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Ausgabe:

1901 Nr. 2

Spalte:

53-54

Autor/Hrsg.:

Romanes, George John

Titel/Untertitel:

Gedanken über Religion 1901

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 2.

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erbaut, diefe Vollendung des geiMigen Lebens in der
Religion — rnag fie immerhin einfeitig die Fülle wirklicher
Religion zu umfaffen nicht im Stande fein — ift
Idealismus reinfter Art. Wenn fich beide bei Ritfehl
irgendwie begegnen, was ich nicht in Abrede ftellen

den modernen Naturforschers. Hier kannman dieSchranken
und Vorurtheile eines von einfeitig naturwiffenfehaftlicher
Begriffsbildung herkommenden und in hiftorifch-ethifcher
Begriffsbildung fo gut wie gar nicht gefchulten Mannes,
aber auch das durch alles Raifonnement des Verflandes

will, foilt doch mit Grund zu bezweifeln, dafs jene Empirie | nicht befriedigte religiöfe Bedürfnifs des Herzens typifch
den Anftofs zu diefem Idealismus geboten haben follte. : kennen lernen. Und in der Hauptfache hat die Be-
Der Verf. wird das ja auch direct nicht behaupten wollen, j obachtungsfähigkeit diefes klaren Kopfes auch auf die
Es find andere Elemente, — alle diejenigen, die man als richtigen Auswege wenigftens annähernd gefuhrt: An-
empiriMifch-fkeptifch in Ritfchl's Theologie bezeichnet hat 1 erkennung der naturwiffenfehaftlichen Erkenntnifs als einer
und bezeichnen kann, die der Verf. unmittelbar aus jener nur auf Naturphänomene eingefchränkten und über den

Zeitlage herüberwirken läfst. Aber dann läfst feine Dar
ftellung eine Lücke erkennen. Er zeichnet die Entwickelung
des philofophifchen Denkens von Hegel bis zur neueren
Skepfis und indem er in diefe Entwickelung Ritfehl eingliedert
, bezeichnet er nirgends den Punkt, an dem jenes
Lebensideal als originelles Element in diefelbe eingreift.
Dieter Punkt ift nicht fo fchwer aufzufinden, er wird aber

Grund des Kosmos nicht entfeheiden konnenden Wiffen-
fchaft, Verftändnifs der Religion und ihres Wefen aus
den fubjectiven Erlebnifsen religiöfer Intuition und fchliefs-
lich Werthung des Chriftenthums als des Höhepunktes
der Entwickelung des religiöfen Bewufstfeins. Der Gegen-
fatz von Vernunft und religiös praktifchem Erleben ift
in Anlehnung an Pascal ausgeführt, die entwickelungs-

jedem verborgen bleiben, der den Syftematiker Ritfehl ! gefchichtliche Betrachtung des Chriftenthums in Anleh
von dem Hiftoriker trennt, jenen bis in die Einzelheiten nung an E. Caird. Mit diefen beiden Richtungspurktcn
feines Syftems kritifirt, von diefem blofs für mittheilens- ■ ift aber auch das Schwanken zwifchen einer dogmatifch-
werth halt, wie er über die Frömmigkeit Luther's geurtheilt fupranaturaliftifchen und einer hiftorifch-immanenten Aufhat
. Ritfehlift wiffenfehaftlich von Hegel-Baur ausge- ! faffung der Religionsgefchichte gegeben, das zu den übrigen
gangen. Aber ehe diefe auf ihn Einflufs gewannen, hatte '• Unficherheiten hinzukommend das Bild einer fehr un-
er Männer kennen gelernt, die ihm nicht durch ihre fertigen Denkweife vollendet. In alledem aber bleibt
Gedankenfyfteme, fondern eben als charaktervolle Per- der fich immer wieder behauptende, ftarke religiöfe und
lönlichkeiten unverwifchbare Eindrücke hinterliefsen: fein fittliche Sinn des Verfaffers erkennbar. Von ihm ift aus
Vater und Karl Immanuel Nitzfeh. Diefe Jugendein- ' Anlafs der Häckel'fchen Welträthfel, in denen er als
drücke dürfen nicht überfehen werden. Mit ihrer Hilfe j Autorität für materialiftifche Pfychologie citirt und feine
hat er die Achillesferfe von Baur's kirchengefchichtlicher ' fchliefsliche religiöfe Wendung verfchwiegen wird, vielfach
Forfchung entdeckt: die Verftändnifslofigkeit für die Macht ; die Rede gewefen. Den Unterfchied zwifchen feinem
der hiftorifchen Perfönlichkeit (vgl. Chriftl. Welt 1893 S. 757. ; und dem Wefen eines Häckel und Huxley beleuchtet er
782). Diefe Empirie vollzieht in ihm den Bruch mit j felbft fehr zutreffend: ,Die Vernunft (d. h. die naturwiffen-
Hegel's Logik. Daher rührt die Schätzung von Mt. II, ! fchaftliche Denkweife) ift weder die einzige Eigenfchaft
27, die fich bis in feine früheften Arbeiten zurückver- ! noch die einzige Fähigkeit, welche der Menfch für ge-
folgen läfst. Daher Mammen die Entdeckungen für die 1 wohnlich zur FeMMellung der Wahrheit benutzt. Mora-
Dogmengefchichte, die er an AuguMin Bernhard Luther lifche und geiltliche Fähigkeiten find in ihren befonderen
gemacht hat. In der Betrachtung diefer Perfönlichkeiten Gebieten, auch im täglichen Leben, von nicht geringerer
kannte Ritfehl keine Skepfis. Und die empirifche That- Bedeutung. Glaube, Vertrauen, Gefchmack u. f. w. find
fache ihrer Wirkfamkeit in der Gefchichte fchuf und trug bei Beurtheilung von Charakter, Schönheit u. f. w., wenn
den Idealismus feiner charaktervollen Frömmigkeit. Will j es gilt, die Wahrheit fefizuftellen, ebenfo wichtig wie die
man das zeitgefchichtlich verMehen, fo vergleiche man | Vernunft. Wir können wohl fagen, dafs die Vernunft
damit Wellhaufen's Entdeckung der Propheten Israels und zur hTforfchung der Wahrheit nur da verwendbar iM,
die Schlufsworte feiner DarMellung des Evangeliums (Isr. | wo es fich um Kaufalität handelt. Die geeigneten Organe
für die Erkenntnifs der Wahrheit, fofern es fich um
etwas anderes als Kaufalität handelt, gehören dem fitt-
lichen und geiMlichen Gebiet an' (S. 44, vgl. S. 123). Hier
kommt Romanes ganz dicht an den Unterfchied naturwiffenfehaftlicher
und hiMorifch-ethifcher Begriffsbildung,
deffen volle Bedeutung er dann freilich in der weiteren
Unterfuchung nicht erfchöpft.

Heidelberg. E. Troeltfch.

jüd. Gefch.- 355 f.) oder, wenn man lieber will, Carlyle
einerfeits, Nietzfche andererfeits.

Offenbach. S. Eck.

Romanes. George John, Gedanken über Religion. Die

religiöfe Entwicklung eines Naturforfchers vom Atheismus
zum ChriMenthum. Autorifirte Ueberfetzung nach
der 7. Auflage des englifchen Originals von Dr. E.
Dennert. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1899. Petran, Pred. ErnM, Beiträge zur Verständigung über Begriff
(IV, 162 S. gr. 8.) M. 2.60; geb. 3.20 I und Wesen der sittlich-religiösen Erfahrung. Gütersloh,

, , ,'. . . . . , TT , C. Bertelsmann, 1898. (VII, 359 S. gr. 8.)

Wir haben es hier mit einer der zahlreichen Ueber- ' m h M 6 —

fetzungen aus dem Englifchen zu thun, deren Nothwen- M- 54°; SeD- 1 ■ •

digkeit nicht gerade einleuchtend iM. Der Mangel jeder ; Es zeugt von wiffenfehaftlichem Intereffe und von
litterarifchen Form diefes aus Auffätzen und Notizen zu- ! Arbeitsmutb, wenn ein praktifcher GeiMlicher die fchwie-
fammengerafften und mit Anmerkungen des Herausgebers ! rige und wichtige Frage nach Begriff und Wefen der
und Ueberfetzers obendrein belafteten Büchkins legt 1 fittlich-religiöfen Erfahrung in Angriff nimmt, von Be-
diefen Zweifel nicht minder nahe als die Unficherheit feines i fcheidenheit und irenifcher Gerinnung, wenn er nur ,Bei-
philofophifchen Standpunktes, in der ein naiv-rea- S träge zur VerMändigung' geben will und feine Vorrede
liMifcher und dogmatifcher Empirismus mit principieller ; mit den Worten fchliefst: ,Non tarn ostendere cupio quam
Skepfis und eine ganz dogmatifch gebundene Auffaf- j vobiscum quaerert. Von den vier Capiteln des Buches
mng der natürlichen und geoftenbarten Religion' mit dem j iM das erMe nur eine erweiterte Einleitung: es erörtert
nuS- Dere,ten Zweifel an Metaphyfik und HiMorie des die Etymologie des Wortes (Erfahrung1 und feine An-

ChriMenthums fich wunderlich durchkreuzen. Davon aber
einmal abgefehen iM das Büchlein das Zeugnifs einer
amma Candida, wie fie wohl nicht häufig iM, und das
typifche Beifpiel eines religiöfe Dinge aufrichtig erwägen-

wendung im populären, wie im philofophifchen, befonders
Kant'fchen Sprachgebrauch, ferner feine Uebertragung
auf theologifches Gebiet (letzteres allerdings nicht voll-
Mändig). Das zweite Capitel reiht Berichte über die