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Ausgabe:

1901

Spalte:

513-517

Autor/Hrsg.:

Sellin, Ernst

Titel/Untertitel:

Studien zur Entstehungsgeschichte der jüdischen Gemeinde nach dem babylonischen Exil 1901

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erlcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. HinrichsTche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

N?- 19.

14. September 1901.

26. Jahrgang.

Sellin, Studien zur Entftehungsgefchichte der
jüdifchen Gemeinde nach dem babylonifcheu
Exil, 2 Bde. Erfter Artikel (Bertholet).

Söderblom, La vie future d'apres le Maz-
detsme a la lumiere des croyance paralleles
dans les autres religions (Bousset).

Bruckner, Fauftus von Mileve (Grtttzmacher).

Rae der, De Theodoreti Graecarum affectionum
curatione quaestiones criticae (Preuschen).

Hesychii Hierosolymitani interpretatio Isaiae
prophetae ed. Faulhaber (Preuschen).

Künftle, Eine Bibliothek der Symbole und theo-
logifchen Tractate zur Bekämpfung des Priscil-

lianismus und weftgothifchen Arianismus aus
dem VI. Jahrhundert (Krüger).

Tov ayioiq natQos }j,uü)v 4>wtIov thxxqi-
äoyov K(ovaxavzivov7iö).tu)c; Aöyoi xal
'Ofxiktat, ixihöövxo? X. Antozäyzov
2 Bde. (Lambros).

Sellin, Prof. D. Ernft, Studien zur Entstehungsgeschichte
der jüdischen Gemeinde nach dem babylonischen Exil.

2 Bände. Leipzig, A. Deichert, 1901. (gr. 8.) M. 10.—

I. Der Knecht Gottes bei Deuterojesaja. (IV, 302 S.) M. 6.50.
— II. Die Restauration der jüdifchen Gemeinde in den Jahren
538—516. — Das Schickfal Serubbabels. (IV, 199 S.) M. 4.50.
Erfter Artikel.

In feinem 1898 erfchienenen Buche .Serubbabel'
hatte Sellin eine neue Löfung der Ebed-Jahwefrage vor-
gefchlagen : Serubbabel der Gottesknecht. Die vorliegenden
Studien, fpeciell die erfte und die dritte, bedeuten
eine Correctur der in jenem Buche vorgefchlagenen Hypo-
thefeauf Grund einer umfänglichen neuen Durcharbeitung
deseinfchlägigen Materiales. Manfieht: Sellin gehört nicht
zu den Fertigen, die ausgelernt haben, fondern zu den
Werdenden, die lernen, während fie arbeiten. Das berechtigt
ihn zum Anfpruche, von feinen Kritikern ,die-
felbe geiftige Energie zu erwarten, noch einmal gründlich
nachzuprüfen und dann, unbekümmert um alte Vor-
ftellungen, nur das Wahre zu erwählen' (S. 7). Folgen wir
alfo feinem Gedankengange.

I. Nach dem Erfcheinen von Sellin's Serubbabel find
König, Smend, Budde und Marti für die collectivifche
Faffung des Ebedbegriffes eingetreten. Dem gegenüber
will Cap. I (S. II—63) feftftellen, dafs der Gottesknecht
der Ebed-Jahweltücke kein Collectivum, fondern ein
Individuum fei. Sellin's Argumente find nicht neu; aber
fie find präcifer formulirt als bisher gefchehen, nämlich
1. § 1: ,Es fällt auf, dafs, während fonft Deuterojefaja
mit der Verdeutlichung des Ebed durch Israel oder

kann diefem Capitel im Allgemeinen zuftimmen, wie
auch grofsentheils dem zweiten (S. 63—78), das den
Nachweis verfucht, dafs der Gottesknecht der Ebed-Jahwe-
ftücke keine zukünftige und keine abftracte Idealgeftalt
fei, fondern ein realer Zeitgenoffe des Verfaffers. —
Cap. III (S. 78—141) foll gezeigt werden, dafs er weder
ein Prophet noch ein Thoralehrer, fondern ein zur Leitung
des neuen Gottesreiches beftinimter Davidide fei.
Das unternimmt Sellin auf exegetifchem Wege nachzu-
weifen (§ 1—4), am Ausführlichften an 421—7. Es ift
nicht zu beftreiten, dafs viele Züge der Ebed-Jahwe-
ftücke auf einen .Volksleiter, Richter und Regenten'
(S. 98) trefflich paffen würden; andere freilich fehr viel
weniger, und es ift wahr, dafs Duhm und der Ref. mit
ihrer Deutung auf einen refp. den Thoralehrer einer Stelle
wie Jef. 50 4 gegenüber .ihren fchönften Triumph feiern'
(S. 106). .Aber der Millionär, der hinauszieht in alle
Welt, um die Heilsbotfchaft zu verkünden, die Völker
zu erleuchten, er ift nur in den Text hineingetragen; es
handelt fich nur um den Herausführer Israels aus dem
Exil, der daftehen wird als ein Wunder für alle Welt,
der durch die Rettung feines Volkes das bis jetzt auf
Erden umgeftürzte Recht wieder aufrichten und in Folge
deffen auch von den Völkern als der Offenbarer des
wahren Rechtes wird aufgefucht werden' (S. 114 f.). Wie
kommt es dann aber, dafs in Cap. 40, dem Hauptcapitel
über die Herausführung Israels von ihm mit keinem
Worte die Rede ift, vielmehr Jahwe felbft an der Spitze
der Ausziehenden erfcheint? Diefes Bedenken hat Sellin
fehr wohl gefühlt — es war ihm vornehmlich fchon
durch Laue nahegelegt —, und er fucht ihm zu beJakob
in keiner Weife kargt, gerade in den Abfchnitten, j gegnen, m. E. mit unzulänglichen Gründen. Ich lege
in denen die Auslagen über den Ebed am individuellften ; weniger Gewicht auf das zweite Bedenken, dem er in
werden, der Ebed plötzlich nicht mehr als Israel oder | demfelben Paragraphen (§ 5) zuvorkommen will, als ob
Jakob bezeichnet, fondern namenlos wird. Das Zufam- | fich nämlich Cyrus und der Gottesknecht ausfchlöffen.

mentreffen der Erfcheinungen ift es, was zu denken giebt'
(S. 15). 2. § 2: ,Es erregt zunächft im höchften Grade Befremden
, dafs in den Ebed-Jahweftücken diePerfonification
fo confequent durchgeführt fein müfste, dafs keiner, der

In § 6 wird dargethan, wie angemeffen die Bezeichnung
des Gottesknechtes fchlechthin für einen Davididen war.
Was endlich für die Beziehung auf einen Davididen,
wenigftens einen Fürften fpreche, das fei, dafs vom

diefelben allein lefen würde, auf den Gedanken kommen Ebed vielfach mit Ausdrücken geredet werde, die in
könnte, es läge hier eine folche vor' (S. 19). 3. § 3, das Babylon in Bezug auf die Könige gang und gäbe waren
Hauptargument: ,Der Gottesknecht wird vom Volk oder ; (§ 7). Den Befchlufs des Capitels f§ 8) bildet eine Wider-
von dem guten, gottwohlgefälligen Kern desfelben in [ legung der Hypothefe, welche Referent in feinem Schrift-
den Stücken überall klar und deutlich gefchieden' (S. 23). j chen: zu Jef. 53 aufgeftellt hat. Nach wie vor find aber
Das weift Sellin nach an Jef. 423. 6 4951. 8 504. 6—9 cf. < für mich die Berührungen von Jef. 53 mit Sir. 39 mehr
Vers 10 538. 4. § 4: ,Die Schilderung des Thuns und Han- ; ausfchlaggebend als die Verfchiedenheiten zwifchen
delns des Ebed in den Ebed-Jahweftücken wie die feines beiden, welche Sellin ftark hervorhebt. Im Uebrigen
Leidens ift f0 vollftändig verfchieden von der Israels in ift mir feine Polemik höchft intereffant als Beftäticruno-
den übrigen Capiteln, dafs eine Identität beider unmög- einer Beobachtung, die fich gerade bei einem Blicke auf
lieh ift' (j. 45) jn diefem Zufammenhange wäre der die Behandlung der hier einfchlägigen Fragen fchon mchr-
Ausdruck ,Völkerkonzert' (S. 48) beffer unterblieben (vgl. fach aufgedrängt hat, wie fehr nämlich der fubjective
auch S. 171 das .Götterkonzert'!). § 5 ift einer kurzen ; Eindruck das Entfcheidende ift, fo dafs alle noch fo lang-
Widerlegung der Hauptargumente gewidmet, die für die j athmige Aufzählung von Gründen nicht viel dagegen ver-
colkctivifche Deutung ins Feld geführt werden. — Ich | fchlägt (vgl. S. 13). Man könnte das ja bedauern, wenn

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