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Ausgabe:

1901

Spalte:

441-445

Autor/Hrsg.:

Flemming, Joh.

Titel/Untertitel:

Das Buch Henoch 1901

Rezensent:

Beer, Georg

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hiirrichs'fche Buchhandlung. jährlich 18 Mark.

NE: 16. 3. Auguft 1901. 26. Jahrgang.

Das Buch Henoch, herausg. von Flemming

und Radermacher (Beer).
W e n d t, Das Johannesevangelium (Baldenfperger).
Fürftenau, Johann von Wiclifs Lehren von der

Einteilung der Kirche und von der Stellung

der weltlichen Gewalt (Deutfch).

Delacroix, Essai sur le mysticisme speculatif ! Schriften des Vereins für fchleswig-holfteinifche
en Allemagne au quatorzieme siecle (Deutfch). , Kirchengefchichte II, 4—5 (Cohrs).

Kügelgen, Luthers Auffaffung von der Gottheit
Chrifti (Lobftein).

Kemke, Patricius Junius (Benrath).

Schräder, Die Lehre von der Apokataftafis
(Lobftein).

Hoensbroech, Der Ultramontanismus, 2. Aufl.
(Benrath).

unferer Zeit. Kautzfch'ens Apokryphen- und Pfeudepi-
graphenbibel kommt vor allem dem Bedürfnifs des Neu-
teftamentlers nach Kenntnifs der Texte der Uebergangs-
literatur vom alten zum neuen Teftament entgegen.
Addirt man diefe fehr erfreuliche Thatfache zu der
anderen jetzt gefchaffenen, dafs man diefe Literatur
auch vom Standpuncte des Kirchenhiftorikers kennen
(III 172 S^cr r sV ' M rj IO I zu lernen wünfcht, fo können wir uns als Altteftamentler,

^ ■ 7 ■ Sr- ■) ■ 50 i <ja uns jenes Material zunächfl am meiften anging, nur

Das für den erften Augenblick Befremdende, dafs beglückwünfchen, dafs jetzt ein Gebiet cultivirt wird,
ein urfprünglich aus femitifchem Geift und Griffel gebore- 1 auf dem fich Altteftamentler, Neuteftamentler und Kirchen-
nes Werk in die Reihe der griechifchen chrifllichen Schrift- hiftoriker die Hände reichen wollen — vielleicht fchlägt

Das Buch Henoch. Herausgegeben im Auftrage der Kirchen-
väter-Commiffion der KöniglichPreufsifchen Akademie
der Wiffenfchaften von Bibl. Dr. Joh. Flemming und
Priv.-Doc. Dr. L. Radermacher. (Die griechifchen
chriftlichen Schriftfteller der erften drei Jahrhunderte.
Band 5.) Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchh., 1901

fteller der erften drei Jahrhunderte aufgenommen ift, wird
von dem Hauptherausgeber Flemming damit gerechtfertigt
, dafs der vorwiegend apokalyptifche Gedankenkreis
des Buches Henoch auf die gleichzeitige und unmittelbar
folgende jüdifche und urchriftliche Literatur fowie auf die
älteren griechifchen und lateinifchenKirchenväter derart ein-

auch allmählich der Dogmatiker mit ein, indem er über-
drüffig der vertrockneten Kategorien feines Faches nach
dem Jungbrunnen der Religionsgefchichte und -Wiffen-
fchaft, und damit nach neuem religiöfen Leben verlangt
zu Nutz nnd Segen unferer Kirche!

Als Bearbeiter des Henoch in Kautzfch'ens

gewirkt hat, dafs feine Kenntnifs die Bedeutung einer Ein- eben genanntem Bibelwerk begrüfse ich die Leiftung der
leitung in das Studium der Geburtszeit der Kirche ge- ! beiden Bonner Gelehrten mit ganz befonderer Freude,
winnt. Sind doch in der That die Grenzlinien zwifchen j Ich brauche in dem Werke keinen Concurrenzler zu
der Bildung der Synagoge und der Kirche fliefsend. Wer fürchten, der dem meinigen den Rang ablaufen will,
die ältefle Kirchengefchichte betreibt, mufs mit dem ; obwohl mich das von Flemming und Radermacher
einen Fufs in der abfterbenden orientalifchen, mit dem ' (S. 12 und 13) meiner Arbeit gefpendete Lob etwas
anderen in der erwachenden occidentalifchen Welt flehen, drückt, da ich mir bewufst bin, auf der Vorarbeit der
Zu diefer Pflicht vermag die Eingliederung Henochs, i Dillmann und Charles zu flehen, namentlich meine
eines der in der alten Kirche bekannteften Bücher, in Ueberfetzung mit der versio prineeps Dillmann's nicht
die patriflifche Literatur in hervorragendftem Maafse zu gemeffen werden kann. Es handelte fleh wie bei Char-
ermahnen. Auf jeden Fall kann uns Altteftamentlern ' les und mir, fo auch jetzt bei Flemming und Rader-
der mit dem Buche Henoch gemachte glückliche An- | macher im Wefentlichen nur um Verbefferungen und
fang einer Verbindung der altteftamentlichen pfeudepi- Nachträge zu der von Dillmann gekitteten Haupt-

graphifchen Schriften mit den eigentlichen kirchen
hiflorifchen Stoffen nur willkommen fein. Denn wir gewinnen
fo die Ueberzeugung, dafs wir mit unferem altteftamentlichen
Intereffenkreis nicht mehr ifolirt innerhalb
der theologifchen Facultäten flehen und höchftens

arbeit. Da ich mit meinen neuen Parallelgängern auf
gleichen wiffenfehaftlichen Grundlagen baue, kommen
wir auch zu ziemlich gleichen Refultaten. Der Neuteftamentler
oder der Kirchenhiftoriker wird nicht viel
beffer oder fchlechter über den Henoch orientirt werden,

bei Prüfungen durch die armen Verfuchsobjecte, vulgo 1 wenn er zu meiner oder der neuen Ueberfetzung greift.
Examenscandidaten genannt, daran erinnert werden, | Natürlich hat der Nachfolger vor dem Vorgänger immer
dafs das altteftamentliche Studium mit in den Bereich den Vortheil, dafs er manche Fehler vermeiden kann,
der theologifchen Disciplinen gehört. Denn auf die 1 befonders wenn ihm befferes Handfchriftenmaterial zuDauer
wird es durch die gefteigerten Fachftudien gerade : gänglich ift. In diefer Lage gegenüber Dillmann be-
dem Altteftamentler immer fchwieriger, falls er nicht , fanden fleh Charles und ich, und jetzt Flemming,
das Talent eines Sonntagsreiters auf Nachbargebiet be- ! der Ueberfetzer des äthiopifchen Textes, gegenüber
fitzt, fich genauer umzufehen, was hinter den Pfählen 1 Charles und mir. Kommt es einmal zu einer neuen
feiner Sonderwiffenfchaft eigentlich los ift. Dadurch, Auflage der Kautzfch'fchen Apokryphen- und Pfeud-
dafs die Schriften aus der Zeit der grofsen Religions- epigraphenbibel, fo werde ich meinen Dank für das von
wende auch in die Intereffen der Kirchenhiftoriker ge- Flemming und Radermacher Gebotene damit quit-
zogen werden, wird das Einheitsband zwifchen dem tiren, dass ich ihre Arbeit auch gehörig ausfchlachte,
Alterthum und der Neuzeit ftraffer gefpannt, fo dafs wie fie das mit meiner, bezw. mit der Dillmann's
allmählich, unbefchadet des Betriebes der fo dringend j und Charles' gethan haben!

nöthigen Kleinftudien, die treibenden Kräfte der Reli- j Die beiden Bonner Gelehrten haben fich in die
gionsentwickelung wieder mehr in den Vordergrund i Herausgabe des Henoch fo getheilt, dafs Fl., wie bereits
treten. Die Ueberbrückung der einzelnen theologifchen gefagt, den äthiopifchen Text überfetzte und Rd. die
Disciplinen durch Bearbeitung der Grenzgebiete liegt in ! bekannten griechifchen Henoch-Fragmente von Gizeh

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