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Ausgabe:

1901

Spalte:

83-84

Autor/Hrsg.:

Beaumont, Gabriel de

Titel/Untertitel:

Paroles d‘un Vivant 1901

Rezensent:

Lobstein, Paul

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83

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 3.

s4

rnufeums und feine Bereicherung, die Freude des Volkes
an der Rückkehr von Zwingli's Waffen nach Zürich, die
zugleich jegliche Erinnerung an confeffionellen Hader
nach dem Sonderbundskriege befeitigen follte (S. 134), die
fchöne Sammlung von Reformationsdenkmalen durch
Regula Meyer vonKnonau, geb. Lavater und die Schenkung
derfelben durch ihren Enkel, Prof. Gerold Meyer
von Knonau, an das Zwinglimufeum beweift: — S. 148.
Z. 8 1. Lörin = Laurin ftatt Sörin. Der Vorname Andreas
(S. 154) für Böfchenftein, den Bullinger gab, ift falfch
und follte dauernd verfchwinden. Stähelin, Zwingli nennt
ihn S. 150 richtig Johann, aber S. 253 Andreas.

Nabern. G. Boffert.

Beaumont, Gabriel de, Paroles d'un Vivant. Preface de
M. Emeft Naville. Avec une notice biographique et
deux portraits de l'auteur en phototypie. Paris,
F. Alcan, 1900. (XXXV, 231 S. gr. 8.) Fr. 6.—

Diefe aus dem Tagebuche und den Briefen des Verf.
entlehnten .Worte1 offenbaren einem weiteren Lefer-
kreife das innere Leben und das Charakterbild eines
Mannes, der zu feinen Lebzeiten nur Wenigen bekannt,
von dielen aber hingebend geliebt und mit Begeifterung
verehrt ward. Am 13. September 1811 in Genf geboren,
hat Beaumont fehr frühe Neigung und Verftändnifs für
die Kunft gezeigt, und nach einigem Taften, das ihn auch
vorübergehend mit der Theologie in Berührung brachte,
wandte er fich der Malerei zu. Mehrere Reifen nach
Italien und wiederholter Aufenthalt in Florenz und Rom
entwickelten feine Naturanlage zu zielbewufstem Talent,
das fich auch in fchönen Leiftungen kund gab. Der
1858 erfolgte Tod feiner Frau, mit welcher er 18 Jahre
lang in ungetrübtem Glücke ein ideales Eheleben geführt
hatte, noch andere fchmerzliche Erfahrungen beftärkten
und vertieften in feiner Seele die chriftlichen Eindrücke,
die durch fromme Eltern ihm fchon als Kind vermittelt
worden waren. Seit 1864 widmete er fich fall ausfchliefs-
lich dem Studium des Alten und Neuen Teftamentes,
das er allerdings in dilettantenmäfsiger, der Zucht jeder
wiffenfchaftlichen Methode fpottender Weife trieb. Eine
befondere Vorliebe hegte er für die Apokalypfe, in die
er feine Lieblingsgedanken, feine religionsgefchichtlichen
und philofophifchen Phantafien hineininterpretirte und
über welche er in italienifcher Sprache feine geiftreichen
aber fchwer verftändlichen Einfälle veröffentlichte. Anfangs
März 1887 erlag er einer kurzen Krankheit, die
ihn nach einem fanften lichten Lebensabend der Liebe
und Verehrung der Seinen entrifs.

Diefer Verehrung und Liebe verdankt auch das vorliegende
, fchön ausgeftattete und mit zwei fprechenden
Bildern des Verf. gefchmückte Buch feine Entftehung. Es
bietet uns eine chronologifch geordnete Auswahl von
Aeufserungen, Gedanken undUrtheilen des edlen Mannes,
der mit kindlicher Einfalt und mit der Kraft und Aufrichtigkeit
eines nach Wahrheit dürftenden Gemüthes
feine Weltanfchauung und Lebensauffaffung auf der
Grundlage eines ftreng bibliciftifchen Chriftenthums fich
aufzubauen fuchte. Diefe aus einem Zeiträume von 23
Jahren herrührenden Fragmente find felbftverftändlich
von ungleichem Werthe, vor allem darf man fie nicht
auf die dogmatifche Wage legen oder an irgend einem
aus der wiffenfchaftlichen Theologie entlehnten Kanon
meffen; fie find der Ausdruck innerer Kämpfe, vieler
Erfahrung, ernften aber durch keine Zucht gefchulten
Nachdenkens. Ein von den Bekenntnifsen und Normen
der Kirche ausgehender Lefer wird in vielen der hier
gebotenen Aeufserungen einen myftifchen, fchwarm-
geifterifchen Zug wahrnehmen. In vielen Stücken berühren
fich feine Aphorismen mit den Gedanken Tolftoi's,
deffen Verwerfungsurtheilen über die focialen und
nationalen Einrichtungen und Sitten der Gegenwart,

über das officielle Kirchenthum und Chriftenthum er
merkwürdiger Weife zunimmt, ohne jemals eine Zeile
des ruffifchen Grafen gelefen, noch feine Schriften ge-
! kannt zu haben. Die Sprache ift nicht immer durch-
j fichtig, zuweilen gefucht und zu geiftreich, aber oft
packend und zum weiteren Sinnen und Nachdenken anregend
. Tont komme a quelque coin dans lequel il riaime
pas qu'on portc la lampe — Le souci du monde ttest pas
de faire ce qui est juste, mais de justifier ce qu'il fait.
Diefe Paroles d'un vivant verdienen es in der That für
diejenigen aufbewahrt zu werden, die gerne in das innere
Heiligthum eines um die höchften Probleme ringenden
Geiftes einen Blick thun.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Franz, Ernft, Religion. Illusionen. Intellektualismus. Ein Bau-
und Zimmerplatz der Weltanfchauung. Cöthen, O.
Schulze, 1900. (III, 140 S. gr. 8.) M. 2__

Diefe ,aus pofitivem Gedankengehalt und aus Glauben'
(8—90) gefchriebene Schrift möchte unferem Volke ,eine
einheitliche, in fich gefchloffene, befriedigende und verpflichtende
Weltanfchauung' wiedererobern, ,welche die
Forderungen des Intellectes ohne Einfchränkungen anerkennt
, dabei doch in ihm nur einen Factor des menfeh-
lichen Innenlebens fieht, gefchichtlich begründet, aber ohne
den Ballaft der Jahrhunderte' (130). Der Verf. ift von der
Notwendigkeit einer folchen Aufgabe aufs Tieffte durchdrungen
. ,Seitdem die Religion aufgehört hat, das Volksleben
zu beherrfchen, hat diefes alles Verftändnifs verloren
für die höchfte Lebens- und Geiftesleiftung der
Menfchheit, die für die Deutung und Werthung der Welt
und des Lebens aus dem richtig erkannten Mittelpunkte
des Lebensintereffes heraus' (93). Die Kirche ift in ihrer
gegenwärtigen Geftalt nicht mehr im Stande, diefe Aufgabe
zu löfen; ja fie erweift fich in dem Mafse ohnmächtig
derfelben gerecht zu werden, je mehr die äufsere Cultur
fortfehreitet. ,Der Bau der kirchlichen Weltanfchauungs
und Sittenlehre ift ausgeführt von Erz und Marmor, aber
untermifcht mit grofsen Schichten elenden Lehms. Viele
von denen, die nicht in diefen Fragen fich fchon völligem
Stumpffinne oder Marasmus und Indifferentismus ergeben
haben, können dem Kitzel nicht widerftehen, einmal mit
leichtem Schlage folche Lehmfchicht zu durchftofsen, und
dann fällt der ganze Bau eben zufammen. Es wäre
j aufserordentlich fcherzhaft, wenn nur unfer Volk darüber
nicht zu Grunde ginge, oder doch zu feinen höchften Aufgaben
unfähig würde; ein Volk ohne Religion, ohne gefchloffene
fittliche Weltanfchauung kann die Welt nicht
erobern' (53). Das pofitive Ziel, welchem der Verf. zu-
ftrebt, ift das .dankbar gröfsefte: Erneuerung der Welt-
I anfehauung unferes Volkes . . . ihr Kern bleibt die Religion,
I aber eine Religion innerhalb der wirklichen Welt. Eine
Religion ferner, in deren Beftimmung der Subjectivismus
nach Möglichkeit eingefchränkt werden mufs, alfo eine
gefchichtliche Religion, alfo die gefchichtliche Religion,
! alfo die chriftliche Religion' (77).

Um diefes Ziel zu erreichen, gilt es aber zuerft die
Hindernifse zu befeitigen, die die Kraft des Chriftenthums
in der Gegenwart lähmen und feinen Fortfehritt hemmen.
Das erfte diefer Hindernifse ift der mit der wahren Religion
oft aufs engfte verbundene und daher in Vielem mit der
I Religion felbft verwechselte Illufionismus. .Ueberall wo
die Religiofität noch nicht oder nicht mehr vorhanden ift,
da ftellt fich erft Illufionsbedürfnifs, dann Illufionsfähig-
keit ein' (62—63). Die Frucht diefes Triebes ift vor allem
der Wunderglaube. Gegen diefen Illufionismus, welcher
,die Wunfchwelt der Phantafie an die Stelle der Wirklichkeit
fetzt' (70), und welcher daher auch nur illufionären
Troft fpendet, indem er fo fix hinweg über die fchweren
Kirchhofsftunden hinweghilft' (64), kehrt der Verf. die
Waffen beifsenden Spottes, wuchtiger Entrüftung, nicht