Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1901 Nr. 4

Spalte:

108-110

Autor/Hrsg.:

Gummerus, Jaakko

Titel/Untertitel:

Beiträge zur Geschichte des Buss- und Beichtwesens in der schwedischen Kirche des Mittelalters 1901

Rezensent:

Mueller, Karl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

107 Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 4. 108

Güte und den Zorn des Heiligen zu illuftriren, an dem Gummerus, Mag. phil. Lic. theol. Doz. Jaakko. Beiträge

Verfahren gegen Kirchendiebe, den Inftitutionen zu Armen- zur Geschichte des Buss- und Beichtwesens in der schwe-

und Gefangenenpflege, dem Afylrecht. Endlich wird der ! discnen Kjrche des Mitte|a|ters. j Upfaia Igoo. (IV,

eigentliche Grund der Rehquienkraft namhaft gemacht: QQ , T V,,1TT os F * v

die grobflnnliche Auffaffung des Geiftigen. Auch das J 88 und Lxvm b- gr- *■)

was wir Geift nennen, war in der Anfchauung der mero- : Hieraus einzeln:

wingifchen Zeit etwas ftoffliches (S. 267). Der letzte Bussvorschriften hauptsächlich für die öffentliche Busse aus
Abfchnitt handelt vom Wunder. ,Das Wunder tritt schwedischen Diözesen. Herausgegeben von J. Gum-
nicht auf als übernatürliche Durchbrechung der Natur- merus y fala (XL g g )
gefetze, es wird gar nicht als vereinzeltes erltaunhches j r * v ■? '
Ereignifs gewerthet, fondern als die aus ihrem Zufammen- Ein junger Finnländer, Profeffor an der theol. Facultät
hange heraus felbftverftändliche Funktion einer zweiten, | zu Helfingfors, greift mit diefer Schrift die Aufgabe an,
höheren Welt, die ihren eigenen Gang geht und ihre die Gefchichte des Bufs- und Beichtwefens in der fchwe-
eigene Sprache fpricht' (S. 271). Die Vorftellung von . difchen Kirche zu fchreiben und zu diefem Zwecke das
der Macht des Heiligengrabes läfst den Heiligen als ganze Quellenmaterial in fchwedifchen Bibliotheken zu
Wind- und Wetterheiligen erfcheinen: heilige Pflanzen, fammeln. Vorerft ift nur ein kleinerer Abfchnitt: .Über
heilige Thiere zeugen von feiner Kraft. Aber auch die Anfänge des fchwedifchen Bufswefens' gedruckt
phyfifche Reizung vcranlafst die Erfcheinung des Hei- worden; die Hauptarbeit wird erft nachfolgen,
ligen (S. 284 ff.). Am deutlichften aber zeigt er feine Die Entwicklung der nordifchen Kirchen ift bekannt-
Macht in der wunderbaren Heilung von irgend einer lieh in vieler Beziehung anders gewefen als die der mitttl-
Noth oder Krankheit. Sie war Probe oder endgiltiger europäifchen. Schon die Anfänge find anders: Miffionare
Beweis des Wunders (S. 287). Die Arten der Krank- verfchiedener Nationen, Deutfche wie Engländer haben
heiten, die geheilt wurden, die Mittel, durch die die an ihnen gebaut und die Spuren ihrer Heimat zurück-
Heilungen erzielt wurden, der Nutzen, den die Kirche gelaffen. Vor allem aber ift Verfaffung und Recht bei
davon hatte, werden von B. an der Hand Gregors auf- ihnen anders gewefen: es giebt in der älteren Zeit kein
gewiefen. Zum Schlufs (,der Glaube' S. 304—334) geht fettes Recht, das von aufsen auf fie gelegt worden wäre,
B. den einzelnen Beftandtheilen der merowingifchen keine Hierarchie, die über fie eigentlich geherrfcht hätte.
Religion nach und zeigt ihre hiftorifchen Vorausfetzungen. Sondern es find Volkskirchen im vollen Sinne: der Klerus
Einheitlich ableiten laffen fleh ihre einzelnen Beftand- ift dem Volke eingegliedert und das Recht wird urfprüng-
theile nicht; aber als ausreichende Wurzeln des fränkifchen lieh nur durch Klerus und Volk zufammen feftgeftellt.
Volksglaubens dürfen gelten: der Wunderglaube und Darum find auch die Rechtsquellen diefer Kirchen anders
der Heiligenglaube. Der Glaube als dogmatifches Be als in Mitteleuropa. Dem kanonifchen Recht, das durch
kenntnifs wird pofitiv beftimmt durch die orthodoxen Diöcefanftatuten wie provincialfynodale Verordnungen
Symbole, negativ durch den Gegenfatz zum Arianismus von oben nach unten geht und in lateinifcher Sprache
und judenthum. Nichts ift neu in der merowingifchen abgefafst ift, geht noch im ganzen MA zur Seite das
Heiligenreligion (S. 312); fie ift ganz und ohne Rett kirchliche Land- und Provincialrecht, das in der natio-
römifch; neu ift die Energie, mit der die fränkifche Kirche nalen Sprache gefchrieben, felbftverftändlich auch an die
fleh das Alte aneignete; die von ftarken und ungewöhn- kirchlichen, von auswärts gekommenen Inftitutionen anflehen
Naturen ausgegangene Anregung in eine Orga- knüpft, auch Einflüffe des kanonifchen Rechtes aufweift,
nifation umfetzte (S. 317). ,Römifch war, wie man es aber im übrigen national und volksthümlich ift, da Volk
(das Chriftenthum) gab, und deutfeh war, wie man es und Klerus bei ihm zufammenwirken.
aufnahm' (S. 323). Die alten Götter leben als Dämonen Unter diefen Umftänden ift für die nordifchen Kirchen
weiter, und wirklich bedeutet auch die Heiligenreligion nicht nur das kanonifche Recht der übrigen Kirchen
dem Heidenthum gegenüber etwas Befferes .(S. 332). nicht ohne Weiteres der Mafsftab für die einzelnen In-
Was als Autklärung angeboten wurde, wurde wirklich ftitutionen, fondern es gilt auch nicht, dafs die Inftitu-
als Befreiung empfunden (S. 331). Es verdient auch nicht tionen, die hier beftehen, auch dort von Anfang eingeführt
Tadel, dafs das merowingifche Chriftenthum das fittliche worden feien. Gummerus mufs alfo beides, das AufNiveau
unter den doch wahrhaftig nicht hohen Stand, kommen der kirchlichen Bufse, wie ihre einzelnen Ord-
den fowohl die römifchen Infaffen als die heidnifchen nungen erft unterfuchen.

Franken aufwiefen, noch beträchtlich herabgedrückt hat Er ftellt zunächft feft, dafs die altfchwedifchen
(334 k). Der chriftliche Volksglaube, an der Stelle eines ! Termini, die bei der Bufse in erfter Linie flehen, theils
heidnifchen Volksglaubens, bewährte fleh als Unterlage ' aus dem Angelfächfifchen flammen, theils fleh im Schweder
Zukunft (S. 336). Man kann nicht fagen, dafs ein difchen und Dänifchen felbft entwickelt haben, keines
übelwollender Beurtheiler des merowingifchen Chriften- aber einen Zufammenhang mit dem Deutfchen verräth.
thumes hier das Wort geführt habe. Damit ift wahrfcheinlich gemacht, dafs, was von Bufse
Bernoulli's gedankenreiches und geiftvolles Buch hat in der älteren Zeit befteht, durch die angelfächfifchen
an manchen Stellen meinen Widerfpruch hervorgerufen, ! Miffionare und Kleriker eingeführt worden ift und nach

an anderen könnte ich ihm Fehler nachweifen. Meinem
Verftändnifs wäre derVerfaffer mehr entgegengekommen,
wenn er uns deutlich darüber belehrt hätte, was die
merow. Zeit unter ,natürlich' und ,übernatürlich' verftand.
wenn er die phyfifche Auffaffung des Geiftigen energifcher
in den Mittelpunkt gerückt, die Furcht vor den unbekannten
und unerklärlichen Kräften als ausfchlaggebendes
Moment aufgewiefen und die überweltliche Stimmung
der merow. Zeit an das Nichtverftändnifs der Bibel und
ihrer Bilderfprache angefchloffen hätte.

Halle a. S. Gerh. F ick er.

der angelfächfifchen Kirche zurückweift. Aber damit
ift noch nicht gefagt, dafs nun auch die ganze Inftitution
in allen Einzelheiten fleh nach angelfächfifchem Vorbilde
entwickelt haben müffe. Hierauf bezieht fich alfo die
weitere Unterfuchung.

Als ihr erfles Ergebnifs ftelle ich voran, dafs der
Unterfchied zwifchen öffentlicher und geheimer Bufse in
Schweden in der älteften Zeit nicht nachzuweifen ift, dafs
fleh vielmehr nur für die Zwangsbufse etwas Genaueres
feftftellen läfst, d. h. für gewiffe kirchliche oder bürgerliche
Vergehen wird die Bufse — G. meint fchon im
II. Jahrh. — vom Landrecht als Zufatz zur weltlichen
Strafe oder als Erfatz für fie verlangt. Dabei find aber
die Formen der öffentlichen Bufse nicht nothwendig mit
gefetzt. Der Unterfchied zwifchen öffentlicher und geheimer
Bufse tritt erft im Verlaufe des 13. Jahrh. hervor