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Ausgabe:

1901 Nr. 5

Spalte:

140-143

Autor/Hrsg.:

Benson, Edward

Titel/Untertitel:

The Apokalypse 1901

Rezensent:

Vischer, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 5.

140

kreis und die Lebensweisheit des zeitgenöffichen Judenthums
zu legen find. Ohne Rückgriff auf die jüdifche
Satisfactions-, Imputations- und Aequivalentsvorftellungen
find gewiffe Gedankengänge des Apoflels fo wenig durchfichtig
zu machen, wie andere zu recondruiren find, ohne
dafs man fich der parallellaufenden Gleife des hellenidi-
fchen und hellenifchen Denkens erinnert. Diefe Fäden,
foweit das noch möglich ift, auseinanderhalten, heifst
nicht ,ifoliren', fondern ift unerläfsliche Vorarbeit für die
allerdings noch wichtigere Aufgabe, ihr Ineinander- und
Durcheinanderlaufen im vielverfchlungenen Gewebe einer
Weltanfchauung darzuthun, das nach einem himmlifchen
Mufter, aber aus irdifchen Stoffen gefertigt ift. In feinem
meifterhaften Buche ,Platon' hat uns kürzlich Windelband
eine Darfteilung folcher ,Antinomien' gegeben, welche
erft als folche genau nachgewiefen und voll anerkannt
fein wollen, ehe das Wunder ihres friedlichen Beifammen-
feins in einem genialen Kopfe gewürdigt werden kann.
Mehr als einmal bleibt er ftehen bei dem Refultate, ,dafs
es fich hier um einen unausgeglichenen Gegenfatz in
Piaton felbft, um einen Widerfpruch, den er nicht zu
überwinden vermocht, handeln mufs, und es ift kein
anderer, als der des philofophifchen und des theologi-
fchen Denkens' (S. 145). Wo Windelband aber, nachdem
er dem philofophifchen und dem religiöfen Denken eine
ifolirte Beobachtung gewidmet hat, auf den Socialpoli-
tiker zu reden kommt, lefen wir: ,Erft in diefer Wendung
auf das Ganze kommt auch der ganze Mann zu Tage:
erft hier finden die Gegenfätze, in die der Philofoph und
der Theologe nothwendig geriethen, ihre höhere Vereinigung
und die ftreitenden Gedankengänge den Verfuch
ihres verföhnenden Abfchluffes' (S. 158). Ganz analoge
Vorgänge find im Bewufstfein des Paulus zu beobachten,
felblt wenn diefer nur die beiden eschatologifchen Ab-
fchnitte der Korintherbriefe gefchrieben hätte. Das lehrt
uns die .ifolirende' Betrachtungsweife, indem fie vor-
fchneller Zufammenfchau divergirender Linien und disparater
Figuren ausweicht.

Man wird es nach dem Gefagten nicht auf völlige
Unbelehrbarkeit zurückführen, wenn ich mir auch die
Verleugnung des etsqov svayyeAiov (S. 24 und 348; die
übrigen Stellen find im Regifter angegeben) nicht aneignen
und der Behauptung, den Chriftusleuten fei es auf
den mofaifchen Nomos nicht angekommen (S. 43 ungeachtet
3, 6 f.) widerfprechen mufs. Wenn man fich freilich
entfchliefsen kann, das berühmte iyco öh Xqiötov I. Kor.
I, 12 für eine Gloffe aus 3, 23 zu halten, fo verlieren alle
an jene Stelle und an 2. Kor. 10, 7 geknüpfte Hypothefen
ihren Boden (S. 326). Es will mir aber fcheinen, als ob
die gegenfeitige Beziehung jener beiden Stellen bei Zahn
(Einleitung 2I, S. 208 f. 215. 222. 241 f.) richtig erfafst
wäre, nur dafs diefer Theologe überfieht, wie dann auch
die ganze Polemik der letzten Capitel eben diefen Chriftusleuten
gelten mufs. E. Haupt, der ihm dies mit Recht
vorhält (Studien und Kritiken 1899, S. 142), thut folches
freilich nur, um felbft fich in Abweifung jeder Beziehung
von 10, 7 auf die Parteiparole wieder mit Heinrici zu
berühren, wie der Letztere felbft hier gegen Schmiedel
fich auf Lisco beruft (S. 324), deffen verfchiedene Veröffentlichungen
über die Korintherbriefe überhaupt bei aller
Ablehnung ihrer Paradoxien und Singularitäten doch
mehrfach verdiente Berückfichtigung und Anerkennung
finden (S. 28. 314 f. 326. 348. u. f. w.). Es braucht nicht
erft befonders hervorgehoben zu werden, dafs der Verf. auch
fonft auf alles Bedeutendere geachtet hat, was zwifchen
der 7. und S.Auflage ans Licht getreten ift.1) Infonderheit
wird auch Zahn's Einleitung mehrfach herangezogen (S. 7.
16. 22. 30. 89 und fonft). Im Rechte gegen ihn (I, S. 219),
wie gegen Schmiedel dürfte der Verf. fein, wenn er die
vrrtn/.'uiv ujcööxo'/.oi. II, 5. 12, II auf die Urapoftel bezieht,

1) Der S. 28 citirte Holländer ichreibt fich übrigens Meyboom, was
auch gegen Meyer-Heinrici zu 1. Kor. 8 S. 25 gilt.

deren Autorität von den jüdifchen Eindringlingen mifs-
braucht worden war (S. 44 f. 354 f.), während das
eigene Verhältnifs jener .Säulen' zu den pharifäifchen
Judenchriften mindeftens ,ein fchwieriges blieb' (S. 45),
j wie der vorfichtig gewählte Ausdruck lautet. Faft ganz
i mit Zahn übereinftimmend werden gewiffe Einleitungsfragen
behandelt.

Das führt uns noch auf die bekannten .Zwifchener-
eignifse', deren labyrinthartiges Wirrfal die 58 Seiten ftarke
Einleitung (die 7. Auflage konnte die Sache noch auf
12 Seiten erledigen) in dankenswerther Weife beleuchtet.
Nachdem ich aber fchon früher im .Theologifchen Jahresbericht
' (1887, S. 102 f.) darüber mich ausgefprochen und
wieder erft kürzlich in diefer Zeitfchrift Clemen (Jalugang
1900, S. 704 f.) über des Verf.'s Stellungnahme, welche
übrigens jetzt einige Modificationen aufweift, berichtet
hat, darf ich meine Anzeige um fo eher fchliefsen, als
ich felbft nichts Neues zur Sache beizubringen weifs und
meine auf diefem Punkte fkeptifchen und infofern conferva-
j tiven Meinungen durch Heinrici und Zahn nur Verftärkung
i erfahren haben. ,Auch der Hiftoriker darf es nicht ver-
i geffen, dafs fein exactes Wiffen da aufhört, wo die
Quellen vertagen oder unfichere Kunde geben' (S. 6).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Benson, Edward White, The Apokalypse. An introductory
study of the revelation of St. John the divine, being a
presentment of the structure of the book and of the
fundamental principles of its interpretation. London,
Macmillan and Co., 1900. (XX. 177 S. Lex. 8.) 8 sh.öp.

Trotz der Fülle von Gefchäften, welche die Zeit und
die Kraft des Erzbifchofs von Canterbury in Befchlag
nehmen, fand der verdorbene Träger diefes Amtes,
Edward White Benfon. die Möglichkeit, ein Werk zu
fchreiben, das feinen Namen auch in den gelehrten Kreifen
| bekannt gemacht hat. Ja, neben diefem einen grofsen
Buche über Cyprian begann und vollendete er vvenigftens
in der Hauptfache ein zweites, eine Unterfuchung über
die neutedamentliche Apokalypfe, das wie das erde von
I feinen Angehörigen nach feinem Tode veröffentlicht
werden konnte. Wie die Herausgeberin, Fräulein Margaret
Benfon, erzählt, pflegte ihr Vater manche Jahre
hindurch vor dem Frühdücke und an jedem unbefchäftigten
Sonntagnachmittage an diefem Werke, das ihn ganz befonders
intereffirte, zu arbeiten.

Die Energie, mit der der vielbefchäftigte Mann die
gefährdete Verbindung mit der Wiffenfchaft aufrecht zu er-
! halten bedrebt war, erweckt lebhafte Bewunderung. Um
fo mehr id zu bedauern, dafs er bei der Wahl des
zweiten Themas weniger glücklich war als bei der Cyprians,
auf den ihn der Rath Lightfoot's wies. Es id bei den
Verhältnifsen, unter denen Benfon arbeitete, fehr begreiflich
, dafs er (ich bei feiner Unterfuchung nicht grofs um
die moderne Literatur, die in Betracht kam, gekümmert
hat. Gerade bei einer Unterfuchung der Apokalypfe
1 mufste fich aber diefer Mangel nachtheilig äufsern. Und
I die Nichtbeachtung der Probleme, die durch die Arbeit
I der letzten Jahrzehnte aufgedeckt worden find, id der
! Hauptgrund, warum das vorliegende Werk trotz ver-
fchiedener Proben von Gelehrfamkeit und trotz richtiger
Beobachtungen den Eindruck einer Dilettantenarbeit macht
und die Erklärung der Apokalypfe fo gut wie gar nicht
fördert. Es id freilich nicht blofs Unkenntnifs der Literatur
, die Benfon auf diefe Probleme nicht eingehen liefs.
j Aber auch die Abhängigkeit des Hidorikers von beflimmten
dogmatifchen Vorausfetzungen, die auf die Unterfuchung
der neutedamentlichen Schrift nachtheilig eingewirkt hat,
würde fich bei einem anderen Forfchungsobjecte nicht
in diefer Weife bemerkbar gemacht haben.

Als Benfon am Ii. October 1896 plötzlich bei einem
Befuche Gladdones in Harwarden darb, war fein Werk