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Ausgabe:

1901 Nr. 23

Spalte:

614-616

Autor/Hrsg.:

Bestmann, H. J.

Titel/Untertitel:

Entwicklungsgeschichte des Reiches Gottes unter dem Alten und Neuen Bunde an der hand einer Analyse der Quellen 1901

Rezensent:

Wernle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 23.

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dagegen geltend gemacht worden wäre. Weder auf eine I
zukünftige Idealgeftdt, aber noch weniger auf irgend welche
hiftorifche Perfon oder auf den ,Gefetzeslehrer' will das
Bild des ,Knechtes' paffen. Von gröfserem Intereffe ift,
wie L. feine Deutung des Knechtes von Israel in der
Einzelexegefe durchfuhrt. Hier find die entfcheidenden
Stellen 42,5; 49.5.6.8; 53,8- rTna 42,6; 49.18 erklärt
L. .Bundesmittler für das Volk' und denkt dabei an die
Gemeinde der Frommen im Exile, welche in der Gegenwart
des Propheten Israel allein repräfentirte, aber die
Aufgabe hatte, das gefammte Volk zu fammeln und ,
der ihm von Gott zugewiefenen Stellung zuzuführen.
In Cap. 53 find nach L. zunächfl die Heiden die reden- 1
den, aber die bekehrten abgefallenen Israeliten gelten
als in die Rede eingefchloffen, wegen *M> Vers s, EOS
Vers 10, 2V»B Vers 11. In *IB» ift Gott als der von
feinem Volke redende vorgeftellt. Aber nicht immer
feien fromme und gottlofe Israeliten fo deutlich gefchie-
den. Anderwärts werde das gefammte Israel unter dem
,Knechte J.'s' verftanden, und zwar nach feiner empiri-
fchen Gellalt, z. B. 42,19—25, nach feinem idealen Cha-
rakter, z. B. 42,1—9. Somit bezeichnen Israels Wirklich- ;
keit, Israels Idee, und das feiner Idee entfprechende
Und die Oscillationen, welche im Begriffe des ,Knechtes
J.'s' vorkommen. Damit ift aber L. im Grunde über die
Änfchauung Dillmann's nicht wefentlich hinausgekommen,
bei dem ja auch der fromme Kern des Volkes nur als
das wahre Israel in Gottes Augen den Titel eines
,KnechteS J.'s' führt. Eigenthümlich ift dem Verfaffer
im Grunde nur feine Annahme von der äufseren
Darfteilung diefes Kernes durch die fromme Exilsgemeinde
, bei welcher er hauptfächlich an die mit Jechonja
exilirten Judäer denkt. Hierin hat er infofern Recht,
als Jef. 40—55 in feiner urfprünglichen Geftalt fich in
der That an ein feinem Gotte treues, wenn auch klein-
müthiges Israel wendet. Aber L. felbft läfst den Propheten
zu oft von oder zu gottlofen Israeliten reden, als
fich mit der Annahme einer folchen Normalgemeinde verträgt
, und die von ihm im Grunde beabfichtigte Auslegung
des ,Knechtes' vom .Volke' Israel dürfte bei confequenter
Durchführung eine andere Auffaffung von 42,5; 49,5. e. s;
53,8 fordern, bei welcher auch hier der ,Knecht J.'s' nicht
vom empirifchen Israel, fondern von den Völkern unter-
fchieden wird. Nur fo, fcheint es dem Ref., bleibt auch
die Möglichkeit, die Ebedlieder als ihrer Umgebung
gleichartig zu begreifen. Immerhin ift zuzugeben, dafs
der Verf. für die innere Einheit des ,Troftbuches' mit
Erfolg plaidirt und die Zahl der Vertreter einer auch
vom Ref. vertretenen Auffaffung in erfreulicher Weife
vermehrt.

Leipzig. Guftaf Dalman.

Schoen. Lic. Prof. H.. Traditionelle Lieder und Spiele der
Knaben und Mädchen zu Nazareth nach den vom Generalvikar
zu Chambery zurückgebrachten Dokumenten.
Ein Beitrag zum gefchichtlichen Verftändnis der Kindheit
Jefu. (Pädagogifches Magazin. 138. Heft.) Langen-
falza, H. Beyer & Söhne, 1900. (35 S. gr. 8.)

Arabifche Kinderlieder, welche Canonicus Le Camus
aus Paläftina mitgebracht hat, werden vom Verf. in Ueber-
fetzung mitgetheilt und mit Einleitungen begleitet, welche
in die Spiele der Knaben und Mädchen von Nazareth einfuhren
lollen. Der zuweilen etwas bombaftifche Stil ver-
räth, dafs die Schrift aus dem Franzöfifchen überfetzt
wurde, obwohl dies nirgends ausdrücklich gefagt ift.
Der Verf. ift offenbar nicht felbft in Paläftina gewefen
und fagt leider nicht, was für Material ihm für feine
Schilderungen der Spiele zu Gebote ftand. Manches ift
hier zweifellos irrig. Eine mit Palmen beftandene .geraumige
Wiefe' (S. 16) giebt es bei Nazareth nicht, auch
keine Sykomoren und blauen Anemonen (ebendafelbft).

Das .breite Halstuch mit taufend Farben', das die Kinder
tragen follen (S. 15), hat mit der Wirklichkeit nichts zu
thun. Man kann die orientalifche Singweife eintönig
nennen, aber .fchleppend' und .langfam' ift fie fo wenig
wie der Gelang der Juden in der Synagoge, von welchem
der Verf. dies behauptet (S. 14). Bei Leichenbegängnifsen
blafen die Knaben fchwerlich auf Flöten und Pfeifen
(S. 2l), da der heutige Orient keine inftrumentale Trauer-
mufik kennt. Wir erfahren, wie die Knaben ,Hirte und
Schafe', .Leichenbegängnifs' und .Brautwerbung', wie die
Mädchen .Totenklage' und .Braut' fpielen, wie die Mütter
ihre Kinder in den Schlaf fingen. In der Hauptfache
mögen ja wohl derartige Spiele etwa fo verlaufen, wie
es hier gefchildert wird. Bei dem erften derfelben mufs
aber jedenfalls gelten, dafs das Drama vom guten und
fchlechten Hirten in diefer Form gewifs nicht traditionell
und volksthümlich ift. Es fieht fehr danach aus, als habe
es ein Priefter oder Lehrer für die Schuljugend gemacht.
Möglicher Weife flammt das ganze Material aus einer
katholifchen Schule Nazareths. Wenigftens habe ich
derartige Aufführungen der Kinder ftets in viel primitiverer
Form gefchehen. Die gegebenen Ueberfetzungen
der Lieder enthalten fchlimme Fehler, deren man wohl
noch mehr finden würde, wenn die arabifchen Originale
mitgetheilt wären. S. 25 wird Jemel' als ,Art Palankin'
erklärt, es ift aber natürlich .Kamel', und das daneben un-
überfetzt gelaffene ,Hocan' ein ,Pferd'. S.27 wird .Terafa'
als ,Apfel' erklärt, während es .Verzärtelte' heifsen follte.
Unerklärt liefs der Verf. S. 22 das Wort .dallal', das den
Auctionator bezeichnet. Für Deffeyeh (ebenda) follte
,Keffiye' (Kopftuch) flehen. .Ouarahs' (S. 23) ift mir als
Bezeichnung der böfen Geifter nicht bekannt. Sollte es
für ,arouah' flehen? — Der Herausgeber meint, dafs die
Lieder und Spiele der Kinder Nazareths feit der Zeit
Jefu unverändert geblieben feien. Darin wird er fich
täufchen. Aber als eine Illuftration zu Matth. 11,16 f.
kann fein Büchlein gelten, wenn man es mit Vorficht zu
benützen verficht.

Leipzig. G. Dalman.

Bestmann, Paft. H. J., Entwicklungsgeschichte des Reiches
Gottes unter dem Alten und Neuen Bunde an der Hand
einer Analyse der Quellen. II. Leipzig, Dieterich, 1900.
(VIII, 446 S. gr. 8.) M. 9.—

Der Titel diefes Buches ift Nebenfache, denn vom
Reiche Gottes erfährt man nichts, als dafs es auf der
Erde vorhanden ift, und zwar in der Perfon Chrifti. Was
der Autor giebt, ift ein Mixtum von Einleitung und
Theologie, oder wie er's nennt, eine Analyfe fämmtlicher
fpätjüdifcher und neuteftamentlicher Schriften, und zwar
entwickelungsgefchichtlich. Zuerft kommt die Literatur
Jungifraels, voran die Septuaginta, die ihren Namen von
den 70 Büchern, nicht Verfaffern, hat. Auf diefe 70 Bücher
blickt 4. Efra hin, wenn er die 24 für die Oeffentlichkeit,
würdig und unwürdig, beftimmten Bücher unterfcheidet
von den 70 für die Weifen beftimmten; damit will er die
griechifche Ueberfetzung durch den pharifäifchen Kanon
der Synagoge beifeite fchieben. Aber die LXX hat ja
gar nicht 70 Bücher, fondern blofs 49! Schadet nichts.
Man ziehe blofs von diefen 49 die 3 Makkabäerbücher
ab und addire zu den übrig bleibenden 46 noch die 24
der alten Sammlung mit dem hebräifchen Texte in griechi-
fcher Transfcription, fo find die 70 gefunden. Dies nur
eine Probe für das von unterem Verfaffer zu Erwartende.
Es folgt dann eine Befprechung aller fpätjüdifchen Bücher.
,Die 4 Makkabäerbücher zeigen deutlich einen Fortfehritt.
Das Volksgefetz des erften wird zum Tempelgefetz des
zweiten Buches, das priefterliche Heiligkeitsgefetz des
dritten offenbart fich als das vernunftgemäfse Weltgefetz
der Ethik im vierten Buche'. Das Jubiläenbuch entfpringt,
wie Philo's Schriften, der Tendenz, ,das Volksgefetz zu