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Ausgabe:

1901

Spalte:

79-81

Autor/Hrsg.:

Francisci, Beati

Titel/Untertitel:

Sacrum commercium cum domina paupertate 1901

Rezensent:

Mueller, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 3.

.So

viel Kirchengefchichte. Die fehr anziehenden Charakte- | ihre Zukunft zu forgen, wie fie aber auch damit noch
riftiken der grofsen Perfönlichkeiten tragen zum Ver- j nicht zum Ziel kommt, ruft fie die Acidia zu Hilfe, die
ftändnifs der Wirthfchaftsgefchichte doch verhältnifsmäfsig j das Gute nicht anfaffen und das Angefangene nicht voll-
nur wenig bei. Eine fyftematifche Darlegung der Gröfse j enden läfst. Und mit Hilfe von deren Schaaren wird
und des Wachsthums des kirchlichen Befitzes und feiner ; dann der Sieg errungen. Das Mönchthum verfällt gänz-
Bewirthfchaftung wäre mir willkommener gewefen. Viel- 1 lieh in Weltfinn, fchlägt die Mahnungen der Armuth in
leicht bringen das die nächften Bände. Für mancherlei An- j den Wind, fo dafs fie auf Gottes Geheifs von ihnen
regungen und Belehrungen find wir dem Verfaffer dankbar.') j weicht. Darum beglückt fie der Befuch Franzens und
Hohes Lob verdient die glänzende Ausflattung des j feiner Brüder als Zeichen einer neuen Zeit. Franz geBuches
. So fchön hat man kaum im 15. oder 16. Jahr- lobt ihr nun Treue, fie giebt jedem der Brüder den
hundert gedruckt. Die prächtigen Initialen und Zierftücke Friedenskufs, fteigt mit ihnen vom Berg herab, und nun
die für das Buch wohl befonders gezeichnet und ge- beginnt ein fröhliches Tafeln mit Gerften- und Kleien-
fchnitten worden find, das fchöne Papier, der Pergament- brot und frifchem Waffer. Das Lager der Freunde ift
einband mit Golddruck geben dem Bande ein äufserfl ( die Erde, ihr Kiffen ein Stein, ihr Klofter die Welt rings

vornehmes Ausfehen. Nur eine Disharmonie ift mir aufgefallen
: die Form der M N und anderer Anfangsbuch-
ftaben, die doch ausgefprochen lateinifch ift, pafst nicht
zu der gotifchen Form der übrigen.

umher. Eine Ermahnung der Armuth an die Brüder
bildet den Schlufs.

Keine Frage, dafs in diefer Dichtung ein ganz wefent-
liches Stück der urfprünglichen Stimmung der francis-

■j g Gerh F ick er kanifchen Jüngergemeinde, der fröhliche und feiige Ge-

a " ' ' ' nufs der Armuth, Ausdruck findet. Von irgend welcher

Polemik gegen eine anders geartete Richtung innerhalb
Francisci, Beati, Sacrum commercium cum domina pauper- des Ordens ift keine Rede. Die Warnungen der Armuth
täte. Opus anno domini 1227 conscriptum ad fidem und ihre Weisfagung von den Gefahren der Zukunft

™ „ a-„__0.-f., ;t-.v.~~ ■ (S. 21 f.) find fo blafs, dafs fie die Möglichkeit nicht aus-

variorum codicum ms. Adiuncta versione italica ine- ;,. , ' ,. T,. , . ' . ,. . r.. ö , ,-. ,

„ „ . , Ai- • • ^ at- fchhefsen, die Dichtung in die Anfange des Ordens zu
dita curante P. Eduardo Almconiensi, O. Min. t verlegen. Der Herausgeber hält denn auch an dem
Cap., Archivo Generali praeposito. Romae, apud Datum des Juli 1227 feit, das 3 Handfchriften und eine
Archiv. Gen. Ordinis, 160, Via Boncompagni, 1900. ; italienifche Ueberfetzung bieten. Er hält für möglich,
(XVI, 51 S. hoch 4 m. 1 Tafel.) I dafs fchon Thomas von Celano die Dichtung benutzt

_. ' , * , _ . | habe; nimmt mit Aloifi an, dafs Jacopones Gedicht von

Die ,Prau Armuth' ift durch Dante und Giotto eine ihr abhängig fei und Ubertino da Cafali fie gekannt habe.

weltbekannte Geftalt geworden. Sie geht aber fchon
auf die erfte Legende des Thomas von Celano und
fchliefslich auf Worte des Heiligen felbft zurück, der

Letzteres ift nun ganz ficher. Aber fchon das Verhält-
nifs zu Jacopone halte ich zwar für möglich, aber keineswegs
gewifs. Und wenn Thomas I. von einem cotnmer-

die Armuth feine Braut Mutter oder Herrin zu nennen ; dum feines Heili cum sancta paupertate fpricht, fo
pflegt. Und Jacopone da Todi lafst.die Armuth durch ; wird doch vid eher diefes Wort der berühmteften Le-
die Welt ziehen, überall eine Statte fuchend und uberall ; de den Titd der Dichtung beftimmt haben als um-
von der Schwelle gewiefen auch von den verfchiedenften , gekehrt Wenn aber in beiden Erzählungen einmal der
Ständen der Kirche und felbft des armen Ordens. Die Ausdruck begegnet domum domui cofmlare, fo liegt da
allegonfche Erzählung, die der P Ed. d Alengon in neuer ; eben das bekannte Wort Jef. Ss zu Grunde.

A .innnka I t 11 ii I t klfta t ■ £3. d La 1 l in Hö«- / /i//,ir'i,i«|yi //» I ____ _ . _ . ■* _ _

Ausgabe (zuerft hatte fie Aloifi in der Collczione di
opere Dantcsclii 1894 bekannt gemacht) erfcheinen läfst, gehört
in diefelbe Reihe. Der h. Franz zieht aus, die Armuth
zu finden (nach Hohel. 3 1 ff u. ä.). Zwei Greife nennen
ihm ihre Wohnung auf einem hohen Berge. Einige Genoffen
begleiten ihn dahin. Die Armuth empfängt fie,

Wie ftehts denn aber mit jenem Datum? Der Herausgeber
hat 6 Hff. gefunden. Davon enthalten es 3 ganz
am Schlufs, Codd. Casanat., Bodl. und Sen.: ,Actum [C.
Bodl. Factum] est hoc opus mensc Jidiipost obitutn beatis-
simi [C. Bodl. beati] Francisci anno 122p u. f. w. Auch
eine italienifche Ueberfetzung in Cod. Magliab. XXXV,

durch eine Stimme vom Himmel vorbereitet. Franz 2Q datirt fo. Aber diefer ift erft im 16., Cafanat. 1
redet fie an und preift fie insbesondere als dm unzer- I die beiden anderen im 15. Jh. gefchrieben und ge-
trennhehe Gefährtin des Herrn Die Armuth antwortet, rade von Bodl. und Sen. hat der Herausgeber keine
indem fie ihre Gefchichte erzahlt: ihre Gemeinfchaft mit Coilation mitgetheilt; von Bodl. nicht, weil er es nicht
Adam im Paradies ihre Trennung von ihm nach dem fur nothi hidt von Sen weil er ihm zu f at bekannt

Sündenfall, unftete heimatlofe Wanderung über die Erde,
bis der Herr herniederkommt und fie in feinem letzten
Willen feinen Auserwählten vermacht. Durch fie wird
die Schaar der Gläubigen mächtig vermehrt, aber mit
dem Frieden hört diefes Wachsthum auf und ihre Schweiler,
die Frau Verfolgung, die bisher die Gläubigen wach gehalten
hatte, weicht von ihr. Dann kommen die Mönche

wurde. Man kann alfo auch nicht feftftellen, ob nicht
etwa alle drei einen gemeinfamen Typus darftellen. Der
Herausgeber fucht das Datum aber auch durch dieUeber-
lieferung über den Verfaffer zu ftützen. Das Chron.24- gen.
(14 Jh.) nennt den General Johann von Parma 1247—57,
ebenfo der Cod. Ravenn. von Ende 15. Jhs. der es aus dem
Chron. haben kann; die Ueberfetzung des Cod. Magliab.

und verbinden fich wieder mit ihr ; aber ihre Feindin die den General Qescentius 1244-47; Wadding den Engländer
Avaritia redet unter dem Namen der Discretio ihren Ge- ; Joh. Peckham. Ubertino fagt nur, der Verf. fei quidam
treuen ein, wenn, fie die Freundfchaft undl Verehrung der /sanctus doctor, hujus sanetae taupertatis professor et
Mächtigen der Erde gewannen, dann erft wurden recht | zdafor strenuus woraus man nicht feheri kann, ob
viele durch fie zu Gott bekehrt. Der Ruhm ihrer Armuth | er den Namen kannte oder nicht. Nur meint der Herbreitet
fich in der That aus, fie werden durch ihre Armuth
reich, alle Welt bringt ihnen ihre Güter dar, um dadurch
Vergebung der Sünden zu erlangen. Dann fpricht fie
ihnen unter dem Namen der Providentia zu, doch für

1) Auf die übertrieben fcharfe Recenfion feines Buches, die U. Stutz
in der Deutfchen Litteraturzeitung von 1900, Sp. 1580—1586, vgl. Sp.
1992, veröffentlicht hat, antwortet S. in feiner Brofchüre: Wirtfchaftliche
Unterfuchungen. 1. Heft. Zur Würdigung neuefter rechtsgefchichtlicher
Kritik. Abwehr und Antwort an Herrn Ulrich Stutz in Freiburg i. ßr.,
Leipzig, J. J. Weber, 1900. 4". IV. 83. M. r.—

ausgeber, diefe Ueberlieferung weife auf einen General.
Aber für Joh. von Parma ergeben fich keine Anhaltspunkte
. Das Jahr 1227 verlange Joh. Parens, deffen
Name leicht in Parmenfis übergehen konnte. Hier hängt
indeffen alles an einem aufserordentlich dünnen Faden.
Ich kann mich jedenfalls vorläufig nicht entfchliefsen,
jenem Datum Bedeutung beizulegen. Die Dichtung kann
ebenfo gut in' fpäterer Zeit im Kreis der alten Schichten
entftanden fein, aber jedenfalls noch im 13. Jh., da
Ubertino fie kennt.