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Ausgabe:

1901 Nr. 24

Spalte:

648-649

Autor/Hrsg.:

Murisier, E.

Titel/Untertitel:

Les maladies du sentiment religieux 1901

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 24.

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mit dem Verf. der Anficht, dafs ,im richtig verftan- j weife Frage: Wie müfste nach meinem Dafürhalten Gott
denen Subjectivismus die Rettung der Religion liegt'. I die Welt eingerichtet haben, lenken und leiten, dafs fie
Dagegen dürfte der Satz, durch welchen G. die Eliminirung 1 mir in allen Stücken den Beweis liefert, dafs er auch wirk-
der Glaubens- und Sittenlehre aus dem Kreife der theo- lieh die Liebe ift?' Sondern er fagte und fragte fo: Gott
logifchen Wiffenfchaften fordert, berechtigten Wider- ift die Liebe, und wie mufs ich nun fein, und diefe Welt
fpruch hervorrufen. Seinen Vorausfetzungen ftimmen nehmen, dafs ich des himmlifchen Vaters Kind bin?1
wir vollftändig zu: der Gegenftand der fyftematifchen (21). — Warum wird man den Eindruck nicht los, dafs
Theologie gehört nicht in das Gebiet der theoretifchen der über eine reiche Erfahrung verfügende Geiftliche den
und objectiven Erkenntnifs; wer dies behaupten wollte, Segen diefer Erfahrungen vielleicht dadurch verkümmert,
würde den zugleich fubjectiven und praktifchen Cha- dafs er feine Freude daran zu finden fcheint, den armen
rakter der chriftlichen Frömmigkeit verkennen. Wenn Lefer zu beunruhigen und zu verblüffen? So bringt z. B.
aber G. aus diefen Prämiffen folgert, dafs die Glaubens- Num. 5 (Die Tragik in Gott und ihre Löfung im Menfchen)
lehre deshalb auf den Anfpruch der Wiffenfchaftlichkeit > neben disputabeln, auch recht werthvolle Gedanken zum
verzichten mufs, fo ift dies ein Trugfchlufs. Der wiffen- ■ Ausdrucke; diefer Ausdruck aber ift zuweilen fo befchaffen,
fchaftliche Charakter der Theologie befteht nicht darin, dafs er auch in dem Titel ,Ernfthafte Plaudereien' kaum
dafs fie fich vor einem gegen die religiöfen Intereffen j feine Rechtfertigung finden dürfte. Immerhin weifs der
neutralen Welterkennen legitimirt, fondern darin, dafs | Verf. auch da anzuregen und zu feffeln, wo er Wider-
fie fich nach den Gefetzen richtet, welche in der Natur : fpruch hervorruft, und es felbft dem wohlwollend urtheilen-
und Eigenart ihres Gegenftandes begründet find; nur ! den Lefer unmöglich macht, ihm zu folgen,
derjenige kann den wiffen fchaftlichen Charakter der j Strafsburg j E. P Lobftein

religiöfen Glaubenslehre leugnen, welcher die Ihatfache

duer,7fcn" Frömmigkeit, die Selbftändigkeit des |y|urisier Prof- g Les maladies du sentiment religieux.
chriftlichen Glaubens leugnet. . c "

Die vorliegende Arbeit ift aus »zahlreichen Unter- Fans> *• Alcan> I9°I- U74 s- «•) 2 Fr. 50

redungen mit Studierenden hervorgegangen'. Diefen Ur- j Nach des Verf.'s Verficherung hat fich die Religions-
fprung der Schrift verleugnen die Ausführungen des wiffenfehaft bisher vorwiegend mit den Glaubensmeinungen
Verf.'s nicht; man fpürt es ihm ab, dafs er die Fragen 1 und Cultushandlungen, den frommen Mythen und Gebräukennt
, welche die ernften und aufrichtigen Jünger der I chen befchäftigt, als ob darin vornehmlich die Religion
Wiffenfehaft bewegen. Deshalb ift fein Buch auch geeignet, enthalten wäre (S. 170). Die ganze Welt der religiöfen Geallen
folchen werthvolle Dienfte zu erweifen, und es wird j fühle, Triebe, Bedürfnifse ift von der Religionspfychologie
fragelos feinen fegensreichen Beruf erfüllen. viel zu wenig beachtet worden. Da kann man noch kaum

Strafsburg i. E. P. Lobftein. | v°n einer wirklich unabhängigen Disciplin reden. ,Ne-

: ghgeant ce qui peut justement devemr objet de la science,
c'est-ä-dire les faits et letirs rapports, la Psychologie reli-
König Karl Im Kampf um Gott und um das eigene Ich. gieuse tauche tantöt a la predication, tantot a la disser-
Ernfthafte Plaudereien. Freiburg i. B„ P. Waetzel, 1901. tation abstraite loujours dependante de ia metaphysique

ö rKM r 11 a Pas "eßassc 'a Phase ou en etait la Psychologie de

(VII, 133 S. gr. 8.) Geb. JVL. 1.50 ^ voiontj lorSqU' 0n cherchait ä prouver par Pexperience

Ein anregendes, geiftvolles Büchlein, das dem Lefer, j la realäe du libre arbitre (S. 2

der fich nicht durch paradox klingende Aeufserungen und
einen zuweilen bizarren Styl abfehrecken läfst, mancher-

Um diefem Uebel abzuhelfen und die von ihm
fchmerzlich empfundene Lücke auszufüllen, liefert der

lei Förderung und Unterhaltung bringen wird. In fieben j als Profeffor an der philofophifchen Facultät zu Neuf-
zwanglofen Effays trägt der Verf. feine Anfchauungen vor, i chätel thätige Verfaffer einen Beitrag zur Patho-
die bei aller fcheinbar bunten Mannigfaltigkeit doch durch logie des religiöfen Bewufstfeins. Es find befonders
einen Grundgedanken zufammengehalten und beherrfcht zwei Gruppen von Erfcheinungen, die er zum Gegenfind
. ,Den Kampf um Gott und das eigene Ich' hat er (lande feiner feinen und fcharffinnigen Analyfe macht,
felbft ernft und ruhig aufgenommen, als einen Kampf nicht In einem erften Capitel handelt er von ,dem religiöfen
,in der Idee', fondern im wirklichen Leben, wo allent- Gefühle in feiner individellen Geftalt, nämlich der Ek-
halben feindliche Mächte entgegentreten. ,Am Wider- ' ftafe' (S. 7—72). Das zweite Capitel ift ,dem religiöfen
ftande der Welt erlebt die Seele ihre Widerftandskraft' j Gefühle in feiner focialen Geftalt, oder dem Fanatismus'
(5). ,Nur die Widerftände können uns aus der Ideologie gewidmet (S. 73—146). Ein letztes Capitel, Ja con-
in die Praxis, aus der Ethik in die Sittlichkeit, aus der tagion de l'emotion' (S. 147—170) bildet die Ergänzung
gedachten in die wirkliche Perfönlichkeit überführen' (11). ; des vorhergehenden.

Das Ringen nach Gott, die fittliche Wiedergewinung des Der Werth diefer Schrift liegt zunächft in der Sorgeigenen
Ich, der Glaube der Seele an fich felbft und an falt, mit welcher der Verf. einen reichen Stoff, eine Fülle
ihre Unfterblichkeit, entfpringt aus praktifchen Nöthigungen, j von intereffanten und wichtigen Beifpielen und Belegen
die der Verf. in oft ergreifenden Worten zu fchildern | zufammengetragen hat. Die aufserchriftlichen Religionen
weifs. ,Die Lebenskraft des Unfterblichkeitsglaubens hängt und das Chriftenthum, der mittelalterliche Katholicismus
an der fittlich-religiöfen Selbftbeurtheilung. Ob unter und die proteftantifchen Secten der Gegenwart liefern
diefer der Menfch fich mehr fühlt und fchätzt als Materie dem nach allen Seiten hin Umfchau haltenden Forfcher
oder als Geift, mehr als vergänglich oder als ewig, darauf charakteriftifche Beiträge. Er will aber nicht blofs refe-
kommt alles an ... . Mit Gott allein fein, das heifst mit rirend und befchreibend verfahren, er verfucht es auch,
dem tiefften Quell alles Charakters, aller Eigenart, alles die Thatfachen zu interpretiren. Da er die Methode der
wahrhaft perfönlichen, urfprünglich ewig-frifchen Lebens Psychologie experimentalc objective in Anwendung bringt,
zufammen fein' (83. 128). Als .Realpolitiker im religiöfen ift er beftrebt, auf dem Wege der empirifchen Beobachtung
Sinne'bekennt fich der Verf., welcher die Dinge, ob Uebel, i und Induction die Phänomene in ihrem causalen Zu-
ob Segen, ganz einerlei, als das nimmt, was fie wirklich fammenhange zur Darftellung zu bringen und unter allfind
, ein Rohmaterial, von Gott uns gegeben zur fittlichen gemeine Gefetze zu fubfumiren. In diefer Unterfuchung
Verarbeitung' (27. 37). Im grofsen Entfcheidungskampfe giebt fich der Verf. als einen fcharfen Beobachter und
blickt der Streitende zu dem auf, der es uns vorgelebt , einen fehr gewandten Zergliederer innerer Seelenzuftände
hat, dafs ,wahre Frömmigkeit der Nährboden ftarker ; zu erkennen; als Schüler des auch unter uns rühmlich
Individualitäten ift' (128). Von Ihm hat er die richtige bekannten Pfychologen Ribot, dem das Buch gewidmet
Frageftellung des Lebens gelernt. Jefus (teilte nicht die j ift, legt er alle Eigenfchaften an den Tag, die wir in