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Ausgabe:

1901

Spalte:

684-686

Autor/Hrsg.:

Thumb, Albert

Titel/Untertitel:

Die griechische Sprache im Zeitalter des Hellenismus. Beiträge zur Geschichte und Beurtheilung der KOINE 1901

Rezensent:

Deissmann, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 26.

684

buches Prolog und Epilog allerdings nur als Expofition
und äufserlicher Abfchlufs der Dichtung dienen follen.
Aber nicht aus der Welt gefchafft hat der Verf. die Bedenken
gegen die einheitliche Conception des Ganzen
und die auf diefe Bedenken gegründete Hypothefe, dafs
der Verf. der Dichtung im Prologe und Epiloge von einer
bereits feft formulirten, wahrfcheinlich auch fchon fchrift-
lich fixirten, Hiobgefchichte Gebrauch gemacht hat.
Hätte der Verfaffer im Prologe nur erzählen wollen: ,Es
war einmal ein Mann, der war fo fromm, dafs ihm Niemand
etwas Böfes nachweifen konnte; und doch hat
ihn in wunderbarer Weife grofses Unglück getroffen'
(vgl. S. 81), fo hätte er diefen fchlichten Gedanken ge-
wifs auch in fchlichter Weife zum Ausdrucke gebracht
und zu dem Zwecke ficher nicht Gott, den Satan und
die ganze Engelwelt in Bewegung gefetzt und am aller-
wenigften Gott mit den Satan eine Wette über Hiob's
Frömmigkeit eingehen laffen. Grade diefe Wette, in der
die Handlung des Prologes culminirt, lenkt die ganze
Spannung und Aufmerkfamkeit des Lefers auf den einen
Punkt hin: wird Gott oder der Satan die Wette gewinnen?
giebt es eine uneigennützige Frömmigkeit oder giebt es
keine? d. h. mit anderen Worten: jeder unbefangene Lefer
wird aus dem Prologe den Eindruck gewinnen, dafs es
fich hier um eine Problemftellung handelt, und dafs fpec.
die Frage nach der Möglichkeit einer felbftlofen Frömmigkeit
behandelt werden foll. Dafs vom Ausgange und
Austrage der Wette hinterher nichts berichtet wird, ererklärt
fich ohne Weiteres daraus, dafs der fpätere
Dichter die ältere Hiobgefchichte nur fo weit verwendet
hat, als es für feinen Zweck nöthig war. Von dem Prologe
ifl nun aber der Epilog nicht zu trennen. War jener
lehrhaft, fo mufs es auch diefer fein, und hat der fpätere
Dichter den Paffus 42 7—17 auch noch fo ficher lediglich
als äfthetifch befriedigenden Abfchlufs feines Gedichtes
verftanden wiffen wollen, fo ficher hat der ältere Erzähler
damit als allgemeingültige Lehre zum Ausdrucke zu
bringen beabfichtigt, dafs der in feinen Leiden bewährte
Gerechte hinterher immer von Gott reichlich entfehädigt
werde. Schliefslich hat K. auch den Unterfchied des
Verhaltens Hiob's im Pro- und Epiloge einerfeits und im
Gedichte andrerfeits unterfchätzt. Es ist ja richtig, dafs
wir bei der nur fragmentarifchen Ueberlieferung der
älteren Sage nicht mehr wiffen, wie diefe ihren Helden
fich hat bewähren laffen, aber der mit etwas pfycholo-
gifchem Scharfblicke begabte Lefer wird aus dem allgemeinen
Charakter der Rahmenerzählung zu dem Schlufs
gedrängt, dafs der brave, fromme Hiob der älteren Sage
mit dem titanenhaften Kämpfer und Ringer des Gedichtes
innerlich nichts zu thun gehabt haben kann, und dafs
jener ältere Erzähler eher im Lager der drei Freunde
Hiob's als auf Seiten des ringenden Dulders würde zu
finden gewefen fein. Bei diefer Auffaffung ift freilich
der grofse Dichter der Reden von dem Vorwurfe eines
Compofitionsfehlers nicht ganz frei zu fprechen. Er hat
durch Aufnahme des volksthümlichen Prologes und Epiloges
, deffen freiere undogmatifche Auffaffung er nicht
jedem feiner Lefer zumuthen durfte, nicht nur das Ver-
ftändnifs des von ihm behandelten Problems vielfach
verdunkelt, fondern auch die äfthetifche Wirkung feiner
Dichtung einigermafsen beeinträchtigt, fofern der Lefer,
felbft im Befitze einer (vom Dichter freilich nicht anerkannten
) Löfung, den Helden des Gedichtes im qualvollen
Ringen nach einer folchen fich verzehren fehen mufs,
ohne ihm das befreiende Wort zurufen zu können.

Der Verf. hat fo wohl die Hypothefe von einem in
Hiob Cap. 1. 2. 42 7—17 enthaltenen vorexilifchen Volksbuche
mit guten Gründen zu erfchüttern vermocht, aber
die Thatfache, dafs in diefen Capiteln eine im Vergleich
zum Gedichte ältere Hiobfage in nachexilifcher Geftal-
tung vorliegt, hat er nicht aus dem Wege räumen
können. Wie weit diefe nachexilifche Geftalt bereits in
der vorexilifchen Geftalt der Sage (deren Exiftenz der

Verf. natürlich zugiebt) vorgebildet war, läfst fich natürlich
nicht mehr ausmachen. Der Satan dürfte in ihr
allerdings keine Rolle gefpielt haben.

Möge der ebenfo fcharf- wie feinfinnige Verf. uns
recht bald wieder mit einer fo tüchtigen und gründlichen
Leiftung erfreuen!

Jena. Bruno Baentfch.

Thumb, Albert, Die griechische Sprache im Zeitalter des
Hellenismus. Beiträge zur Gefchichte und Beurtheilung
der KOINli. Strafsburg, K. J. Trübner, 1901. (VIII,
275 S. gr. 8.) M. 7.-

Nachdem Begriff und Umfang der Koivi] präcifirt
und die allgemeinen methodifchen Fragen erledigt find
(S. 1—27), fchildert Verf. den Untergang der alten
Dialekte (S. 28—52), und weift die Refte der alten
Dialekte in der Koivi] auf (S. 53—101). Sodann wird
der Einflufs nicht - griechifcher Völker auf die Ent-
1 wickelung der helleniftifchen Weltfprache (= Koivi])
erwogen (S. 102—161) und die Frage nach der etwaigen
Differenzirung der Koivi] unter befonderer Berückftch-
tigung der fog. biblifchen Gräcität erörtert (S. 162—201).
Das Schlufscapitel ftellt Urfprung und Wefen der Koivi]
dar (S. 202—253). Ein grammatifches und ein Wort-
regifter find beigegeben (S. 254—273), auch Berichtigungen
und Nachträge fehlen nicht (S. 274—275).

Das Buch ift fehr gut gefchrieben, denn es ift mit
Liebe gefchrieben und von einem Kenner, der drei Jahrtaufende
griechifcher Sprachgefchichte überfchaut und
zweifellos zu den erften Forfchern auf dem Gebiete
1 des Mittel- und Neugriechifchen gehört. Ein gewaltiges
Material ift uns in einer Form vorgelegt, die den
Sachverftändigen feffelt und den Anfänger nicht ab-
fchreckt. Für das Studium der griechifchen Bibel ift
das Buch von dem höchften Intereffe. Ich hebe als für
I Theologen befonders werthvolle Partien die folgenden
hervor: S. 105 f. über den Grad der Hellenifirung des
; jüdifchen Paläftina, S. 120 ff. über die Hebraismen (oder
Semitismen) der griechifchen Bibel, S. 174 ff. über das
angebliche Judengriechifch', S. 179 ff. über das ,neu-
teftamentliche'Griechifch, S.2i6ff. über die fog. poetifchen
Wörter der Koivi], wobei viele auch in LXX und NT
vorkommende befprochen werden.

Mit faft allem, was Thumb in diefen Abfchnitten
fagt, kann ich mich einverftanden erklären. Steht er
, doch auf dem methodologifchen Standpunkte, den die

■ in den letzten Jahrzehnten in fo reicher Fülle uns ge-
fchenkten Denkmäler des helleniftifchen Weltgriechifch
der Forfchung anweifen: die griechifche Bibel gehört
ebenfalls zu den Denkmälern der griechifchen Welt-

■ fprache, und die fprachwiffenfehaftliche Ifolirung der
griechifchen Bibel ift nicht länger zu halten. Thumb erhärtet
diefe Methode nicht blofs durch Verwerthung der

1 üToavj-Denkmäler felbft, fondern auch, und darin beruht
j eines der grofsen Verdienfte des Buches, durch retro-
: fpective Betrachtung vom Neugriechifchen aus. Im Neugriechifchen
ift vieles confervirt, was in der Koivi] deut-
! lieh vorliegt, vieles abgeftofsen, was von der Koivi] fchon
als abfterbendes Glied empfunden wurde, und vieles entwickelt
, was in der Koivi] fich leife ankündigt. Es ift
von ebenfo hohem wiffenfehaftlichen Intereffe wie äfthetifch
genufsreich, zu fehen, wie das Griechifche, das
Vielen nur eine, wenn auch ehrwürdige Mumie ift, unter
den Händen des Meifters Leben gewinnt: nein, fie ift
niemals müde geworden, niemals abgeftorben, niemals
. verarmt, diefe hehre Erfcheinung, die einem Plato und
einem Paulus ihr Beftes geliehen hat. Ein Strom warmen
' Blutes rinnt bis heute durch ihre Adern, und wo die
: Pedanten fcheltend wähnten, fie fei verkommen, da war
fie blofs der Schulftube entlaufen zu einem von eigener
Kraft geführten Siegeszuge über die Welt. Zu den