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Ausgabe:

1901 Nr. 22

Spalte:

589-591

Autor/Hrsg.:

Koeberle, Just.

Titel/Untertitel:

Natur und Geist nach der Auffassung des Alten Testament. Eine Untersuchung zur historischen Psychologie 1901

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 22.

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Koeberle, Priv.-Doz. Repet. Lic. Juft., Natur und Geist nach
der Auffassung des Alten Testaments. Eine Unterfuchung
zur hiftorifchen Pfychologie. München, C. H. Beck,
1901. (XI, 297 S. gr. 8.) M. 7.-

Was der Verfaffer will, fafst er felber in die Worte
zufammen: ,Es handelt Geh im folgenden nur um eine
möglichft zutreffende Befchreibung empirifch vorliegender
pfychifcher Phänomene, um die Unterfuchung ihres Zu-
fammenhanges, ihres gegenfeitigen Aufeinanderwirkens
und (in befchränktem Umfange) ihrer Entwickelung, fo-
weit diefelbe der gefchichtlichen Forfchung zugänglich ift'
(S. 11 f.), und zwar befchränkt fich diefe Unterfuchung
auf das intellectuelle Gebiet, auf die Auffaffung der
Aufsenwelt und des menfehlichen Seelenlebens bei den
Hebräern (S. 15). Des Vf.'s Methode ftellt gewiffermafsen
die Synthefe zwifchen der früheren biblifch-fyftematifchen
und der vergleichend hiftorifchen dar. Der Wirklichkeit
am Nächften kommt nach ihm die Betrachtungsweife,
.welche die genaufte Erwägung des Einzelnen und das
Verftändnifs für die Eigenart gerade diefes Volkes zu
verbinden weifs mit fteter umfaffender Berückfichtigung der
allo-emeinen Erfcheinungen auf verwandten Gebieten' (S. 9).

ö Die Darfteilung des Stoffes erfolgt in vier Abfchnitten.
Davonbehandeltdererfte(II; I==Einleitung)die allgemeinen
Grundlagen der Auffaffung der Aufsenwelt. Ein erftes
Capitel (III): ,über den Einflufs der äufsern Natur auf die
geiftige Entwickelung Israels' bietet im Wefentlichen eine
Zufammenfaffung bekannter Anflehten. Mit Recht aber
wird vor der Ueberfchätzung eines folchen Einfluffes gewarnt
und betont, wie ihm gegenüber in der israelitifchen
und jüdifchen Gefchichte nach jeder Seite hin das per-
fönliche Moment überwiege. Darum hat man richtiger vom
damaligen Eindruck und ,Wiederfchein' der Natur im erkennenden
und auffaffenden Subjecte auszugehen (Cap.
IV ff.). Da ift es denn allgemein menfehlich, dafs fleh die
Aufsenwelt den Sinnen als eine Reihe einzelner Dinge
aufdrängt (S. 48). Die Semiten fpeciell und zwar auf allen
Stufen und auch unter ganz andern als den in der Wüfte
gegebenen Bedingungen haben die Neigung zu einfeitiger
Betonung charakteriftifcher Einzelheiten (S. 57). So ift
auch die hebräifche Diction überall anfehaulich, wo fie
fich auf das Charakteriftifche befchränken kann (S. 66).
Dazu kommt als der Ausflufs eines ftarken, confequenten
das Denken beherrfchenden aber auch einengenden
Willens ein entfehiedener Subjectivismus in der Betrachtungsweife
der Aufsenwelt (Cap. VII). Das auf's Einzelne
gerichtete Intereffe kreuzen die Spuren der bekannten
uralten Anfchauung von der Entftehung von Zufammen-
hängen unter den Dingen und der daraus folgenden Un-
trennbarkeit des Zufammengehörigen (Cap. VIII). — Mit
dem folgenden Capitel (IX) ,die Vorftellungen von felb-
ftändigen Geiftwefen in der Natur und einzelnen Dingen'
betritt K. das Gebiet der Wechfelbeziehungen zwifchen
Natürlichem und Geiftigem und beginnt daher einen
neuen Abfchnitt (III): ,Naturbefeelung und Mythologie'.
Nicht richtig ift es m. E., wenn hier das Verhältnifs der
poetifchen Naturbefeelung (Cap. X) zur animiftifchen als
gegenfätzliches gefafst wird; Poefie ift in diefem Falle
nach einem guten Ausdrucke du Prel's ja doch blofs ,palä-
ontologifche Weltanfchauung'. Der Naturmythologie auf
atl. Boden (Cap. XI) weift K. nur eine befcheidene Rolle
zu. Die Wendungen, in denen blofs von der Herrfchaft
und Macht Jahwe's über das Meer die Rede ift, laffen eine
andere als die von Gunkel gegebene Deutung zu und
erfordern fie theilweife fogar (S. 119), d. h. dafs hier gewöhnliche
poetifche Perfonificirung vorliegt (S. 123).
Thatfache ift, dafs es zu einer wirklichen Nachempfindung
der mythologiflrenden Naturauffaffung nicht gekommen
ift (S. 130). So läfst fich nirgends ein eigentlicher Gewittermythus
feftftellen (S. 134); nur die Cherubim- und
Seraphim-vorftellung fowie Spuren von Sternmythen gehen
vielleicht auf mythologifche Naturauffaffung zurück. Von

hier der principiellern Frage nach der Phantafie der
Semiten und fpeciell der Hebräer nähertretend (Cap. XII)
fpricht ihnen K. die fog. ,combinirende' Phantafie ab (S. 147).

Der folgende (IV) Abfchnitt behandelt die Auffaffung
des Geiftigen. Auch hier find die einfachften conftituiren-
den Elemente finnliche Anfchauung und Affecte. Ein
drittes wichtiges Moment ift mit der Sprache gegeben;
weiter werden Sitten und Bräuche, namentlich folche cul-
tifchen Characters wichtig, endlich und vor Allem die
religiöfen Elemente. An der Auffaffung der Heiligkeit
refp. Unreinheit weift K. die Entwickelung geiftiger An-
fchauungen nach: hier bewährt fich die Herrfchaft der
aus der finnlichen Anfchauung flammenden Vorftellung
von der Subftantialität aller Dinge (Cap. XIII S. 160). In
denfelben Zufammenhang gehören die Vorftellungen vom
Todeszuftande (Cap. XIV). Als befonders bedeutsam hebt
K. hervor, der Glaube an die Exiftenz von Todtengeiftern
fcheine gänzlich aufser allen caufalen Beziehungen zu den
fonftigen Vorftellungen von dämonenartigen Wefen zu
flehen; ebenfo feien beide Arten von Geifterglauben
wiederum gänzlich ohne Beziehung zur Naturbefeelung
(S. 177). Ich mufs die Richtigkeit diefer Sätze ftark in
Zweifel ziehen. — Mit Cap. XV beginnt die hebr. Pfychologie
im engeren Sinne. In gefchickter Weife wird die
Einwirkung der finnlichen Anfchauung und der Einflufs
der urfprünglichen Lebhaftigkeit der Affecte auf Bildung
und Ausgeftaltung des Sinnes der einzelnen anthropo-
logifchen termini (S3B3, ITH, tTaTB?, 313 etc.) aufgezeigt. In
Wirklichkeit exiftiren diefe aber überhaupt nicht als folche,
fondern ftets nur im Zufammenhange des Sprachganzen.
Daher werden die fonftigen Mittel der Sprache zum Ausdrucke
des Geiftigen unterfucht (Cap. XVI), und hier zeigt
fich der Einflufs der finnlichen Anfchauung darin, dafs
das Geiftige nach feinen finnlichen Begleiterfcheinungen
ausgedrückt wird (S. 194). Allmählich aber tritt jener
Einflufs zurück, eine Vertiefung nach der geiftigen Seite
hin wird erkennbar: die Bedeutungen anthropologifcher
Ausdrücke differenziren fich, und gleichzeitig tritt ein
Procefs ihrer Abfchleifung und gegenfeitigen Ausgleichung
ein (Cap. XVII. XVIII). Abfchliefsend fafst K. die formalen
Gefichtspunkte, welche für die israelitifche Auffaffung des
Geiftigen im Menfchen die herrfchenden fein follen,
(fcholaftifch genug!) in die Gegenfätze zufammen: r. Acti-
vität und Paffivität 2. von innen nach aufsen und von
aufsen nach innen 3. individuell-fubjectiv und objectiv-
allgemein (S. 226).

Den letzten (V) Abfchnitt widmet K. der Frage
nach dem Einflufse der Religion auf die Auffaffung der
Aufsenwelt und des Geiftigen. Die religiöfe Anfchauung
vom Verhältnifse von Gott und Menfch führt zunächft
von der für die Semiten charakteriftifchen Beobachtung
des Einzelnen zur Auffaffung der Natur als einer Einheit
(Cap. XIX). Dazu tritt ergänzend der Schöpfungsglaube,
deffen hauptfächlichfte Zeugnifse Gen. I Pfal. 104 u. f. w.
einer eingehenderen Betrachtung rufen. Noch wichtiger
wird die Beurtheilung, dafs die Menfchheit eine Einheit fei,
freilich nur als gewordene aus der Urzeit und als werdende
in der Endzeit' (S. 241). Auch auf die Anfchauung
vom Zufammenhange der einzelnen Dinge (Cap. XX),
wie fie fich fpeciell in rituellen aus einfacher Ideenaffociation
entftandenen Bräuchen kund giebt, wirkt die religiöfe Entwickelung
wenigftens indirect umgeftaltend durch die Betonung
des Gehorfams als folchen und die Durchführung
eines einheitlichen religiöfen Grundgedankens in allem
Einzelnen (S. 247). Wie der Welt der Erfcheinungen, fo
ift der Welt der Gefchehnifse gegenüber (Cap. XXI) jegliches
Erklärungs- und Einheitsbedürfnis im A. T. durchaus
religiös-fittlich bedingt. Nur Gott ift es, der Alles
zufammenhält. Die Stellung des Menfchen in der Natur
(Cap. XXII) ift durch praktifche ethifche Gefichtspunkte
beftimmt; fie ift keineswegs von vornherein ablehnend;
aber die Religion lührt zur Trennung zwifchen Menfch
und Aufsenwelt (S.268). Auf einer fortgefchrittenen Stufe

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