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Ausgabe:

1901 Nr. 18

Spalte:

491-493

Autor/Hrsg.:

Harris, J. Rendel

Titel/Untertitel:

Further researches into the history of the Ferrar-Group 1901

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 18.

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für den Matthaeus ift das Zeugnifs des Chr. befonders zu-
verläffig, weil wir hier im Commentar desfelben den fortlaufenden
Text diefes Kirchenvaters befitzen. Um den
Text des Chryfoftomus ift es freilich, wie die Dinge liegen,
nicht zum bellen beftellt. Doch hat Matthaei in feiner
grofsen Ausgabe des neuen Teftaments den Bibeltext von
23 Chryfoftomushandfchriften für Matthaeus und Johannes
verglichen. Ich habe nur Stichproben machen können.
Doch will ich meine Beobachtungen notiren. Cronin
bringt in der genannten Unterfuchung p. L sq. 36 Stellen,
an denen iV und 2 nur mit wenigen Zeugen eine eigentümliche
Lesart übereinftimmend bietet. Von diefen
36 Lesarten find 13 Lesarten auch bei Chryfoflomus oder
Handfchriften des Chryfoftomus nachweisbar. (Cronin
bietet nicht das gefammte Material Matthaeis Das
bedeutet aber: Chryfoftomus fteht N und 2 näher als
irgend ein anderer derjenigen Zeugen, die des öfteren mit
N und 2 zufammengehen. — Mindeftens würde es fich
alfo lohnen, das Verhältnifs des Chryfoftomus zu 2NNh
{<P) näher zu unterfuchen. Vielleicht würde fich von hier
aus auch manches für die Ueberlieferung feines Textes
ergeben.1)

Damit find wir noch nicht am Ende der Auffchlüffe,
die unfre intereffante Gruppe uns über die neuteftament-
liche Textgefchichte zu geben verfpricht. Es läfst fich
nämlich ferner eine nicht wegzuläugnende Verwandtfchaft
unferer Gruppe mit der fogenannten Ferrargruppe nachweisen
. Bereits Gebhardt hat diefe Verwandfchaft hervorgehoben
(XLIV XLVIIf). Leider hat Cronin bei feinen
werthvollen Zufammenftellungen auf diefe Gruppe fein
Augenmerk weniger gerichtet und hat deshalb hier
nicht genügendes Material beigebracht. Unter den 84
Stellen aus Mt. und Mc, die Cronin L—LH als befonders
charakteriftifch zufammengeftellt hat, laffen fich 30—36
Lesarten als Eigentümlichkeiten der Ferrargruppe refp.
einzelner Handlchriften derfelben nachweifen; d. h. die
Ferrargruppe zeigt fich procentualiter etwa in demfelben
Grade verwandt, wie oben Chryfoftomus. In den weiteren
84 Stellen, mit welchen Cronin LXff. die Verwandtfchaft
von iV mit den älteren Texten (BsCLT) im Luk. und
Joh. nachzuweifen fucht, find 23 Uebereinftimmungen mit
der Ferrargruppe nachweisbar. Die Heimath der Ferrargruppe
ift Süditalien: Calabrien und Sicilien. Die Beziehungen
zwifchen Byzanz und diefen Gegenden find
durch gemeinfame Gefchichte gegeben. Der Codex Ros-
sanensis, jetzt in Calabrien, flammt wahrfcheinlich aus
Byzanz. Es ift möglich, dafs die Grundlage der Ferrar-
Gruppe ein natürlich im Vergleich mit Chryfoftomus und
2NNb früherei byzantinifcher Text fein könnte, der fich
dann felbftändig weiter gebildet hätte. — Für den Text
felbft hat die Gruppe 2NNh geringen Werth, aber es fcheint,
als wenn fie imftande wäre, wichtige Auffchlüffe für die
Textgefchichte zu geben.

Göttingen. Bouffet.

Harris, J. Rendel, M. A., Further researches into the
history of the Ferrar-Group. London, C. J. Clay and
Sons, 1900. (III, 78 S. gr. 4 m. 8 Taf.)

In der vorliegenden Arbeit nimmt der Verfaffer ein
textkritifches Problem wieder auf, an dem er fich fchon
mehrfach verfucht hat, und es gelingt ihm, feine Löfung
wiederum um ein gutes Stück zu fördern. Das Problem
bietet dem Textkritiker eine Minuskelgruppe der Evan-
gelienhandfchriften, die man feit längerer Zeit unter dem
Namen Ferrar-Gruppe zufammenfafst. Im erften Abfchnitt
feiner Schrift fafst der Verfaffer die Ergebnifse der text-
kritifchen Forfchung, foweit fie fich mit diefen Minuskeln
befchäftigten, zufammen. Wir befitzen jetzt bereits eine
ziemlich lange Lifte von Minuskeln, welche die Eigen-

i) Ich erwähne noch, dafs die Minuskeln 237. 238 (Collationen von
Matthäi) Verwandfchaft mit unferer Gruppe zeigen.

I thümlichkeiten unferer Gruppe (vor allem die Verletzung
| der Penkope von der Ehebrecherin hinter Lukas 21 b»,
die Verletzung von Luk. 2243—44 hinter Mt. 26311, die
Lesart m [ivrjöxev&elOa otaQd-tvoq MaQictu eyivvrjöev Tv
j xov Xeyöpevov yv) — zeigen. Nachdem durch Ferrars
hier bahnbrechende Unterfuchungen und Collationen die
Minuskeln 13. 69. 124. 346 als Glieder unferer Familie
erwiefen find, ift durch Scrivener's Adversaria critica
sacra auch die Zugehörigkeit von Min. 543 zur Evidenz
i erhoben. Nach Gregory's Bemerkungen in den Prolego-
| mena ift auch wohl Min. 788, und nach Lakes Unter-
1 fuchungen {Journal of 'lheological Sludies L 117—120)
• find ficher Min. 826. 828 hierherzuziehen, fo dafs fich
die Zahl der Glieder diefer Gruppe auf acht erhöht. Ein
wichtiger Fortfehritt in der Erforfchung unferer Gruppe
vollzog fich weiter dadurch, dafs Martin als die Heimath
derfelben — namentlich durch Unterfuchung der in den
Menologien von 13 und 346 genannten Heiligen — Süditalien
, genauer Sicilien oder Calabrien nachwies.

Hier fetzt nun die neue Arbeit von Harris ein. In
den beiden erften Capiteln unterfucht er von neuem die
in Min. 13. 346. erwä'hnten Heiligen und kommt zu dem
Schlufs, dafs deren Namen mit überwiegender Wahr-
fcheinlichkeit auf Syracus weifen. Im dritten Abfchnitt
nimmt H. feine eigene Unterfuchung über den Leicefter-
Codex 69 wieder auf. Schon in feiner erften Abhandlung
hatte er norditalienifche Herkunft diefes Codex
| vermuthet. Mittlerweile ift es H. gelungen, einige Hand-
j fchriften, die offenbar aus derfelben Feder wie jene
I flammen, nachzuweifen. Von einer derfelben, einer Plato-
J Handfchrift in der Bibliothek zu Durham, läfst fich nun
i mit Hilfe eines Wafferzeichens die Herkunft aus Norditalien
, eventuell Venedig beweifen. So wird von neuem
die Vermuthung einer italienifchen Herkunft des cod. 69
beftätigt und zur Evidenz gebracht.

Durch die Zuthaten, welche der Text der Handfchrift
69 bietet — es kommen namentlich eine Abhandlung
über die Patriarchate und über die ,Climata' Africas
in Betracht ■— erweift fich nun diefe Handfchrift als
eng verwandt mit den zur Gruppe gehörigen Handfchriften
Codex 346 (Mailand) 543 und der griechifch-
arabifchen Evangelienhandfchrift 211 (Venedig). H. geht
deshalb an eine Unterfuchung diefer Stücke. Es gelingt
ihm der überzeugende Nachweis, dafs die Abhandlung
von den Climata arabifchen Urfprungs fei. Direct arabi-
fche Namen haben fich in ihr erhalten. Die Abhandlung
über die Patriarchate findet man auch ausführlicher als
Werk des Nilus Doxapatrius (Migne Patr. Gr. CXXXII),
der fein Werk dem König Roger II. von Sicilien widmete.
Aus alledem läfst fich der Schlufs ziehen, dafs der gemeinfame
Archetypus von 69. 346. 543. (211) im zwölften
Jahrhundert in Sicilien entftand und die griechifch-arabi-
fche Cultur am Hofe der ficilianifchen Könige vorausfetzt.
Nach weiteren Unterfuchungen über den räthfelhaften
Doxapatrius — in diefem Abfchnitt ift befonders der
Nachweis des Zufammenhanges diefes Namens mit der
erythräifchen Sibylle des Mittelalters intereffant und ein
Fingerzeig für deren Erklärung — greift Harris nunmehr
auf feine Abhandlung: On the origin of the Ferrar-group
zurück. Er hatte damals auf die feltfame doppelte Reihenzählung
nach qrpaxa und oxiyoi als eine Eigentümlichkeit
unferer Gruppe aufmerkfam gemacht und darin einen
directen fyrifchen Einflufs gefehen, indem er die Bezeichnung
hrpiaxu als Ueberfetzung des fyrifchen Terminus
,Pitgame' verftand. Jetzt lichtet fich diefes Räthfel. Es
liegt in diefer Rechnung nach Q~uaxa wahrfcheinlich
nicht direct fyrifcher, fondern ein durch das Arabifche
vermittelter fyrifcher Einflufs vor. _ Damit fallen allerdings
alle Folgerungen, die H. aus jener Thatfache einft
für den Urfprung des Textes der Ferrar-Gruppe gezogen
hatte. Es ift fehr wohl möglich, dafs jene Zählung nach
nr/ftaxa erft im Mittelalter unter arabifchem Einflufs in
die Handfchriften unferer Gruppe eingedrungen ift, deren