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Ausgabe:

1901 Nr. 21

Spalte:

563-568

Autor/Hrsg.:

Weiss, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes. Zweite, völlig neubearbeitete Auflage 1901

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 21.

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geftändnifs vor, dafs die Exiftenz und Thätigkeit der
Elohiftenfchule fehr unnütz und überflüffig war, und die
ganze Thefe Z.'s fehr unnütz und unhaltbar ift! An
beiden Stellen handelt es fich um eine Vertragsfchliefsung
zwifchen Jahve und Israel, bei der jeder der Contrahenten
eine Verpflichtung auf fleh nimmt — ergo kann die Zu-
ficherung Jahves, dem Volke ,zum Gott' fein zu wollen,
keine unnütze Gloffe fein. Aehnlich ift dann das Ur-
theil Z.s über Ez. 37,23 S. 32 Anm. u. Sachar. 8,8 S. 48
zu werthen.

Füge ich beifpielsweife noch hinzu, dafs nach S. 28
Anm. u. S. 57 Exod. 3, 9—15 aus der. Zeit des Chroniften
flamme, und S. 58 ff. Deut. 4, 35—40 nachelohiftifch fei —
d. h. beide Stücke gehören etwa in die Zeit von 300,
obwohl fie bereits in der Tora flehen, die die Samari-
taner nach der vielleicht richtigen Annahme Z.'s ca. 330
von den Juden übernahmen — und dafs ,man wohl die
Makkabäerzeit im Pfalter kaum vertreten' finde S. 52, fo
wird mein obiges Gefammturtheil über Z.'s Arbeit nicht
zu hoch gegriffen fein, womit ich dem Verf. Unbefangenheit
in alttellamentlichen Fragen und einige religionsge-
fchichtliche und philofophifche, freilich heutzutage billig
zu beziehende, Kenntnifse nicht abfprechen möchte.
Wir möchten gern einen Einblick in die Redactions-
ftuben der Pentateuch-Herfteller thun, aber in der Stube,
in die uns Z. führt, fuchen wir rafch das Loch, das uns
der Zimmermann gelaffen hat!

Leider ift die Arbeit auch durch viele Ungenauig-
keiten und Druckfehler entftellt. Bei den letzteren weifs
ich nicht, ob nicht auch grobe Unwiffenheit hineinfpielt.
S. 54 lieft man ovoavoq u. S. 75 "las u. = fein Vater!
Wiederholt gebraucht der Verf. das Wort ,prieftercodex-
lich', dem in der an fchönen Neubildungen überreichen
altteftamentlichen deutfehen Schulfprache zu begegnen,
ich fchon lange gehofft hatte.

Strafsburg i. E. Georg Beer.

Weiss, Prof. D. Johannes, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes.

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage. Göttingen, Van-
denhoeck & Ruprecht, 1900. (VIII, 214 S. gr. 8.) M. 5.—

Diefe zweite Auflage des Werkes von J. Weifs,
das feiner Zeit fo grofses Auffehen erregte, ift eine
völlig neu bearbeitete. Während W. im Ganzen und
Grofsen auch in ihr die Pofitionen feiner erften Auflage
behauptet, find doch im Einzelnen feine Ausführungen
fo vielfach anders nuancirt und feiner abgetönt, und
ift zu den alten Ausführungen fo vielfach Neues und Be-
achtenswerthes hinzugekommen, dafs es fich lohnt, ausführlicher
, als es fonft bei einer zweiten Auflage üblich
wäre, auf diefe einzugehen.

Im erften wefentlich neu ausgearbeiteten Theile der
neuen Auflage giebt Weifs einen Ueberblick über die
Vorbilder der Reichgottesidee im alten Teftamente und
im Judenthume. Auf diefem Gebiete war namentlich
nach Dalman's eindringenden Studien eine neue Durcharbeitung
des Stoffes dringend erforderlich. Während
man fich bisher eigentlich bei der unbewiefenen Annahme
beruhigt hatte, dafs Jefus in feiner Reichgottespredigt
einen dem zeitgenöffifchen Judenthume vollkommen
deutlichen und bekannten Begriff herübergenommen
habe, fehen wir nun deutlicher, dafs wir vor
einem einigermafsen complicirten und nicht uninterefianten
Probleme flehen.

Zunächft fehen wir jetzt deutlicher als früher, dafs
der Begriff Malkut Jahwe innerhalb des fpäteren Juden-
thumes eine doppelte Bedeutung angenommen hat. Wie
Weifs es präcifirt, kann Malkut Jahwe nach zwei Seiten
hin aufgefafst werden. Man kann dabei mehr an die be-
herrfchten Menfchen, oder den herrfchenden Gott denken.
Im erften Falle ftellt fich die — immer und ewig vorhandene
— Herrfchaft, oder das Königthum Gottes in der

Anerkennung diefer Herrfchaft von Seiten der menfehlichen
Gemeinfchaft des Volkes dar. Im zweiten Falle wird
daran gedacht, dafs Gott gegenüber widerfprechenden
Mächten durch gewaltiges Handeln feine jetzt noch nicht
— oder nicht in vollem Umfange — vorhandene Herrfchaft
errichtet. Der erfterwähnte Sprachgebrauch ift
namentlich in dem Umkreife der rabbinifchen Theologie
nachweisbar. Hier bedeutet die häufig wiederkehrende
Formel ,das Joch der Herrfchaft Gottes (des Himmels)
auf fich nehmen' nichts weiter, als Gott in feiner
Herrfchaft anerkennen, fich zu ihm bekennen. Es wird
fpeciell auf das tägliche Sprechen des Sch'ma, des judi-
fchen Bekenntnifses, angewandt. Es ift nun jedenfalls
klar, dafs Jefus felbft, wenn er von der Malkut Gottes
redete, faft durchweg an das Reich oder die Herrfchaft
Gottes dachte, die Gott felbft und nur Gott in der
Zukunft durch gewaltige Thaten errichten werde. Diefer
Sprachgebrauch liegt in der Linie der Verkündigung
des Deuterojefaia und einer Reihe von Pfalmen, in denen
von der zukünftigen Aufrichtung der Königsherrfchaft
Gottes die Rede ift. Hier tritt das Problem nun fchon
deutlicher hervor. Mit Recht hebt W. im Anfchlufse an
Dalman den Unterfchied in der Verkündigung Jefu auch
nach diefer Seite hervor. Jene ,Errichtung des Königthums
Jahwe's' beziehe fich doch wefentlich auf die Errichtung
des Davidifchen Königthumes. Jene Zukunftserwartung
halte fich ,im Ganzen durchaus im Rahmen des gegen-
wärtigen Aeons' (S. 17). Dagegen denke Jefus im Wefent-
lichen bei feiner Verkündigung der ßadiXüa freov an den

; Umfang der Hoffnungsgüter, welche die fpätere jüdifche
Theologie mit dem Begriffe des .zukünftigen, kommen-

i den Aeon' umfehreibe. Während aber Dalman diefen
Sprachgebrauch Jefu zum Theile wenigftens aus dem
Danielbuche ableiten möchte, weift W. nach, dafs er lieh
auch dort nicht finde, und dafs auch in der fpätereri
jüdifchen Apokalyptik diefe Wendung kaum nachzuweifen
fei. Es zeigt fich fogar das Merkürdige, dafs der Begriff
der Königsherrfchaft in diefer ftark zurücktritt. W. felbft
vermuthet, dafs die neue, energifch efchatologifche Wendung
in der Gefchichte unferes Begriffes zufammenhänge
mit der erft allmählich im Spätjudenthume auftauchenden
Idee des Gegenfatzes zwifchen der Herrfchaft Gottes und
der Herrfchaft des Teufels und des erft durch eine kommende
Welterneuerung zum Abfchlufse kommenden
Kampfes zwifchen Gott und dem Teufel. Die Errichtung
der Malkut Gottes beftehe in der Beilegung des Teufels
und feines Reiches. Dafs in Jefu Verkündigung von der
ßaOiXela diefe Gedanken mitwirken, leidet keinen Zweifel.
An diefem Punkte weift W. nun auch Parallen in der
jüdifchen Apokalyptik {Assumptio Mösls, Apokalypse des
Johannes) nach und wirft fchliefslich die Frage auf, ob
hier nicht Einflüfse zaratuftrifcher Eschatologie und
Apokalyptik vorliegen könnten.

Mit diefer letzten Frageftellung hat W. das vorliegende
Problem doch nur zur Hälfte erledigt. So
wichtig jene von W. aufgeworfene Frage ift, fo fcheint
mir eine andere Beobachtung doch noch wichtiger.
Wenn es richtig ift, was Weifs als eine der glücklichften
Beobachtungen Dalman's erklärt, dafs Jefu .Begriff des
Reiches Gottes am meiften Sachverwandtfchaft habe mit
dem, was die Juden den al<ov uiXXmv nennen', fo ift damit
eigentlich gefagt und zugeftanden, dafs Jefu Reichgottespredigt
eine ftarke und ausgeprägte Originalität zukommt.
Dann hätte nämlich Jefus in feiner Predigt vom Reiche
Gottes jene mehr überweltlichen Vorftellungen von einer
grofsen Weltverwandlung, der Auferftehung der Todten,

I dem Weltgerichte, der Befiegung des Satans und der
Dämonen, die man bisher nur in kleineren apokalypti-
fchen und gelehrten Kreifen mit dem Begriffe alebv [liX-
Xcov zufammenfafste,— nunmehr feinerfeits in den Begriff
ßaöiXeia Mov zufammengefafst, der bisher wefentlich
fich auf die volksthümlichen Hoffnungen: das Reich in
Paläftina, die Aufrichtung des Königshaufes David's, die