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Ausgabe:

1901 Nr. 18

Spalte:

500-501

Titel/Untertitel:

Hieronymus, Stridonensis presbyteri tractatus contra Origenem de visione Esaiae 1901

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 18.

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dankenkreis und den vom Verfaffer benutzten Kanon der
heiligen Schriften will Waitz nicht über das 3. Jahrhundert
als Abfaffungszeit herabgehen. Er unterfucht weiter
die im Gedicht benutzten Quellen. Die Nachrichten über
das Auftreten Cerdon's und Marcion's fowie die römifche
Bifchofslifte flammen nach ihm aus derfelben verlorenen
römifchen Schrift, aus der Irenaus und Epiphanius fchöpften.
Die Berührungen Pfeudotertullian's mit Tertullian führt
Waitz zu der Annahme, dafs beide eine gemeinfame
Quellenfchrift antimarcionitifchen Inhalts benutzt haben.
Diefe Schrift findet er in dem verlorenen Werk des Theo-
philus xaraMaQxicovoq wieder. Endlich hat der Anonymus
Cyprian gekannt und aus ihm gefchöpft. Waitz prüft dann
die Haltbarkeit der verfchiedenen Hypothefen über den
muthmafslichen Verfaffer. Er weift die Hypothefe Tille-
monts ab, dem Haufsleiter und mit Vorbehalt Krüger
beigetreten war, dafs Victorin von Pettau (f 305) das Gedicht
gefchrieben habe. Ausfchlaggebend ift für ihn die

von Tertullian und Cyprian finden. Wir fchliefsen mit
dem Dank für die gründliche, die literarhiftorifchen Probleme
des Gedichts Adversus Marcionem fördernde Arbeit

Heidelberg. Grützmacher.

S. Hieronymi Stridonenfis presbyteri tractatus contra
(Eigenem de visione Esaiae, nunc primum ex codd. Ms.
Cafinenfibus in lucem edidit et illuflravit Ambrofius
M. Amelli, monachus Archicoenobii Montis Cafini.
Montecaffino, 1901. (XXIV, 23 S. gr. 8.)

Der verdiente Forfcher Amelli, der die Manufcripte
Monte Caffino's fleifsig durchfucht, ob nicht in ihnen verloren
geglaubte patriftifche Schriften enthalten find, hat
einen bisher unbekannten Tractat gegen Origenes über
die Seraphim herausgegeben. Amelli glaubt in ihm eine
Arbeit des Plieronymus wieder erkennen zu können, die
Discrepanz des Sprachgebrauchs beider Schriftfleller. i diefer im Jefaiacommentar erwähnt, während der Referent

Die nicht zu leugnenden literarifchen Beziehungen zu j diefe Stelle auf den Brief 18 an Damafus de Seraphim
dem Apokalypfencommentar Victorin's erklärt er daraus, [ et calculo bezogen hatte (f. Hieronymus S. 55). Amelli
dafs beide als gemeinfame Quelle den verlorenen Com- publicirt den anonymen Tractat aus dem Codex Cafm.
mentar Hippolyts zur Apokalypfe benutzt haben. Zum N. 342, der aus dem 12. Jahrhundert (lammt und den An-
Schlufs begründet er feine eigene Hypothefe, nach der fang des Tractates enthält, und aus dem Codex Cafin.

Commodian, der Dichter der Instructionen und desApolo-
geticum, auch der Verfaffer des Gedichtes Adversus Marcionem
ift. Die Anfchauungen über die Kirche und kirchliche
Einrichtungen find diefelben, dieCongruenz der reli-
giöfen und theologifchen Gedankenkreife befonders der
efchatologifchen Vorstellungen ift frappirend, fie haben
denfelben Kanon der heiligen Schriften und benutzen
diefelbe profane und kirchliche Literatur. Sie fchreiben
denfelben Stil und haben einen ähnlichen Wortfehatz.

N. 345, der aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts stammt
und den Tractat mit Ausnahme einiger Sätze im Anfang
vollständig enthält. Die Vorlage des letzteren Codex war,
wie fich aus Fehlern deutlich zeigt, ein Uncialcodex. Für
Hieronymianifchen Urfprung fprechen die Latinität, die
exegetifcheMethode, der benutzte Bibeltext, die Ablehnung
der origeniftifche Deutung der beiden Seraphim auf Christus
und den heiligen Geist. Aber auch merkwürdige Wider-
fprüche finden fich zwifchen dem anonymen Tractate und

Beide Dichter, fo verfchieden auch fönst die poetifche der Epistel 18 an Damafus. Während es im erfleren

F"orm ihrer Gedichte ift, zeigen diefelbe Kenntnifs aber heifst: zu Lebzeiten des Ufia fah Jefaia feine Vifion, fagt

auch die gleiche Geringfehätzung der profodifchen Regeln. Hieronymus im Briefe 18: zu Lebzeiten des ausfätzigen

Auch die äufseren Lebensverhältnifse paffen zu dem Ge- I Königs Ufia konnte Jefaia die Vifion nicht haben. Im

fammtbild. — Die Schrift von Waitz zeugt von einer Briefe 18 fchliefst fich Hieronymus an die allegorifche

ficheren Methode, Anlage und Aufbau find klar und
durchfichtig. Die Refultate der Arbeitüber Zeit und Ort der
Abfaffung Rheinen mir abfchliefsend zu fein. Die Nachweife
über die von dem Anonymus benutzten Quellen
haben viel Einleuchtendes, wenn auch manches hypo-
thetifch bleibt, weil wir die poftulirten Quellen nicht
mehr befitzen. Dafs der pannonifche Bifchof Victorin
von Pettau nicht der Verfaffer ift, fcheint mir ebenfalls
erwiefen zu fein. Aber ift Commodian wirklich der Verfaffer
? Waitz hat feine Hypothefe zu einem hohen Grade
von Wahrfcheinlichkeit zu erheben gewufst, wenn auch
nicht alle Zweifel gehoben find. Die Congruenz der
theologifchen Gedankenkreife ift keine völlige. In der
Chriftologie nähert fich Commodian mehr dem moda-
liftifchen Monarchianismus, während bei dem Anonymus
die Logoschriftologie stärker hervortritt. Der Anonymus
giebt fich die Mühe, die Quantität in feinen Verfen zu
beachten, während Commodian fie ganz vernachläffigt.
Eigentlich ausfchlaggebend für die Flntfcheidung der Frage

Deutung des Origenes an, die er der Genefisftelle giebt:
Solange Pharao lebte, feufzte des Volk Ifrael nicht auf
zum Herrn, als er gestorben war, feufzten die Kinder Ifraels
auf; in dem anonymen Tractat lehnt der Autor diefe Auslegung
ausdrücklich ab. Im Briefe 18 vertritt Hieronymus
die Meinung des Origenes, dafs die Seraphim mit ihren
Flügeln das Angefleht Gottes und nicht ihr eigenes bedecken
, während in dem anonymen Tractate die entgegengefetzte
Meinung begründet wird. Amelli glaubt, diefe
Widerfprüche damit erklären zu können, dafs Hieronymus
den neu aufgefundenen Tractat felbft als brevis et subitus,
ut experimentum caperet ingenioli amicis iubentibus bezeichnet
habe, während der Brief an den Papft eine
gründlichere und fpätere Arbeit des Hieronymus fei.
Ferner hat Amelli auf Berührungen des Tractates mit
dem von Hieronymus 402 aus dem Griechifchen überfetzten
Briefe des Theophilus von Alexandria gegen Origenes
aufmerkfam gemacht. Er ift der Anficht, dafs
Theophilus diefen Tractat des Hieronymus bei der Abwird
aber nicht der theologifche und kirchliche Ge- j faffung feines Ofterbriefes benutzt habe, eine Beobachtung,
dankenkreis — das Gedicht könnte ja von einem gleich- die wenn fie zu Recht beftände, für die Gefchichte des

zeitigen und ähnlich denkenden Verfaffer Mammen —
fondern der Stil und Sprachgebrauch fein. Hier fpricht
viel zu GunMen der Hypothefe von Waitz, obwohl noch
immer die Möglichkeit offen bleibt, dafs der Anonymus
mit Commodian nicht identifch zu fein braucht, fondern, ein

Origenismus im Orient von Bedeutung wäre. Aus den
Gräcismen des Tractates, den griechifchen Namensformen
Mosy — Mmvorj und Cherubin und Seraphin = Cherubim
und Seraphim, aus dem Gebrauche des Genitiv in Verbindung
mit plenus, aus der ConMruction maior blasphemat

Africaner wie diefer iM, welcher wenig fpäter als er in j für magis blasphemat, glaubt Amelli für den anonymen
Marker Abhängigkeit von ihm gefchrieben hat. Auf Ein- j Tractat auf urfprüngliche griechifche Abfaffung fchliefsen

zelheiten einzugehen verbietet der Raum, der für die
Anzeige zu Gebote Meht. Nur möchte ich noch bemerken
, es iM mir fehr unwahrfcheinlich, dafs, wie Waitz
(S. 135) annimmt, Commodian und der Anonymus noch
keine lateinifche Bibelüberfetzung benutzt, fondern felb-
Mändig aus dem Griechifchen überfetzt haben follen, weil
fich bei ihnen Marke Abweichungen in den Bibelcitaten

zu dürfen. Der Tractat iM nach ihm 381 in ConMantinopel
bei Gregor von Nazianz von Hieronymus ziemlich flüchtig
griechifch niedergefchrieben worden. Als Hieronymus
dann nach Rom kam, habe er die Vifion des Jefaia für
Damafus {ep. 18) zum zweiten Male erklärt, indem er überlegter
zu Werke ging, fich ruhiger mit Origenes auseinanderfetzte
und bei der erMen Auslegung verworfene Meinungen