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Ausgabe:

1901 Nr. 2

Spalte:

36-37

Autor/Hrsg.:

Happel, Otto

Titel/Untertitel:

Der Psalm Nahum 1901

Rezensent:

Löhr, Max

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 2.

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die das Werk beinahe als ein Compendium der neueren
altteftamentlichen Wiffenfchaft erfcheinen läfst. Der
Verf. befchränkt fich nicht blofs darauf, ein Bild der
politifchen Gefchichte zu geben, fondern behandelt auch
aufs eingehendfle die Literatur des Alten Teftaments
und ihre Entflehung, fowie namentlich auch dieReligions-,
Sitten- und Kulturgefchichte Israels. Selbfl z. B. Schriften
wie das Spruchbuch, Hiob, Jefus Sirach, der Pfalter,
deren ausführliche Befprechung man nicht in einer Gefchichte
Israels fucht, werden eingehendft behandelt und
in das geiftige Leben des Volkes eingegliedert. Was fo
an Umfang des Gebietes gewonnen ift, ift freilich auf
der anderen Seite an organifcher Einheitlichkeit des
Ganzen verloren gegangen.

Die Darlegung beginnt (Cap. I, Einleitung) mit einer
Schilderung Paläftinas, der Kanaaniter und ihrer Nachbarn
fowie einer Erörterung über den Ausgangspunkt,
der weder bei der Weltfchöpfung (Genefis), noch auch
erft bei der Begründung des Königthums (Stade), fondern
beim Auszuge aus Aegypten zu nehmen fei (S. 1
bis 18). Als Endpunkt nimmt P. die Epoche der Makka-
bäer, ,weil die folgende Gefchichte des jüdifchen Volkes
bis zur chriftlichen Aera öfter und beffer dargeftellt worden
ift als die ältere Gefchichte' (S. II). Der ganze zu
behandelnde Zeitraum wird in 9 Perioden getheilt. Die
erfte, überfchrieben: Les anciens Hebreux et l'oeuvre de
Mdise (S. 19—60), behandelt ausführlich die urfprüngliche
Religion der Hebräer, fodann Mofe und den Jahvismus.
Eine Fülle von Belegftellen, von denen oft alle verfügbaren
zufammengetragen find, ftützt die im Texte aus-
gefprochenen Anflehten; aber fchon hier fällt auf, dafs I
fich der Verfaffer viel lieber referirend verhält, als dafs
er perfönlich zu den Problemen Stellung nimmt. Um |
einBeifpiel anzuführen: man erfährt alle die verfchiedenen j
Anflehten darüber, woher vermuthlich die Jahvereligion J
flammt (S. 48 f.), jedoch kein Wort darüber, welche von I
den vorgebrachten Meinungen nun nach des Verfaffers |
Anficht das Meifte für fich hat. Sehr fummarifch werden
die zwifchen der Befreiung aus Aegypten und der j
Eroberung Kanaans liegenden Ereignifse abgethan; z. B.
über den Aufenthalt bei Kades und feine Bedeutung,
über die näheren Umftände, unter denen die Eroberung
des Oftjordangebietes vor fich ging, verlautet nichts. In
der 2. Periode (La conquete de Canaan et l'epoque des
Juges, S. 61—124) wird nach einleitenden Bemerkungen
zunächft die äufsere Gefchichte der Eroberungs- und
Richterzeit und danach fehr ausführlich der fociale, reli-
giöfe und moralifche Zuftand Israels in diefem Zeiträume
behandelt, wobei aber zu einfeitig die Schatten feiten
hervorgekehrt werden. Das,moralifche Leben' (§ 4) diefer
Epoche ift gewifs nicht zur Genüge charakterifirt, wenn
man, wie P. thut, einfach die beiden Anhänge zum
Richterbuche (Ri 17 f. 19—21) paraphrafirt. Dafs der
Prophetismus in Israel fich erft aus dem Seherthume
entwickelt habe, und zwar unter dem Einfluffe der Jahvereligion
(S. 118 f.), ift ficher unzutreffend; beides waren
vielmehr von Haus aus getrennte Erfcheinungen, die in
Israel erft fpäter, unter Einwirkung des Jahvismus, theil-
weife in einander übergegangen find. Die 3. Periode
umfafst: Landen royaume d'lsraiil, S. 125—179. Während
die Bilder von Saul und Salomo gut gelungen find,
leidet das Davids unter der unglücklichen Zweitheilung
des Stoffes in La gloire de David (§ 1) und Les ombres
du tableau (§ 2). Die Schatten wirken in Folge diefer
Gruppirung zu maffig und überdunkeln die Lichtfeiten;
nach der zufammenfaffenden Charakteriftik am Schluffe
(S. 165 fr.) bleibt es daher unbegreiflich, wie diefer Mann
der Abgott eines Volkes und das Idealbild eines Herrfchers
von Gottes Gnaden werden konnte. Bei der
4. Periode {Les deux royaumes depuis le schisme Jusqu'ä I
lavencment de Jehu, S. 180—270) wird auf 17 Seiten die
politifche Gefchichte, auf 21 die Literatur (die Anfänge
der Gefchichtsfchreibung; Jahvift; der urfprüngliche Dekalog
) und auf 55 ,der fociale, religiöfe und moralifche
Zuftand'abgehandelt; das gleiche Mifsverhältnifs zwifchen
den Theilen herrfcht bei der 5. {Les deux royaumes jusqii
a la ruine de Samarie, S. 271—333), wo auf 10 S. Darfteilung
der äufseren Gefchichte 21 über ,Einige lite-
rarifche Dokumente' (Elohift; Bundesbuch; claffifcher
Dekalog; alte Orakel wie Mofefegen u. a.) und 33 über
die Schriftpropheten des 8. Jahrhunderts (Arnos-Micha)
folgen. Beidemal kommt die politifche Gefchichte, die
doch die Hauptfache fein foll, über der mehr fecundär
in Betracht kommenden Literatur- und Religions-
gefchichte zu kurz. Und fo ift es auch fonft noch
mehrfach. Die 6. Periode behandelt Le royaume de
Juda seul (S. 334—437). wobei die Regierung Jofias (von
S. 354 an) das Intereffe völlig abforbirt, die 7.: LExil
(S. 438—510), die 8.: La Reßauration (S. 511—582) und
die 9.: De Nehemie a Antiochus Hpiphanc (S. 583—719).
Betrachtungen über Kritik und Glaube (S. 720—726)
bilden den Schlufs. Am Ende würde ein genaues Namen-
und Sachregifter noch angebracht gewefen fein und die
Brauchbarkeit des gehaltvollen Werkes zu Nachfchlage-
zwecken bedeutend erhöht haben; das ausführliche In-
haltsverzeichnifs (S. 727—730) kann jenes nur mangelhaft
erfetzen.

Der Verfaffer wandelt in den Wegen des Strafs-
burger Altmeifters unferer Disciplin, Eduard Reufs', fleht
fomit durchaus auf dem Boden der neueren altteftamentlichen
Kritik. Sein Urtheil ift befonnen und mafsvoll,
feine Darftellung fchlicht und einfach, mitunter ins Lehrhafte
verfallend. Er lehnt fich faft ausfchliefslich an
deutfehe gelehrte Werke an; von Franzofen find es
aufser Maspero eigentlich nur Renan und Vernes, deren
Namen öfter begegnen, zu deren Anflehten er fich aber
zumeift in Widerfpruch fetzt. Dem Subjectivismus jener
ftellt er eine ruhige Sachlichkeit gegenüber, und mit Recht
durfte er im Vorworte der Ueberzeugung Ausdruck geben,
dafs fein Buch ne differe pas scidement de tous les ouvrages
analogues de langue francaise, mais qtiellc realisc aussi
sur eux de notables progres. Er ift ein Herold deutfeher
Wiffenfchaft für die Lefer franzöfifcher Zunge. Freilich,
was bei den angeführten franzöfifchen Gelehrten zu viel
ift, ift bei ihm zu wenig; man wünfehte der Darftellung
etwas mehr Subjectivität, perfönliche Eigenart, plaftifche
Anfchaulichkeit. Es liegt ein Hauch trockener Nüchternheit
über dem Ganzen, etwas vom Pfeifenqualme der
Studierftube, der, wie Recenfent fürchtet, gerade den
franzöfifchen Leiern den Gefchmack an dem Werke
leicht verderben kann; und dies wäre fehr zu bedauern,
denn es ift zu wünfehen, dafs diefes fchöne speeimen
eruditionis befonders in den Ländern franzöfifcher Zunge
die weitefte Verbreitung fände.

Marburg. R. Kraetzfchmar.

Happel, Pred. Dr. Otto, Der Psalm Nahum. (Nahum 1.)
Kritifch unterfucht. Würzburg, A. Göbel, 1900. (34 S.
gr. 8.) M. —.80

Die vorliegende, fehr überfichtlich angeordnete Arbeit
will zu dem bekannten Problem der akroftichifchen Form
von Nah. I ,einen neuen Löfungsverfuch — eine Vorarbeit
zu einem Commentar über Nahum — der Dis-
cuffion unterftellen'.

Diefer Löfungsverfuch gipfelt in den Thefen, dafs,
,die alphabetifche Ordnung, welche für urfprünglich zu
halten fei, fich über die Verfe I 2 —15 (II 1) erftrecke'.
Ferner, dafs c. I mit den beiden anderen Capiteln keine
urfprüngliche Einheit bilde, und endlich, was die Hauptfache
ift, dafs ,12—Iii zwei gefonderte Ausfprüche enthalten
, von denen der erfte I2—10, der zweite In_Iii

umfafst. Beide zufammen ftellen die Ueberarbei-
tung eines urfprünglich fortlaufenden alpha-
betifchen Gedichtes dar'.