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Ausgabe:

1901 Nr. 25

Spalte:

676

Autor/Hrsg.:

Wundt, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Grundriss der Psychologie. Vierte neu bearbeitete Auflage 1901

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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675

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 25.

676

keit weiter zum Leibnizifchen Standpunkte der Mona- | dauernden Schwerpunkt findet, und zuletzt über den
dologie, die allerdings Kant, wie feine Polemik gegen | dazu in Parallele gefetzten Unterfchied zwifchen Wiffen-
Leibniz in der ,Amphibolie der Reflexionsbegriffe' zeigt, ] fchaft und Kunft.

nur .insgeheim' haben, aber wegen der Unerkennbarkeit
der Dinge an fich nicht ,beftimmt behaupten' kann
(S. 71). Es mufs nur beftimmter als bei Leibniz das
Princip des Willens als das mafsgebende in den Monaden
anerkannt werden. Zu demfelben Ergebnifse führt eine
Auseinanderfetzung mit der Naturwiffenfchaft, welche in
ausführlicher Polemik gegen die neuere Atomiftik und
in gefchickter Anknüpfung an moderne Anfchauungen wie
z. B. den Energiebegriff W. Oftwald's zeigt, dafs uns im ge-
fammten Erfahrungsgebiete nur ein einziger Gegenftand
als wirklich untheilbarer bekannt fei, nämlich unfere

Dafs das von dem Verf. aufgeftellte ,Naturgefetz
der Seele' mit Scharffinn und Fleifs begründet und
durchgeführt ift, wird nicht zu beftreiten fein. Seine
Brauchbarkeit aber zur Grundlegung einer neuen Er-
kenntnifstheorie wird mehrfachem und gerechtem Zweifel
begegnen. Sehen wir auch von den Schwierigkeiten ab,
in welche jede Monadologie, insbefondere hinfichtlich der
Wechfelwirkung der Monaden, fich verwickeln mufs, fo
knüpfen fich doch an den ftets wiederkehrenden Hauptbegriff
des ,Ueberwältigens' und .Ueberwältigtwerdens'
mancherlei Bedenken. Genau genommen ift diefer Be-

Seele als untheilbare Bewufstfeinseinheit. So gelangt j griff felbft erft dem Bewufstfein des Willens entfprungen,

der Verf. zur Annahme von ,Willensmonaden' oder
,Dynamonaden' (sie!), als deren eine wir unfere Seele
kennen, während die Vorftellungswelt unferer Seele durch
die Einwirkung feitens jener Dynamonaden, welche abge-
fehen von der unfrigen die Welt ausmachen, auf unfere
Seele ins Dafein tritt. Um nun aber den Weltzufammen-

das fich fiegreich geltend macht oder einem ftärkeren
Willen begegnet. Ohne diefen Zufammenhang aber, der
doch nur für die innere Seite des Verhältnifses der Monaden
in Betracht kommt, hat der Begriff des Ueber-
wältigens keinen Inhalt, der mehr zur Erklärung beitragen
würde, als die Begriffe der Kraft, des Gefetzes u. a.

hang als fteten Wechfel im Beharrlichen der Erfcheinung Was aber die pfychologifche Erklärung des Er-

zu erklären, mufs die Fiction des einfachften Verhältnifses '■ kennens, Fühlens und Wollens aus diefem Verhältnifse
der Monaden, nämlich der gegenfeitigen Einwirkung von 5 der Monaden betrifft, fo fteht diefelbe in Analogie mit

zwei Monaden auf einander zu Hilfe genommen werden.
Es ergiebt fich fofort, dafs dabei nur drei fpeeififeh ver-
fchiedene Lagen denkbar find, nämlich fo, dafs das Element
a in feiner Kraftbethätigung das Element b über-

der vielfach und mit Recht angefochtenen Ableitung der
feelifchen Erfcheinungen aus dem activen und paffiven
Verhalten der Seele. Dem Satze: .Erkennen ift der Wille
im Gleichgewicht, und weiter nichts' (S. 189) kann nur

wältigt, oder umgekehrt, oder fo, dafs beide fich das j entgegengehalten werden, dafs die pfychologifche Ana

Gleichgewicht halten. Diefe objectiven Lagen werden
von der Einzelmonade fubjectiv erlebt im Fühlen als
dem Ueberwältigtwerden (oder überwältigten Willen),

lyfe etwas Anderes ergiebt. Die Gefammtanfchauung
des Verf.s liegt zweifellos mehr in der Linie Leibniz-
Herbart-Lotze, als in derjenigen einer Fortbildung Kant's.

im Wollen als dem Ueberwältigen (dem Willen im be- j Was Kant ,insgeheim' gedacht haben foll, mufs vor wider

fonderen Sinne) und im Erkennen als dem ,Auseinander
halten' (dem Gleichgewichte des Willens). Die Ent-
wickelung vom Ueberwältigtwerden zum Ueberwältigen
und umgekehrt mufs aber ftets durch die Gleichgewichts

fprechenden Aeufserungen des echten Kant zurücktreten.
Vollends als Einführung in das Verftändnifs Kant's müfste
eine folche Interpretation, welche genaue Erklärung und
ausdeutende Fortbildung nicht überall ftreng fcheidet,

läge hindurchgehen. Es ergiebt fich daraus das ,Natur- verwirrend wirken. Doch mufs zugegeben werden, dafs
gefetz der Seele' als eine gefetzmäfsige Folge vom fich für den von dem Verf. angenommenenen Pluralis-
Ueberwältigtwerden als Fühlen durch das Gleichge- j mus wirklicher ,Dinge an fich' Anknüpfungspunkte bei
wicht als Erkennen zum Ueberwältigen als Wollen und | Kant und bei namhaften Kantauslegern finden, und dafs

von da wieder abwärts zu dem (wie das Erkennen) ein
Unterfcheiden (aber ein dem Fühlen fich zuneigendes)
enthaltenden Empfinden, worauf wieder Fühlen, Wollen,
Empfinden u. f. w. folgt (S. 207 ff.). Das Wefen diefes Gefetzes
als eines ,Naturgefetzes' im ftrengften Sinne be-
fteht in der f. z. f. über den Urelementen fchwebenden
und doch aus ihrem Wefen einzig fliefsenden Noth-

wendigkeit, mit der ihrem Zufammen als einem Gefchehen I (XVII, 411 S. gr. 8.) Geb. M. 7.

der unausweichlich beftimmte Procefs ihres Einwirkens

der Berufung des Verf.s auf Kant eine gründliche Kennt-
nifs desfelben entfpricht.

Riedlingen a. D. Th. Elfenhans.

Wundt. Wilhelm, Grundriss der Psychologie. Vierte neu
bearbeitete Auflage. Leipzig, W. Engelmann, 1901.

auf einander in ihrer gegenfeitigen Lagenveränderung
vorgefchrieben ift. Der Verf. glaubt darin den oft gefor

Wundt's vorzüglicher Grundrifs, deffen 3. Aufl. früher
(1899 Nr. 6) angezeigt wurde, hat in der neuen Auflage

derfen, aber nie dargebotenen^,Mechanismus des Geiftes' »

gefunden zu haben, ohne dadurch der im ,Willen' als
Kehrfeite der , Kraft' enthaltenen Geiftigkeit Abbruch
zu thun (S. 211).

Von diefer Grundanfchauung aus und mit Hilfe

wefentlichen Aenderungen erfahren. Dagegen ift der
Verf. in dankenswerther Weife einem auch in der genannten
Anzeige geäufserten Wunfche entgegengekommen
und hat den einzelnen Paragraphen oder ihren

diefes Schemas fucht er fodann das ganze Gebiet des Hauptabfchnitten kurze Literaturnachweife beigefügt
Erkennens zu erklären. In der Erörterung der Probleme j D.efelben find, wie nicht anders zu erwarten forgfalt.g
des Raumes und der Zeit, bei welchen ein Ltaphyfifcher, -fgewah jeg^ «»^^ »b^

pfychologifcher und empirifcher Begriff unterfchieden
wird, wie der Kategorien des Verftandes wird überall
auf jenes ,Naturgefetz' und auf den Willen zurückgegangen
. Das Urtheil entlieht aus einer Verbindung der
beiden Gleichgewichtspunkte, des Erkennens und des
Empfindens durch einen Willensact, der feftftellt, ob ein
Prädicat mit einem Subjecte verbunden gedacht werden

foll oder nicht. Daran fchliefsen fich weitere Aus- dafs de.n. C!ta en d,er >Vorlefu,ng,en, uber,d,e Me"fchen-

fichtlich und daher geeignet, die Brauchbarkeit des
Buches wefentlich zu erhöhen. An die Stelle des allgemein
gehaltenen Anhangs zu § 2 ^Allgemeine Richtungen
der Pfychologie' ift aufserdem eine kurze Gefchichte der
Pfychologie getreten. Den Bedürfnifsen derjenigen Lefer,
die bei der Benutzung des Grundriffes veranfehaulichende
Hilfsmittel entbehren, ift dadurch einigermafsen genügt,

oder nicht. Daran fchliefsen fich weitere Aus- M's °e.n. ,YU'TfcV wdl/f,

führungen über den Unterfchied von Menfch und Thier, ! und Th.erfeele , deren ausfuhrlich eelementare Darüber
den Zweckbegriff, über den geiftigen Unterfchied ^""S «R«im?f.F11« Mhodenf/'n,ef ^ .^Tf
der Gefchlechter, der männlichen Seele, welche in dem des Grundnffes bildet die Hmwe.fe auf die entfprechen-
Gleichgewichtedes Erkennens, und der weiblichen, welche ' den einfachen fchemat.fchen Abbildungen beigefügt find,
in dem Gleichgewichte des Empfindens ihren eigentlichen Riedlingen a. D. Th. Elfenhans.