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Ausgabe:

1901

Spalte:

616-617

Autor/Hrsg.:

Dyke, Paul van

Titel/Untertitel:

The age of Renascene. An outline sketch of the history of the papacy from the return from Avignon to the sack of Rome (1377 - 1527). (Ten epochs of Church history) 1901

Rezensent:

Krüger, Gustav

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6is

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 23.

616

einem Menfchheitsgefetz erweitert zu fehen'. Die Reihenfolge
der Apokalypfen ift: 4. Efra (44 a. Chr.), Baruch,
Assumptio Mösts, Henoch (46 p. Chr.). Das 4. Efrabuch ift
die einflufsreichfte unter ihnen; alle fpäteren Apokalypfen
find nichts anderes als Abwandlungen diefer erften Offen-
barungsfchrift. Die Stelle in Baruch, wo die 2. Zerftörung
vorausgefetzt wird, ift eben ein fpäterer Einfchub. Als
ein Beifpiel, wie der Autor das bekannte Recept: ,Die
biblifchen Bücher find gut, die aufserbiblifchen fchlecht'
anwendet, diene hier fein Ausfpruch über die ,tendenziöfe
Lyrik'. ,Das Befondere der alten im Pfalmbuch vereinigten
Lieder war es gewefen, dafs überall der perfön-
liche Vorton gehört wurde; fie find einer wirklichen Erfahrung
entfprungen. In Jungifrael wird das anders; da
tritt die Reflexion ein, quellen die Lieder nicht mehr aus
der bewegten Innerlichkeit hervor — (wie z. B. Pf. 119) —
fondern tragen das Zeichen der Kunft, der Tendenz an
ihrer Stirn'. Was in der Bibel ,Verheifsung' heifst, das fteht
aufser der Bibel unter dem Titel ,patriotifche Phantafien'.

Unter den fpätjüdifchen Schriften ift aber eine aufser-
ordentlich wichtig, der Schlüffel zu faft der Hälfte der
N.T.lichen Schriften, das Buch Henoch. Es ift ein juden-
chriftliches Product, fteht im Strome der evangelifchen
Ueberlieferung, die es aber verfälfcht, indem es dieChriften-
heit in die falfch nationalen Bahnen der jüdifchen Apokalyp-
tik drängen will. Gegen Henoch ift zuerft das Matthäusevangelium
gerichtet, aramäifch c. 48 p. Chr. gefchrieben,
fpäter c. 60 ins Griechifche überfetzt. Von Anfang bis
zu Ende in der Gefammtanlage wie im Einzelnen bezieht
es fich polemifch auf das Henochbuch. Schon fein Titel
.Buch der Gefchichte Jefu Chrifti' enthält den Proteft der
gefchichtlichen Nüchternheit gegen die phosphorescirende
Phantafie des Henochbuches. Die Eintheilung des Ge-
fchlechtsregifters polemifirt gegen Henoch's Zehnwochen-
apokalypfe, die befondere Hervorhebung der drei Frauen
Thamar, Ruth, Batfeba bekämpft den Beginn des Henochbuches
, das ja in der gefchlechtlichen Vermifchung als
folcher den Sündenfall der Engel gefehen hatte. Die
Oppofition gegen die falfche Jenfeitigkeit des Henochbuches
führt zur Betonung der Diesfeitigkeit des Gottesreiches
in den Makarismen, die Schilderung der Heilsthätig-
keit Jefu Mt. 8—9 zeichnet Jefum der Reihe nach als
Gegenbild zu Raphael, Phanuel und Michael bei Henoch.
Die Erzählung von der Ermordung des Johannes durch
Herodes gerade vor dem Speifungswunder erklärt fich aus
der Henochvorlage. Das Gleichnifs von den Arbeitern
im Weinberge und die Antwort auf die Bitte der Salome
bilden die Antwort auf die Thierphantafie des Henochbuches
u. f. w. Aber all das ift nur der kleinfte Theil
deffen, was das Henochbuch für die Entflehung des NT's
geleiftet hat. Der Jakobusbrief, der 1. Petrusbrief, Rom. 14,
Koloffer und Hebräerbrief des Paulus, die Johannes-
apokalypfe find gegen das Henochbuch gefchrieben, und
überhaupt nur von da aus zu verliehen. Z. B. Apok. 12—20
findet die wüfte Thierphantafie Henoch's, in welche er die
ganze Gefchichte des Volkes Ifrael eingekleidet hatte, ihre
würdige evangelifche Antwort.

Diefe originellen Gedanken erhalten ihr würdiges
Gegenftück an der Behandlung des Paulus und feiner
Briefe. Ich rechne dazu nicht den Nachweis, dafs der
Galaterbrief an Hand einer Auseinanderfetzung mit dem
Jakobusbriefe verläuft, und dafs der Epheferbrief die
wefentlichften Ideen des 1. Petrusbriefes verarbeitet.
Originell ift eher, wie die paulinifche Abkunft des Hebräerbriefes
begründet wird: ,Ift es wohl denkbar, dafs ein
folcher Brief, der in der ganzen Anlage nicht blofs, fondern
auch in den einzelnen Wendungen, wenn auch nur
antithetifch, durch das Henochbuch beftimmt ift, einen
anderen Apoftel zum Verfaffer haben könnte, als den
Apoftel Paulus?' Aber das Merkwürdigfte ift, wie unfer
Autor überhaupt die Paulusbriefe betrachtet. Um fie zu verliehen
, hat man ihren gefchichtlichen Anlafs. ihre concrete
Beziehung zu einzelnen Gemeinden und Perfonen überhaupt
zu vergeffen. Sie find Theile eines zufammen-
hängenden Werkes, jeder Brief ergänzt die vorhergehenden
und führt die Ideen da weiter, wo fie der letzte Brief
liegen liefs. Das zeigen fchon die Ueberfchriften: Gal.,
1. u. 2. Theff. fchildern den h. Geift als Princip des freien
perfönlichen Glaubenslebens, die beiden Korintherbriefe
die Gemeinde des Geiftes, Rom. das Reich des h. Geiftes,
Phil., Kol, Eph., Hebr. die Vollendung des Gottesreiches.
Oder eine andere Conftruction: die Korintherbriefe fetzen
fich mit der griechifchen Polis, der Römerbrief mit der
römifchen Respublica, die Gefangenfchaftsbriefe mit dem
kosmopolitifchen Ideal der Stoa auseinander. Erwähnt fei
zum Schlufse diefer Aufzählung von Curiofitäten, dafs
Jud. 2. Petr. vor der Apok. gefchrieben find, und dafs
die Lukasfchriften gegen das Hebr.-Ev., wie das Johannes-

I evangelium gegen die Oxyrhynchusfragmente fich richten.
Für das exegetifche Gewiffen des Verfaffers nur

I zwei Proben. Mt. 10,5 inftruirt Jefus feine Jünger über die
Wege, die fie gehen follen; er bezeichnet daher den

I doppelten Abweg zuvor: nicht abgehen follen fie auf den

I Weg der Heiden (geographifche Bezeichnung), nicht eingehen
in eine Stadt der Samaritaner, fondern in erfter
Linie (de (läXXov) zu den verlorenen Schafen des Haufes
Ifraels fich wenden, d. h. beim Mittelpunkte anfangen.
Mt. 24, 29 das £v9-ea>g, in dem fich zuletzt alle Schwierigkeit
concentrirt, ift das göttliche ,Sofort', daher durch ein
Gotteswort eingeleitet. Es liegt jenfeits aller menfchlichen
Chronologie, die in der folgenden Rede des Herrn ja
geradezu ausgefchloflen wird. Den Schlufs diefer Anzeige
mögen einige Stilblüthen bilden: p. 34 Judas Makka-
bäus fchneit ganz unvermittelt in die Scene hinein, p. 31
der Pharifäismus, der Träger eines ethifchen Raffendünkels
und einer raffenmäfsigen Ethik, der an den eignen Volkskindern
fein Meffer gefchliffen hatte, ehe er es dem Meffias
ins Herz ftiefs. p. 54 der Talmud, an den man hier erinnert
, ift der exegetifche Sandmann, p. 55 die erften
vier Gruppen der Sammlung des Siraciden find fämmtlich
durch eine Art philofophifchen Suspiriums von einander

i getrennt, p. 68 es follten nun an die Zukunft die Daumen-
fchrauben des Begriffs gelegt werden, p. 30 Baruch lieft
fich wie ein Befchwichtigungspulver für 4. Efra. p. 82

; bei Pfeudo-Efra heben andere Larven den Boden, p. 112
Wellhaufen als soi-disant Philologe u. f. vv.

Bafel. P. Wernle.

Wells, Prof. Charles L., Th. D., The age of Charlemagne

(Charles the Great). (Ten epochs of Church history).
New-York, The Christian Literature Co., 1898. (XIX,
472 S.) t 2.—

Dyke, Paul van, The age of Renascence. An outline sketch
of the history of the papacy from the return from
Avignon to the sack of Rome (1377 —1527). With an
introduction by Henry van Dyke. (Ten epochs of
church history.) New-York, The Christian Literature
Co., 1897. (XXII, 397 S. 8.) $ 2.—

Clark, William, M. A. (Oxon.), Hon. L.L. D. D.C. L.,
F. R. S. C, The Anglican Reformation. (Ten Epochs
of Church history.) New-York, The Christian Literature
Co., 1897. (VIII, 482 S. 8.) $ 2.—

Die drei in der Ueberfchrift genannten Werke gehören
einer Serie von Darftellungen an, die für einen

| gröfseren Leferkreis berechnet find. Bei einer früheren
Anzeige von drei anderen Bänden derfelben Serie (diefe
Zeitung 1897, 415 f.) habe ich bereits hervorgehoben,
dafs diefer Zweck im Allgemeinen wohl erreicht worden

j ift. Was damals gefagt wurde, mag auch für diefe
Bände gelten. Unter ihnen darf das Buch von Wells
wohl den gröfsten Anfpruch auf Originalität erheben.
Auch zeigt die Arbeit fichere Spuren, dafs der Verfaffer