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Ausgabe:

1901 Nr. 25

Spalte:

660-661

Autor/Hrsg.:

Worms, M.

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Anfangslosigkeit der Welt bei den mittelalterlichen arabischen Philosophen des Orients und ihre Bekämpfung durch die arabischen Theologen (Mutakallimûn) 1901

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 25.

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vielfach vermiffen. So beweift z. B. Strz. einmal, dafs
der Orant zwifchen zwei Löwen nicht Daniel, fondern
der Engel fei, glaubt aber fchliefslich das, was er beweift
, felbft nicht (S. 96), und doch erfcheint der Engel,
der nach Strz.'s eigenem Dafürhalten nicht da ift,
S. 112 als erwiefene Gröfse. Wohin die blinde Abhängigkeit
von der Theorie führt, zeigt fich befonders klar in
einem anderen Falle, wo Strz., in der Meinung befangen,
gerade da die unumftöfslichfte Handhabe feiner Pofition
zu befitzen, mit einer Fälfchung operirt, die fich dem
unbefangenen Urtheile auf den erften Blick als folche
darfteilt. Es handelt fich hier um das im Anhange zu
Nr. 2 behandelte Stück: Die Conitantin-Schale im briti-
fchen Mufeum. Sie war Strz. darum fo wichtig, weil fie
durch ihre Infchrift fich bezüglich ihrer Entftehung der
Regierungszeit Conftantin's des Grofsen zuwies und in
dem auf ihr mit Kreuznimbus dargeftellten Chriftus das
Vorkommen des Kreuznimbus bereits für die Conftan-
tinifche Zeit zu bezeugen fchien. Ref. fchrieb fich dazu
fofort ein ,unmöglich' an den Rand, und fiehe da, auf der
nächften Seite fand er in dem Nachworte, das einer für
Strz. fehr traurigen Todesanzeige zu dem Vorangehenden
gleichkommt, feine überrafchendeBeftätigung.

Von hervorragendem Werthe wäre die Echtheit der
Schale u. a. gewefen für die von Strz. angenommene Dati-
rung des von ihm publicirten Chriftusreliefs. Strz. hat ge-
wifsRecht mit der Annahme, dafs diefes, wie die verwandten
Sarkophagreliefs, die er aufzählt, und deren Kreis nur
der Ludovifi- und Concordiafarkophag ferner zu ftehen
fcheinen, aus dem Offen ftamme. Unmöglich aber ift
die Datirung des Chriftusreliefs in das 4. Jahrhundert.
Strz. ift zwar ,feft überzeugt', dafs das Stück, auf welches
er fich hauptfächlich ftützt, nämlich die Capitellauffätze
auf den Rundfäulen, zwifchen welchen die Figuren ftehen,
nur im unmittelbarem Zufammenhange mit der antiken
Tradition, alfo nicht fpäter als im 4. Jahrhundert ent-
ftanden fein könne (S. 56 f.). Allein die fefte Ueber-
zeugung thut es hier nicht, und die antike Tradition
geht auch für diefes Architekturglied über das 4. Jahrhundert
hinaus, wenn die Denkmäler es fordern und
andere Thatfachen dazu zwingen. Eine folche Thatfache
ift aber der Kreuznimbus. Ref. hat ftets die Möglichkeit
im Auge behalten, dafs der Kreuznimbus die Datirung
eines Werkes in den Ausgang des 5. Jahrhunderts
nicht ausfchliefst; aber der Fall ift noch
nachzuweifen, wo der Kreuznimbus mit Sicherheit
vor der Wende des 5./6. Jahrhunderts angewendet ift.
Auch ift noch kein Beifpiel eines beflügelten Engels
aus dem örtlichen Kunftgebiete bekannt geworden, der
vor feine ältefte Darfteilung auf römifchem Gebiete zurückginge
. So hat man auch das Berliner Chriftusrelief
mit dem Ambo von Saloniki, mit dem es enge zu-
fammen gehört, früheftens der Wende des 5-/6. Jahrhunderts
zuzuweifen.

Auch die Holzfculptur und die Berliner Stoffe fetzt
Strz. m. E. zu früh an. Jene bringt er in Verbindung
insbefondere mit dem Helenafarkophag des Vatikans,
bringt beides nach Aegypten und in die erfte Hälfte
des 4. Jahrhunderts. Merkwürdig ift aber, dafs Strz. bei
diefer Datirung gar keine Rückficht mehr nimmt auf
eine Elfenbeintafel des Louvre, deren Verwandtfchaft
mit der Berliner Holzfculptur ihm S. 72 keinem Zweifel
unterliegt, und deren Beurtheilung ihn in den Anfang
des 7. Jahrhunderts weift. Und für den unbefangenen
Kritiker ift in der That ficher, dafs fich fowohl in der
Qualität der gefammten Ausführung als befonders in
der Architektur die Berliner Holz- und die Parifer Elfen-
beinfculptur viel näher ftehen als die Holzfculptur und
der gen. Sarkophag. Sehr auffallend ift die Verwandtfchaft
der Holzfculptur mit der Jofuarolle, auf welche
Strz. mit Recht aufmerkfam macht, und die fich in Einzelheiten
, fpeciell in der Tracht, aufdrängt. Aber geht
man einmal von der für das Louvreftück gewonnenen

Strz.'fchen Datirung aus und hält die zeitliche Nähe feft,
fo kommt man, auch auf diefem Wege, für die Jofuarolle
in das 6. Jahrhundert.

Anfpruch auf volle Beachtung und Anerkennung
hat das, was Strz. über die Trierer Elfenbeintafel ausführt
; ihre ägyptifche Provenienz ift bis zur gröfsten
Wahrfcheinlichkeit erhoben. Aegypten tritt überhaupt mit
feiner grofsen Bedeutung für die chriftliche Archäologie
mehr und mehr in den Vordergrund. Was es namentlich
an Reiten altchriftlicher Malerei liefert, ift unfchätz-
baren Werthes. Die Kunde hiervon ift durch Strz. in
ausgezeichneter Weife gefördert. Auch der Abfchnitt
über die Grabeskirche in Jerufalem darf des weitgehend-
ften Beifalles ficher fein. Weniger Zuftimmung dagegen
können die Ausführungen über die Zufammenhänge des
Ashburnham Pentateuch mit den Malereien der Katakomben
von Palmyra finden, welche Strz. conftruiren zu
können meint. Hier ift alles zu unficher und verworren.
Die Hauptfchuld daran liegt freilich an dem mangelhaften
Denkmälerbeftande felbft. Was Noth thut, ift
neues Material. Erft dann läfst fich weiter urtheilen.

Strz.'s Buch bietet des Anregenden die Fülle.
Möchte es — in diefem Wunfche gehen wir durchaus
mit ihm zufammen — ein neuer wirkfamer Sporn fein,
das Intereffe vollauf der altchriftlichen Denkmälerwelt
des Oftens zuzuwenden, damit das Dunkel, das fo lange
über ihr und damit über der klaren Einficht in die Ent-
wickelungsgefchichte der altchriftlichen Kunft gewaltet
hat, immer mehr zum hellen Lichte werde!

Ludwigshafen a. Rh. Stuhlfauth.

Domahski, Klerikalfem. - Prof. Dr. B., Die Psychologie
des Nemesius. (Beiträge zur Gefchichte der Philo-
fophie des Mittelalters. Texte und Unterfuchungen.
Herausgegeben von Clemens Baeumker und Georg
Freih. von Hertling, ProfT. DD. Band III, Heft I.)
Münfter, Afchendorff, 1900. (XX, 168 S. gr. 8.) M. 6 —

Worms, Dr. M., Die Lehre von der Anfangslosigkeit der
Welt bei den mittelalterlichen arabischen Philosophen des
Orients und ihre Bekämpfung durch die arabischen Theologen
(Mutakallimün). (Beiträge zur Gefchichte der Phi-
lofophie des Mittelalters. Texte und Unterfuchungen.
Herausgegeben von Clemens Baeumker und Georg
Freih. von Hertling, Proff. DD. Band III. Heft IV.)
Ebd. 1900. (VIII, 70 S. gr. 8.) M. 2.50

Das erfte der beiden vorliegenden Hefte der ver-
dienftvollen .Beiträge zur Gefchichte der Phifofophie
des Mittelalters' befchäftigt fich mit der einzigen uns
erhaltenen Schrift des Nemefius, Bifchof's von Emefa in
Phönicien: jiegl cpvöscog avfrgcojtov, welche nach Domanski
nicht, wie Ritter und Zeller annehmen, um die
| Mitte des 5. Jahrhunderts, fondern — hauptfächlich wegen
der Nichterwähnung des Neftorius, Eutyches und Pela-
gius — wahrfcheinlich Ende des 4., fpäteftens zu Anfang
des 5. Jahrhunderts gefchrieben ift. Die Einleitung verbreitet
fich aufserdem über Benutzung und Citation
des Buches hauptfächlich im Mittelalter, über die ver-
fchiedenen Ausgaben und Ueberfetzungen, über die fehr
dürftige Literatur und über die allgemeine Bedeutung
des Buches. Wenn auch nicht epochemachend, fo kann es
ein gewiffes Intereffe doch beanfpruchen, weil es aus
einer Zeit ftammt, in welcher man ein folches faft aus-
fchliefslich philofophifches, fich fo eng an die heidnifche
Philofophie anlehnendes und dabei zugleich von chrift-
lichem Geifte durchwehtes Werk auf chriftlicher Seite
kaum erwartet, und ferner deswegen, weil es die erfte
Anthropologie ift. Mit grofsem Fleifse, wenn auch
mehr populär als gründlich trägt Nemefius das Material
dazu in eklektifcher Weife aus den verfchiedenen Syftemen