtiger als j

alles Andere. Die Frage nach dem Bauftil fleht in zweiter
Linie, und über die Stellung des Altars und die Einrichtung
eines befonderen Chorraumes würde er mit fich
reden laffen. Nur verlangt er Wahrheit in den Bauformen
und in der Auswahl des Materiales. Der Proteftantismus
vertrage keinen täufchenden Schein und
keinerlei Imitation. Man fieht, der Verfaffer ift bei den
Fragen des Kirchenbaues durch keinerlei dogmatifche
Vorurtheile gebunden, auch nicht durch ,hiftorifche' oder
liturgifche. Er meint felbft, dafs er ,vom Standpunkte
neuzeitlicher Anfchauung' aus urtheile. Er fühlt fich als
einen der Jungen', die aber den Vorzug haben, fich
gerade auf die Beften unter den Alten berufen zu können; fo
weifs er einfehlägige Citate aus Luther gut zu verwerthen.
Sein Zorn und fein Hohn gelten jeder Art von Symbolik
' der Bauformen; er hat nicht einen Funken von
Romantik in fich. Etwas Abfchliefsendes kann und will
er zur Zeit nicht bieten. In welcher Richtung feine Ge-
fichtspunkte einfeitig find, habe ich bereits angedeutet.
Aber ein Mann, der feinen Standpunkt fo gut zu vertreten
weifs, verdient gehört zu werden, zumal er mehr
Eideshelfer hat, als er anzunehmen fcheint. Auch wer
anderer Anficht ift, wird feinen beredten Ausführungen
gerne folgen, und ihm vielleicht Manches zugeben.

Wenn ich einige Bedenken nicht unterdrücken darf,
fo richten fich diefelben weit weniger gegen die Art,
wie das Buch gefchrieben ift, als dagegen, dafs es überhaupt
gefchrieben ift. Einem fo klaren und wahren
Autor ift es natürlich nicht entgangen, dafs die Zeit zur
Zufammenfaffung für die Gefchichte des evangelifchen
Kirchenbaues noch nicht gekommen ift. Die vielfeitigen
Bemühungen der Gegenwart auf diefem Gebiete gehören
noch nicht der Gefchichte an. Wir flehen mitten in
einer reichen Entwickelung; aber Niemand kann fagen,
was eigentlich im Entftehen begriffen ift. Wer alfo über
die Beftrebungen der lebenden Generation referirt, unterzieht
fich einer dankenswerthen Mühe, aber er liefert
keine hiftorifche Arbeit. Anders fleht es mit dem pro-
teftantifchen Kirchenbau bis zum Abfchlufse der roman-
tifchen, der gotifirenden, Richtung. Er gehört der Gefchichte
an, und er bietet der Kirchengefchichte eine
Fülle von fchönen Aufgaben. Seit acht Jahren erft weifs
der Proteftantismus, eine wie weitverzweigte und ideenreiche
Gefchichte fein Kirchenbau hinter fich hat. Die
erften Darftellungen find uns von Architekten geliefert
worden, und es kommt jetzt darauf an, dafs die dort
gewonnenen Refultate von Theologen weitergeführt
werden. Das wird mit Erfolg nur gefchehen können
auf der Grundlage einer Gefchichte des Proteftantismus,
freilich nicht ohne Kenntnifs der Gefchichte der Architektur
und der Cultur überhaupt. Man wird die Frage
aufwerfen müffen, wie fich die verfchiedenen Richtungen
des Proteftantismus zu den praktifchen Fragen des
Kirchenbaues (teilten, inwiefern fie von der Tradition
abhängig waren, und wie weit fie dem Gefchmack der
Zeit entgegenkamen oder ihn perhorrescirten, welche
Wege die neuen Stile gingen, und welchen Beinflufsungen
die Landeskirchen auf diefem Gebiete unterlagen. Bei
verftändnifsvoller Behandlung des faft unendlich grofsen
Materiales wird man nicht auf Aeufserlichkeiten kommen,
fondern gerade auf Empfinden und Stimmung der verfchiedenen
Confeffionen, Richtungen und Parteien
fchliefsen können, und die Kirchengefchichte um eine
Fülle höchft charakteriftifchen Materiales bereichern. Es
hat demnach — meine ich — nicht viel Werth, dafs wir
Theologen uns mit Referaten über die Arbeiten der
Architekten begnügen, anftatt die neuen und grofsen
Aufgaben, die durch Jene geftellt find, mit den Mitteln
der Gefchichtsfchreibung zu löfen. Vielleicht aber ma<r
Bürkner's Buch dazu dienen, das Verftändnifs für diefe
Fragen zu verbreiten, und hoffentlich läfst er fich felbft
nicht davon abbringen, die verfprochene umfaffendere
Darftellung dem Grundrifs folgen zu laffen. Nur möge