Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1901 Nr. 26

Spalte:

686-689

Autor/Hrsg.:

Eger, Karl

Titel/Untertitel:

Die Anschauungen Luthers vom Beruf. Ein Beitrag zur Ethik Luthers 1901

Rezensent:

Rade, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

685

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 26.

686

Denkmälern diefes Triumphes gehören auch die Texte
unferer griechifchen Bibel, die üch die Welt nicht erobert
hätten, wenn nicht das urwüchfige, auf den Lippen
lebendige, weil gefprochene Weltgriechifch ihre Pofaune
gewefen wäre. Durch Thumb's Buch rückt die Bibel
auch für den Gräciften wieder ein gutes Stück von dem
decadenten Doctrinarismus ab, welcher mit feiner thörich-
ten Bekämpfung der lebendigen Umgangsfprache der Ent-
ftehungszeit des Chriftenthums einen fenilen Zug aufgeprägt
hat, und fie nähert fich dem unerfchöpfliehen
Quellengebiete, aus dem die Vorfehung immer dann
ihre Brunnen emporfprudeln läfst, wenn unfer eigener
Witz zu verfchmachten droht. Durch die Befreiung des
Bibelftudiums von einer antiquirten fprachwiffenfehaft-
lichen Methode wird die Bibel nicht nur verftändlicher
und fchlichter, fondern auch wirkfamer und verehrungswürdiger
.

Im Einzelnen wird fich die wiffenfehaftliche Dis-
cuffion mit Thumb's Aufftellungen noch lange zu be-
fchäftigen haben. Mehrere Fragen werden von anderen
SachverfVändigen anders beantwortet, fo die Frage nach
der EntPtehung der Koivr) wie nach ihrer etwaigen geo-
graphifchen Differenzirung. Ich darf hier wohl befonders
auf P. Kretfchmer, Die Entftehung der Koine (Sitzungsberichte
der Kaif. Akad. der Wiffenfchaften in Wien,
philofophifch-hiftorifche Claffe, Bd. CXLIII, X, Wien
1900) verweifen, ohne hier auf die Streitfrage nach der
Entftehung der Koivrj, in der ich mich nicht für com-
petent halten kann, einzugehen. In meinem Artikel
,helleniftifches Griechifch' R.-E. 3VII, 627 ff. habe ich
mich hierin an Kretfchmer angefchloffen, der fich bereits
früher kurz zur Sache geäufsert hatte. Ueber die
geographifche Differenzierung der Koivr) in mehrere
.Dialekte' hat man fich früher des öfteren recht verkehrte
Vorftellungen gemacht. In theologifchen Büchern prangen
z.B. immer noch die alten Ladenhüter des .alexandrinifchen'
und des .makedonifchen' Dialektes, wobei man fich auf die
oft recht dilettantifchen Einfälle der alten Grammatiker
mehr verliefs, als auf die Thatfachen. Thumb räumt mit
diefen irreführenden Vorftellungen auf; der .alexandrinifche'
und der ,makedonifche' Dialekt verfchwinden mit dem
Judengriechifch' und dem .neuteftamentlichen' Griechifch
in der Verfenkung. Immerhin denkt Thumb über die
Möglichkeit einer Herausarbeitung topographifcher Be-
fonderheiten der Koivr] günftiger, als z. B. Blafs und der
oben erwähnte Artikel der R.-E.3, günftiger auch, als
Wilhelm Schmid-Tübingen. Namentlich von einem eindringenden
topographifchen Studium neugriechifcher Dialektformen
erhofft er die Hinauffchiebung mundartlicher
Verfchiedenheiten in die Koivrj, und er fafst feine eigenen
Ergebnifse wie folgt zufammen (S. 200): ,wenn wir auch
darauf verzichten müffen, eine Reihe fcharf charakterifirter
und örtlich abgegrenzter „Dialekte", der helleniftifchen
Sprache herauszuheben, fo find wir doch im Stande gewefen
, eine Anzahl mundartlicher, d.h. local befchränkter
Züge in der fcheinbaren Einheitlichkeit zu unterfcheiden'.
Wenn Thumb hier hauptfächlich an phonetifche und mor-
phologifche Eigentümlichkeiten denkt, wird man ihm
fchwerlich principiell widerfprechen können. In lexikali-
fcher Hinficht dagegen fcheint mir die Einheitlichkeit der
Koivr) gefichert zu fein; örtliches Sondergut an techni-
fchen Ausdrücken, Fremdwörtern, Eigennamen u. f. w. ift
zwar felbftverftändlich nachweisbar, genügt aber nicht
zur Heraushebung befonderer Dialekte.

Einige Randbemerkungen feien angefügt. S. 95
xortjQiov y)vy_QOv flammt nicht erft von Romanos, fondern
fteht fchon Matth. 10 43. — S. 125 xoleiielv iiera
rivoq in der Silko-Infchrift ift von Thumb mit Recht
als gemeingriechifch angefprochen worden (gegen Lep-
fius, der einen Kopticismus darin vermuthete); vgl. fchon
LXX 1. Sam. 1733, 1 Kön. 1224, Apok. Joh. 2ib, 127, 134,
1714 (fämmtliche Stellen fchon bei Wilke-Grimm). —
S. 128 lies as ftatt DK. — Zu S. 128 Anm. 7 vgl. Theol.

; Lit-Zeitung XXIII (1898) S. 630f. — S. 144f.: Mufs die
! Prothefe eines i vor r impurum nicht im Zufammenhange

mit ähnlichen Erfcheinungen in den romanifchen Sprachen
: betrachtet werden? — S. 185: Auch in der Bibel bedeutet
; öia&rjxrj Teftament, nicht Bund. — S. 186 Qr'jOrjg sv
&sq3 der Katakombeninfchrift klingt mehr an Act. 1728

als an Rom. 610 an.

Der Verfaffer ift vor Kurzem an die Univerfität
' Marburg berufen worden. Möchten fich die jungen
1 Theologen die reiche Belehrung nicht entgehen laffen,
[ die fie für ihr Bibelftudium bei Thumb finden können.

Heidelberg. Adolf Deifsmann.

Eger, Lic. Karl, Die Anschauungen Luthers vom Beruf. Ein

Beitrag zur Ethik Luthers. Giefsen, J. Ricker, 1900.
(IV. 162 S. gr. 8.) M. 3.60

In demfelben Verlage, der uns die fchöne Arbeit
Jäger's über ,Luther's religiöfes Intereffe an feiner Lehre
von der Realpräfenz' fchenkte (Th. LZtg. 1901, 12), ift in
demfelben Jahre ein weiterer werthvoller Beitrag zum
Verftändnifs der Luther'fchen Gedankenwelt erfchienen.
E. bietet eine reiche Sammlung von Luthercitaten zu
dem Thema des Berufsgedankens in ausgezeichneter
Auswahl und Zuverläffigkeit. Den Antrieb dazu bot
ihm feine Erfahrung im Pfarramt, der Wunfeh gegenüber
hochkirchlichen und fchwärmerifchen Ueberfpanntheiten
die religiös-ethifche Werthung fchlichter Berufsarbeit bei
Luther in ihrer mafsgebenden Bedeutung darzuftellen,
dabei auch die Punkte aufzuweifen, die im weiteren Verlaufe
Abweichungen von diefem Lebensideale begünftigen
konnten. Verf. hofft dabei, ,dafs die praktifchen Gründe,
die zur Behandlung des Themas den erften Anlafs boten,
der wiffenfehaftlichen Objectivität und Zuverläffigkeit der
| Arbeit keinen Eintrag gethan haben', was man ihm gern
i beftätigen kann: von diefer Seite her ift feiner Leiftung
| kein Hindernifs erwachten. Eher wird man fagen können.
I dafs eine Beachtung der praktifchen Schwierigkeiten, die
aus der modernen focialen Entwickelung heraus jenem
Lebensideale in den Weg treten, ihm hätten von Nutzen
fein können. Es fchadet ja wahrlich der gefchichtlichen
Forfchung nicht, wenn man durch Erfcheinungen des
Lebens fich den Blick für die verfchiedenen Seiten eines
Lebensprincipes fchärfen läfst! Ernftlicher beeinträchtigt
wird aber der Werth der Schrift durch den im
Vorwort ausgefprochenen und nur zu treu durchgeführten
Verzicht auf jede Ermittelung rückwärtiger Ver-
! bindungslinien.

Selbftverftändlich entwickelt E. den gegebenen Stoff
, in hiftorifcher Folge. Ein erfter Abfchnitt (S. 4—43) ver-
j folgt die religiös-ethifchen Gedanken Luthers bis 1520; er
' fchliefst mit einer Analyfe der Schrift ,Von der Freiheit'.
Capitel 2 (S. 44—68) behandelt die Loslöfung von den
Formen katholifcher Kirchlichkeit und Frömmigkeit bis
zum endgiltigen Bruch in der Schrift ,Dc votis'; deren
Inhalt wird eingehend erörtert. Die beiden Capitel 3:
Der Chrift und die menfehliche Gemeinfchaft; Reich
Chrifti und Reich der Welt (S. 69—94) und 4: Die Stellung
des Chriften zum Gefetz; die Erfüllung des Gefetzes durch
Liebesübung im Beruf (S. 95—156) gehen einen Mittelweg
zwifchen gefchichtlicher und fyftematikher Dar-
ftellung: der neue Gedanke hat fich durchgefetzt, er
entfaltet fich in die Breite und ift nur mehr gewi'ffen
Veränderungen ausgefetzt, als dafs er fich noch entwickelte
. Man wird von vornherein darauf gefafst fein
dafs er in diefer Periode Trübungen erleidet. E. ver-
fäumt nicht, darauf aufmerkfam zu machen; da er bei
feinen kritifchen Bemerkungen auf alle /Verbindungslinien
' verzichtete, mufs ihm der ideale Luther dazu den
Mafsftab geben.

In der erften Periode Luther's wird man über der
Freude an gewiffen Vorboten fpäterer Erkenntnifse