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Ausgabe:

1901

Spalte:

465-469

Autor/Hrsg.:

Kraetzschmar, Richard

Titel/Untertitel:

Das Buch Ezechiel übersetzt und erklärt 1901

Rezensent:

Steuernagel, Carl

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

NE- 17. 17. Auguft 1901. 26. Jahrgang.

KraeUfchmar, Das Buch Ezechiel (Steuernagel
).

Weber, Die AbfafTung des Galaterbriefes vor
dem Apoftelkonzil (Jülicher).

Weber, Der heilige Paulus vom Apoftelüber-
einkommen, GaL 2, I—10, bis zum Apoftelkonzil
(Derf.).

Bifchoff, Kritifche Gefchichte der Talmud-
Ueberfetzungen aller Zeiten und Zungen
(Kahan).

Der Dialog des Adamantius neQi rz/c etc
d-söv <5p5-z/c niarsux;, herausg. von van de
Sande Bakhuyzen (Koetfchau).

Ferotin, Apringius de Beja, son commentaire

de l'apocalypse, public- pour la premiere fois
(Bousset).

Hahn, Tyconius-Studien (Bouffet).

Schulze, Meditatio futurae vitae, ihr Begriff
und ihre herrfchende Stellung im Syftem Calvins
(Lobftein).

Warmuth, Das religiös-ethifche Ideal Pafcals
(Lobftein).

Kraetzschmar. Priv.-Doc. Lic. Dr. Richard, Das Buch
Ezechiel übersetzt und erklärt. (Handkommentar zum
Alten Teflament, herausgegeben von Nowack, III, 3,1.)
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1900. (XVI,
302 S. gr. 8.) M. 6.—

,Wenn irgend ein Buch des AT den Stempel der
Authentie an der Stirne trägt und uns noch in der
Geftalt vorliegt, in welcher es aus der Hand feines Ver-

faffers hervorging, fo ift es das Buch Ezechiel..... Bei

einem folchen Buche kann es fich nur um Anerkennung
oder Verwerfung im Ganzen handeln', fo lautete das
Urtheil Cornills in der 3. und 4. Aufl. feiner Einleitung
(S. 176) und faft aller, die fich über das Buch Ezechiel
geäufsert haben. Faft allgemein nahm man an, ,dafs
Ezechiel fein Buch im 25. Jahre [der Exilirung Jojachins]
als Ganzes niedergefchrieben und ausgearbeitet hat, aber
dazu fich früherer und z. Th. viel früherer Aufzeichnungen
bediente.die erwefentlich unverändert liefs'(Cornill a.a.O.
S. 177). An diefer Anficht hielt auch Bertholet in feinem
1897 erfchienenen Commentar noch feft, obwohl er, wie
theilweife auch andere, das Vorhandenfein von Dubletten
und Paralleltexten erkannte, welche den Gedanken nahe
legten, dafs unfer Ezechielbuch eine Zufammenarbeitung
zweier verfchiedener Recenfionen fei (cf. Bertholet zu
7,1—9). Hier hat nun Kr. erftlich die Beobachtung von
Dubletten und Paralleltexten viel weiter ausgedehnt,
zweitens aber daraus die Confequenz gezogen, dafs das
Buch Ezechiel das Werk eines Redactors fei, der zwei
verfchiedene Textgeftalten, eine ausführlichere, in der
Ezechiel felbft das Wort führt, und eine kürzere, in der
von ihm in der 3. Perfon die Rede ift, und die einen
Auszug aus der erfteren darftellt, zufammenfchmolz. Die
auffallendften Dubletten finden fich nach Kr. in 1,1—8.
13 f. 2,3—7 ( 3,4—9) 4,9—17 5,5—17 6,1—14 7,1—9 8,7 f. 9,5—7

10, 1. 8—17 ( Cap. I.) 12,21-28. 16, 6 ff. 20 f. 17,8-10. 16—20.

18, 21-29. 23, 18 f. 22-30. 40—44. 24, 22-27. 25,8—7. 20, 2—14.

19—21. 30, 22 — 26. 35 , 3—11. 14 f. 38—39. 43,19—27. 45 , 22-23.

Vergleicht man die von Kr. angegebenen Dubletten mit
einander, fo wird man allerdings in vielen Fällen anerkennen
muffen, dafs fie fich am leichterten als Parallel-
recenfionen eines und desfelben Textes begreifen laffen. In
anderen Fällen aber ift derUnterfchied zwifchen ihnen doch
ein fo grofser, dafs die eine nicht lediglich als verkürzter
Auszug aus der anderen, fondern nur als felbftändige Bearbeitung
des gleichen oder gar nur eines verwandten
Themas betrachtet werden kann. Ich nenne als Beifpiele
der erfteren Art 2,3—7. 3,4—9. 4,9—17. 7,1—9, als folche
der letzteren 6,1—14. 17,16—20. 25,3—7. 26,1—6. 19—21 [b—14.
38—39- Hier fcheint mir die Annahme Kr.'s einer Modi-
fication zu bedürfen. Sollte in den Fällen der letzteren
Art nicht beffer anzunehmen fein, dafs Ezechiel fich
über ein Thema öfters geäufsert hat, das eine Mal in

diefer, das andere Mal in jener Form, und dafs der Re-
dactor folche verfchiedenartigen Aeufserungen zufammen-
geftellt und mit einander verflochten hat, um fie fich gegenteilig
ergänzen zu laffen? Aber felbft in diefem Falle
fcheint mir die Folgerung gezogen werden zu müffen,
dafs nicht Ezechiel felbft das Buch in der vorliegenden
Form uno tenore niedergefchrieben hat, fondern dafs die
Zufammenftellung einem von ihm zu unterfcheidenden
Redactor zu verdanken ift. Denn Ezechiel felbft würde
kaum verfchiedene Ausführungen eines Themas, die in
Einzelheiten differiren, in der Weife verfchmolzen haben,
dafs die Klarheit darunter litte. Mit Recht macht Kr.
für feine Behauptung, dafs der Sammler oder Redactor
des Buches von Ezechiel zu unterfcheiden fei, ferner
auch das geltend, dafs die Erzählung in 3,15. 10,7 jäh
abbricht, die Berufungsvifion durch 3,16b—21 erweitert,
die Ordnung in Cap. 4 f. 44—46 eine mangelhafte und
die Einfchiebung von II, 1—13 und 14—21 in das Tempel-
gefieht unmotivirt ift etc. etc. In der That wird man nach
Kr.'s Ausführungen das Buch Ezechiel nicht länger von
der Hand des Propheten felbft herleiten dürfen.

Dann aber erheben fich, wie bei jedem anderen
Prophetenbuch, fo auch bei dem Buche Ezechiel die
Fragen, ob der Redactor (oder vielleicht die Redactoren?)
durchgängig ezechielifche Stücke verwerthet hat, ob er
diefelben unverändert gelaffen oder mehr oder weniger
durchgreifend bearbeitet hat, und nach welchem Princip
er die einzelnen Stücke angeordnet hat.

Bezüglich der Echtheitsfrage urtheilt Kr., dafs nur
3,i6b—21 ein unechtes Stück vorliege. Diefer Abfchnitt
ift vom Redactor verfafst in Anlehnung an Cap. 33
(3» 17—19 = 33,7—9, und auch v. 20f. haben in Cap. 33
wenigftens ihre Grundlage). Dagegen lehnt Kr. es ausdrücklich
ab, dafs 27,9 b—24 als Interpolation betrachtet
werde, wie Bertholet annahm. Vielleicht wird weitere
kritifche Unterfuchung hier zu weniger pofitiven Ergeb-
nifsen führen; doch geftehe ich, dafs ich vorläufig keinen
Zweifel daran hege, dafs Kr.'s Urtheil wohl berechtigt ift.

Bezüglich der Frage, ob der Redactor nicht hier
und da ftärker eingegriffen habe (abgefehen von der Einarbeitung
der Dubletten und von der Anordnung), urtheilt
Kr. ziemlich confervativ. Zwar fcheidet er eine grofse
Zahl kleiner Zufätze von fremder Hand aus; doch find
das faft nur Zufätze, die den Inhalt wefentlich unverändert
laffen, alfo mehr der Textgefchichte, als der Re-
daction angehören. Nachträgliche fachliche Aenderungen
conftatirt Kr. nur in fehr feltenen Fällen. So urtheilt er
z. B. mit Cornill, dafs die Textverderbnifs in Cap.40—43
zum gröfsten Theil dem Beftreben entfprungen fei, die
Widerfprüche zwifchen dem Tempel Ezechiels und Seru-
babels zu vertufchen; auch in 45,21 meint er, die Zahl 14
fei zur Ausgleichung mit P an die Stelle einer urfprüng-
lichen 15 gefetzt. Doch auch das gehört der Textbear-

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