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Ausgabe:

1901 Nr. 21

Spalte:

578-580

Autor/Hrsg.:

Lipsius, Friedrich Reinhard

Titel/Untertitel:

Die Vorfragen der systematischen Theologie. Mit besonderer Rücksicht auf die Philosophie Wilhelm Wundts kritisch untersucht 1901

Rezensent:

Otto, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 21.

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keiten werden auch heute noch in dem Sprachgebrauche
der römifchen Kirche von dem Begriffe .Million' umfafst.

Auch die Gefchichte des Bonifatius-Vereines ift ein
Stück Miffionsgefchichte, und gewifs nicht das unintereffan-
tefte. In ihren Details war fie bisher wenig bekannt,
durch die vorliegende rtattliche Feftfchrift find aber auch
diefe wenigftes foweit der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht
, dafs nunmehr auch der Fernffehende in Stand
gefetzt ilt, die Entwickelung diefes für die Entwickelung
des römifchen Katholicismus in Deutfchland epochemachenden
Vereines zu verfolgen. Die beiden Verfaffer,
die durch ihre Zugehörigkeit zu dem Generalvorftande
in der Lage waren, aus heften Quellen zu fchöpfen,
haben ihre Aufgaben der Art unter fich vertheilt, dafs
ProfefforKleffner: .Die Gefchichte des Vereins 1849—1899'
und Domcapitular Woker .Die Arbeit und das Arbeitsfeld
' behandeln.

Ueber die einleitenden hiftorifchen Rückblicke eilen
wir mit Schonung hinweg, da fo gefchmacklofe Behauptungen
wie die, dafs ein grofser Theil der pro-
teftantifchen Disporagemeinden eine künftliche Schöpfung
der preufsifchen Regierung gewefen ift und durch den
gefammten Regierungsapparat einer unausgefetzten Förderung
fich zu erfreuen hatte (S. 5), fchwerlich viel Unheil
anrichten werden. Auch ift diefer anfangs ange-
fchlagene Ton für die weitere Haltung des Buches nicht
beftimmend geworden.

Der Gedanke der Gründung eines fpeciell für Deutfchland
beftimmten Miffionsvereines wurzelte in Nothftänden,
denen feit 1S42 der bekannte ,Verein zur Verbreitung
des Glaubens in Lyon' durch Ueberweifung beträchtlicher
Mittel zu begegnen fuchte. Das im Zufammenhange mit
dem Kölner Kirchenftreite fich mächtig regende katholi-
fche Bewufstfein unterftützte ihn von anderer Seite. Der
überaus günftige Erfolg der 1848 ins Leben gerufenen Piusvereine
, die noch in demfelben Jahre zu dem .katholifchen
Vereine Deutfchlands' fich zufammenfchloffen, zeigte die
Vortheile der Organifation handgreiflich und dazu kam
nun noch das anregende Vorbild des proteftantifchen
Guftav-Adolph-Vereines. Die dritte Generalverfammlung
des katholifchen Vereines in Regensburg 1849 zog in ihrer
Sitzung vom 4. October das Facit, und zwar erfolgte
der Befchlufs der Gründung eines deutfchen Miffions
Vereines unter dem Namen .Bonifatiusverein' unter dem
beftimmenden Einfluffe — Döllinger's. Ja der Verfaffer
fchreibt: ,Will man der Wahrheit die Ehre geben, fo
mufs vor allem Döllinger unbeftritten und mit Recht
geradezu als der eigentliche Vater und Gründer
diefes für die Kirche Deutfchlands fo hochwichtig gewordenen
Vereines angefehen werden, deffen Idee ihm
feit Jahren vorgefchwebt hatte, und deffen rafche Gründung
feinem zielbewufsten, entfchloffenen Vorgehen in
Regensburg thatfächlich zu danken ift.' Demnach ift der
Antheil Döllinger's noch gröfser gewefen, als es nach
Friedrich's Biographie (3. Bd., München 19OI, S. 14) den An-
fchein hat. Die definitive Conftituirung des Vereines gefchah
auf der Katholikenverfammlung zu Linz. In Bezug auf
den erften Paragraphen der Statuten traten hier innerhalb
des Ausfchufses principielle Differenzen hervor, indem
die Majorität nicht nur die deutfche Miffion, fondern
auch die Bekehrung der Heiden in die Vereinsaufgaben
aufgenommen fehcn wollte, während die Minorität eine
Befchränkung auf die erftere befürwortete. Dafs die
Minderheit durchdrang und in Folge deffen § I der
Statuten, die auf den heutigen Tag geltende Faffung
— ,der Bonifatius-Verein bezweckt in Beziehung auf
Seelforgeund Schule die Unterftützung der in [fpätererZu-
fatz: proteftantifchen und] gemifchten Gegenden Deutfchlands
mit Einfchlufs der Schweiz, und in allen mit
Deutfchland in pohtifcher oder Diöcefan-Verbindung
flehenden Ländern lebenden Katholiken' — erhielt, war
wiederum das Werk Döllinger's. Auch nach der kirchlichen
Genehmigung durch Papft Pius IX (1852) hatte

der Bonifatiusverein noch manche Schwierigkeiten zu'
überwinden. Die Rückficht auf den Xaverius -Verein
ftand ihm vielfach im Wege, die Entftehung von Con-
currenzunternehmungen in Braunsberg für die Diöcefe
Ermland, in Nordhaufen und vor allem in Münfter bedrohte
in den erften Jahren geradezu feine Exiftenz,
auch war feine Aufnahme in verfchiedenen Diöcefen
weit weniger entgegenkommend, als wir es im Blicke
auf die grofsen Leiftungen des Vereines in den folgenden
Jahrzehnten erwarten. Alle diefe Hemmungen find
jedoch fchon unter der Leitung des erften Präfidenten, des
Grafen Jofeph zu Stolberg überwunden worden; unter
deffen Nachfolger, dem Bifchof Martin von Paderborn
war dem Verein ein noch gröfseres Wachsthum be-
fchieden. Auf diefen Procefs des inneren und äufseren
Ausbaues — beachtenswerth ift, dafs die Einfuhrung des
Vereines in der Schweiz bis heute nicht gelungen ift
(S. 47) und dafs Bayern ihm grofsen Widerftand entgegengefetzt
hat (vgl. S. 61. 105) —: die Erweiterung
feiner Aufgaben; die Bildung von Hilfsvereinen, der fo-
genannten .Einigungen'; die grofsen Erfolge der Ver-
fuche, die ftudirende Jugend zu gewinnen — der Verfaffer
weift (S. 83) auf die Zahl von 37 akademifchen
Bonifatius-Vereinen mit c. 3300 activen Mitgliedern als
auf ,eine der erfreulichften Erfcheinungen des Gefammt-
vereins' hin —; die Gründung der bekannten Bonifatiusdruckerei
und der Sammelvereine für Waifenhäufer und
Communicantenanftalten gehen wir felbftverftändlich im
Einzelnen nicht ein.

Der zweite Theil des Werkes, der den erften um
mehr als das Doppelte des Umfanges übertrifft, giebt
eine werthvolle hiftorifch-ftatiftifche Ueberficht über das
Arbeitsgebiet des Bonifatius-Vereins — dazu gehören
jetzt auch Luxemburg, Oefterreich, Dänemark, feit 1883
auch Bosnien —, die, nach Diöcefen geordnet, jedem
Intereffenten rafche Information über einzelne Provinzen
und Orte ermöglicht und durch das am
Ende beigefügte ,Alphabetifche Verzeichnifs aller Stationen
, die vom Bonifatius-Verein von 1848 bis 1898
unterftützt worden find', noch wefentlich erleichtert. Die
Gefammteinnahme des Vereines von 1849 D's 1898 betrug
(S- 3W): 33983866 Mk.; das erfte Rechnungsjahr hatte
67 260 Mk. gebracht, das letzte 1 997 815 (1897: 2 293 780).

Das find bedeutende Ziffern, aber fie lind doch nur
ein fchwacher Ausdruck des grofsen Einfluffes, den
der Bonifatius-Verein auf das innere Leben der römifch-
katholifchen Kirche in Deutfchland ausgeübt hat. Diefe
Feftfchrift, Gefchichte und Repertorium zugleich, ift geeignet
, dem Lefer eine Vorftellung von diefer Bedeutung
zu übermitteln. Eben darum ift fie nicht nur eine Agi-
tationsfchrift von aufsergewöhnlichem Umfange, fondern
auch das, was die Verfaffer laut Vorwort zugleich ange-
ftrebt haben: ,ein wiffenfchaftlicher Beitrag zur Kirchen-
gefchichte des 19. Jahrhunderts und dem Hiftonker eine
nicht unwillkommene Gabe'.

Marburg. Carl Mirbt.

Lipsius, Lic. Friedrich Reinhard, Die Vorfragen der systematischen
Theologie. Mit befonderer Rückficht auf die
Philofophie Wilhelm Wundts kritifch unterfucht. Freiburg
i. B., J. C. B. Mohr, 1899. (VII, 119S.gr. 8.) M. 2.—

Die chriftliche Glaubens- und Sittenlehre fetzt wenn
nicht eine beftimmt ausgeformte idealiftifche Weltan-
fchauung fo doch beftimmte idealiftifche Anfchauungen
über Verhältnifs von Geift und Materie, Menfchenfeele
gefchichtliche Entwickelung befonders auf religiöfem und'
fittlichem Gebiete voraus. Jedenfalls ift fie nur möglich
wenn folche idealiftifche Anfchauungen nicht unmöglich
find. Ob diefelben möglich oder unmöglich feien, das gehört
zu den nothwendig zu beantwortenden ,Vo'rfragen';
die pofitiven Antworten auf diefe Fragen aber mufs die