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Ausgabe:

1901

Spalte:

89-91

Autor/Hrsg.:

Sack, J.

Titel/Untertitel:

Monistische Gottes- und Weltanschauung. Versuch einer idealistischen Begründung des Monismus auf dem Boden der Wirklichkeit 1901

Rezensent:

Otto, Rudolf

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Sack, J.. Monistische Gottes- und Weltanschauung. Verfuch
einer idealiftifchen Begründung des Monismus auf !
dem Boden der Wirklichkeit. Leipzig, W. Engelmann, j
1899. ( VIII, 278 S. gr. 8.) M. 5.—

,Eine abgerundete, logifch motivirte und leichtfafs-
liehe Anfchauung dtffen, was untere Zeit erfordert', will
Verf. bieten. Was aber untere Zeit erfordert — nämlich
zur Befriedigung und Verföhnung des Erkenntnifs- wie
des religiöfen Triebes — das ift ,der Monismus' (S. 6).

Was Verf. unter diefem vielgequälten Worte verficht,
und wie er feine Grundanfchauung gewinnt, geben Ein- [
leitung und Abfchnitt I an: Gott und Welt identifch,
nämlich die Welt ein einheitliches ,Allwefen', ein Gefammt-
organismus, mit unendlichem, intuitivem Bewufstfein, das
Zweckbewufstfein und fogar Selbftbewufstfein in fich
fchliefse; die Einzeldinge, Lebewefen und Menfchen angeblich
mit Spinoza ,modi' diefes Allwefens (in richtiger
Confequenz eigentlich Theile oder Gliedmafsen jenes
Riefen-Cröoid). Wir erkennen diefes Allwefen nicht auf
logifchem fondern auf analogifchem Wege: nämlich indem
wir von dem höchften uns bekannten Organismus,
dem Menfchen, aus fchliefsen auf den ,Allorganismus'.
Warum wir genöthigt find, überhaupt jenes Allwefen j
anzunehmen, und warum der Analogiefchlufs vom Men- [
fchen auf das Allwefen bündig fei, bleibt ziemlich im
Dunkeln. Beides ift mehr ein Vorfchlag zur Güte, fo
und fo über die Dinge zu denken, als eine folide Theorie. ;
— Eine Reihe von ,Principien', und zwar ,antinomifchel,
helfen zur Entfaltung und Geftaltung: Einheit und Vielheit
, Individualität und Gemeinfchaft, Beharrung und Bewegung
u. f. w. Von ihrem Spiele und ihren Wirkungen
handelt das Ende des Abfchnittes. Aus ihrem Ineinander- !
greifen und Wechfel erklärt fich die Fülle des Wirk-
liehen. Aber .erklärt' fich wirklich etwas, wenn man
gleichartige Erfcheinungen unter einen Begriff fafst und j
diefem den Namen eines ,Principes" giebt?

Abfchnitt II handelt von der .Entwickelung der Welt
und des Menfchen'. Auch der Allorganismus hat feine J
Entwickelung gehabt. Das ift etwas überrafchend. da er
nach Abfchnitt I mit ,Gott' identifch, aufserhalb von
Raum und Zeit, mit immer gleichem Bewufstfein u. f. w. |
fein follte. Der Verfuch eines Ausgleiches mit diefen
Ausfagen auf S. 52 reicht nicht hin. Die dann folgende
Skizze der Evolution lieft fich zum Theil wie ein Refume
von Häckel's natürlicher Schöpfungsgefchichte. Die fchon
mit einem minimalen Bewufstfein ausgeftatteten Ur-
elemente combiniren fich zu immer höheren Formen,
damit zugleich zu höheren Bewufstfeinsformen gelangend.
Mit gefchwindem Schritte eilt die Phantafie über alle
Schwierigkeiten hinweg die Leiter der Entwickelung bis
zum Menfchen hinauf. Die Intuition erfetzt die Ausführung
. Wo diefe verfucht wird, ift fie bisweilen er- |
ftaunlich naiv (f. u.). Unterfchieden ift Verf. von der .natürlichen
Schöpfungsgefchichte' durch energifche Betonung
der immanenten Teleologie. Das Zweckbewufstfein des
Allwefens äufsert fich im Zwecktriebe der Einzelwefen.
Die .Principien' der Organifation, der Differenzirung .leiten'
das Gefüge der kaufalen Urfachen. Schade nur, dafs
alles diefes mehr behauptet als nachgewiefen wird und an
wichtigen Stellen wieder ignorirt wird: wozu z. B. das
zweckfetzende Allwefen und das immanente Zweckftreben
der Entwickelung felbft, wenn die Entwickelung des Menfchen
etwa aus dem Gorilla fich vornehmlich aus der veränderten
,Lage des Rumpfes'etc. erklärt! Ganz mechanifch
und ohne Bemühung des .Allwefens' oder fonft trans-
cendenter Factoren wird am Schlufse auch die Entwicklung
des menfehlichen Denkvermögens conftruirt. Die
Anwendung der gleichen Conflruktionsmethode macht, i
dafs diefe Schilderung der .Entftehung des Menfchen'
eine fonderbare Aehnlichkeit hat mit einer anderen, noch
mehr veralteten: der in Herder's,Ideen zur Phil, der Gefell,
der Menfchheit'.

Der Entftehung und Entwickelung des äfthetifchen.
moralifchen und religiöfen Vermögens gelten Abfchnitt
III, IV, V. In einer Begründung und Darftellung des
.Monismus' wäre es vornehmlich am Platze und intereffant
gewefen, zu erfahren, wie zu den äfthetifchen, moralifchen,
religiöfen Werthen und Empfindungen fich das Ewig-
Ureine verhalte, ob und wie es fich in jenen bethätige
und in ihnen erlebt werde. Abfchnitt III giebt davon
fehr wenig. Seine Erwägungen flehen weder zum Monismus
noch zu fonft einem -ismus in deutlichem Beziige.
Sie fuchen offenbar eine Mitte zwifchen empiriftifcher
und idealiftifcher Betrachtung und Ableitung des Aefthe-
tifchen, find, ohne befondere Tiefe, doch anfehaulich und
voller anregender Gedanken. Cap. X fucht die Haupt-
factoren und Bedingungen des fchönen Eindruckes auf.
Cap.IX, über Urfprung und Entwickelung des äfthetifchen
Sinnes, läfst eine hiftorifche Entwickelung erwarten aber
nicht finden. — Bei der Darftellung des moralifchen Vermögens
im Abfch. IV zeigt fich der .Monismus' nur am
Schlufse, wo nach Menfchenwürde, Freiheit, Gleichheit,
nach Verbrüderung der ganzen Menfchheit, auch noch
das Solidaritätsgefühl mit der gefammten Natur, das
,Naturgefühl', als littliches Ideal erfcheint. Im übrigen
findet fich einfach eine Skizze altruiftifcher Moral auf
empirifcher Grundlage, von anderen ihresgleichen unterfchieden
dadurch, dafs die hiftorifchen Nachweife und
Entwickelungen fehr dürftig find, mit ihnen identifch darin,
dafs fie trotz Empirismus und Determinismus mit .Pflicht'.
,Ideal', Verbindlichkeit' als mit felbftverftändlichen Dingen
umgeht. — Anders merkwürdigerWeife in Abfchnitt V. .Ge-
grüfstfei dasUrvolk', fchrieb Schleiermacher, als er Fichte'»
phantafievolle Orakel über die Urmenfchheit zu kritifiren
hatte. Hier ift es der ,Urmenfch', in deffen Interna
uns Verf. feitenlang einführt. Derfelbe war Monift.
Kaum hatte er die Leiden feiner Exiftenz mit zu kurzen
Zehen durch Ausbildung feiner Intelligenz com-
penfirt, da ging ihm auch fogleich das Licht der
rechten Erkenntnifs auf. Er vernahm das all-eine Allwefen
. Natürlich noch nicht in klaren Begriffen, aber
gefühlsmäfsig—intuitiv. Max Müller's ,Anfchauung des
Unendlichen' half ihm dazu. Naturdienft, Fetifchismus,
Polytheismus find alles nur fpätere Vergröberungen und
Abfall, für welche ,die Urmenfchen nicht verantwortlich
gemacht werden' dürfen (S. 206). Die .Belege für den
urfprünglichen Monismus' in Cap. XVI lefen fich wie
die gewohnten Argumente der traditionellen Theologie
für die cognitio dei originalis der Protoplaften. Max
Müller, Darmefteter, ,der fo bedeutende' Brugfch, aber
auch Bäthgen und der Jefuit W. Schneider müffen Zeug»
nifs ablegen für das Uralter des .Henotheismus' und
primitiven Monismus. Cap. XVIII weift nach, wie es zu
folchem Verfall kam, und überläfst es dem 20. und den
folgenden Jahrhunderten, die Idealreligion des .abfoluten
Monismus' zubringen, für welche derSchlufs des XIX.Cap.
und des ganzen Buches noch fchnell die a.t.lichen Propheten
, die Verkündiger des .Allfeienden' (jahves'.l in
Anfpruch nimmt. —

Gründlicher Nachdenkende wird das Buch weder für
,den' Monismus, noch für feinen Specialmonismus gewinnen
. Seine ,moniftifchen' Grundtheorien find ein ziemlich
plumper Spinozismus, weder fehr klar und konfe-
quent aufgebaut, noch fehr forgfältig fundamentirt, noch
in feinen Einzelzügen anfehaulich gemacht. Eine gründliche
Einzelarbeit im Detail verräth fich an keiner Stelle.
Mit fehr unzureichenden Mitteln werden über fo com-
plicirte Dinge, wie etwa die Entwickelung auf religions-
gefchichtlichem Gebiete, Theorien aufgeftellt, die nichts
beweifen, als dafs die Herausarbeitung des kleinften Details
auf diefem Gebiete mehr werth ift als alle voreiligen,
noch fo plaufiblen General-Intuitionen. Seine Exempel
und Einzelanfchauungen ftreifen zeitweilig das Naive.
(Vgl. S. 66: die Abzweiung des Pflanzenreiches vom Thierreich
. Durch .Ablaufen der Urwäffer' wurden kleine