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Ausgabe:

1901 Nr. 15

Spalte:

429-431

Autor/Hrsg.:

Lezius, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Toleranzbegriff Lockes und Pufendorfs.(Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche. Sechster Band. Heft 1.) 1901

Rezensent:

Foerster, Erich

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 15.

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man faftete. Sonft kennt die Chriftenheit nur als Gold-
faften die 4 Quatember. Hier wäre ein Nachweis er-
wünfcht, wie weit diefe zwölf goldenen Freitage verbreitet
find. Für die Marienverehrung ift die Predigt eines Prieflers
bezeichnend, dafs Maria diejenigen, welche Chriftus nicht
durch die Thüre ins Himmelreich eingehen läfst, durch
ein Fenfter herein läfst. Unglücklich ift die Combination
von Henricus Müller de Egenhusen mit Hieronymus de
Enchusen S. 305. Zu letzterem vgl. Kolde, Auguftiner-
kongregation S.395 und Enders, Luthers Briefwechfel 4,94,
367. Enkhuizen ift in Nordholland. Ein Fragezeichen wird
wohl zur Identification von Johannes conversus, der im
Nov. i520Venceslaus Link nach Sternberg begleitete, und
dem Prior Johann Steenwyk dafelbft 1524 zu fetzen fein.
Es dürfte doch zweifelhaft fein, ob ein Mann, der noch
1520 ein conversus war, fchon 1524 Prior fein konnte. Ein
lapsus calami ift die Angabe, dafs Herzog Auguft von
Sachfen im Fürftenkrieg feinen Vater befreien wollte.
S. 142. S. 304 dürfte clacicn abgekürzte Schreibung für
collacien = collationes fein.

Nabern. G. Boffert.

Lezius, Priv.-Doz. Lic. Friedrich, Der Toleranzbegriff
Lockes und Pufendorfs. Ein Beitrag zur Gefchichte der
Gewiffensfreiheit. (Studien zur Gefchichte der Theologie
und der Kirche, herausgegeben von N. Bonwetfch
und R. Seeberg. Sechfter Band. Heft 1.) Leipzig, Dieterich
, 1900. (115 S. gr. 8.) M. 2.50

Lezius hat uns in feiner — leider durch Schuld des
Referenten etwas verfpätet zur Anzeige gelangenden —
Abhandlung einen fchätzenswerthen Beitrag zur Gefchichte
der Gewiffensfreiheit geliefert, deffen Ergebnifse auch auf
die Entwicklung des Kirchenbegriffs unter dem Einflufs
des Naturrechts neues Licht werfen. Die Abhandlung
ift klar und verftändlich gefchrieben (nur ein ftiliftifch
böferSatz ift mir aufgefallen: S. 41: ,beide Partheien u. f. w.,
da fie vom katholifchen Staatsbegriff fich nicht vermocht
hatten, frei zu machen') und ftellt die leitenden Gedanken
Locke's und Pufendorfs ebenfo, wie die daraus fich ergebenden
Folgerungen deutlich ans Licht, weifs auch die
Eigenart beider Gedankenreihen aus der Verfchiedenheit
der kirchlichen Vorausfetzungen, unter denen fie entftanden
find, wohl zu erklären. Aber — um den Mangel der
Schrift gleich zu nennen — fie verzichtet leider darauf,
Locke's und Pufendorfs Anflehten in einen gröfseren
Zufammenhang einzuftellen, und überläfst es dem Lefer,
die Verbindungslinien zu ziehen. Durch diefe Ifolirung
erhält die Schrift den Charakter einer abgeriffenen und
unfertigen Studie. Lezius bietet uns eigentlich nur
Material.

Die Tendenz Locke's ift die Rechtfertigung noncon-
formiftifcher Freikirchenbildungen, nicht die Vertheidigung
des religiöfen Individualismus. Wie wenig er daran dachte,
zeigen feine Darlegungen über Toleranz und Intoleranz
der Kirchen, d. h. Einzelgemeinden, religiöfen Collegia.
Er erkennt den Kirchen das Recht der Mafsregelung, ja
der Excommunication folcher Glieder zu, die gegen die
Vereinsgefetze verftofsen. Er findet es durchaus correct,
dafs jede Kirche alle anderen für häretifch hält, fich gegen
fie abfchliefst und gegen fie polemifirt. Er läfst jeder religiöfen
Gruppe das Recht, fich auch um indifferenter Dinge
willen als befondere Kirchengefellfchaft zu etabliren. Intoleranz
der Kirche fleht er nur da, wo fie fich das Recht
der Jurisdiction über andere anmafst und mit weltlicher
Zwangsgewalt durchzufetzen fucht. ,Eine Kirche, welche
ihre Sonderart rüftig behauptet, das Separations- und
Excommunicationsrecht richtig handhabt, dabei aber das-
felbe Recht jeder anderen Kirchengemeinde zugefteht,
darf fich getroft rühmen, tolerant zu fein' (S. 8—18). Die
Toleranzpflicht des Staates beruht auf der allgemein
naturrechtlichen Anfchauung, dafs er nur um bürgerlicher,

irdifcher Intereffen willen da ift. Eine Aufgabe der Volkserziehung
hat der Staat auch nach Locke nicht. Deshalb
hat die Obrigkeit die Kirchen fich felbft zu überlaffen.
Staatliches Kirchenregiment ift gegen den Begriff der
Religion wie des Staates. Das normale Verhältnis ftellen
die Freikirchen im indifferenten Staate dar wie im nord-
amerikanifchen Freiftaat. Diefe Gleichgültigkeit des Staates
gegen die Kirchen wird befchränkt nur dadurch, dafs der
Staat um feiner felbft willen nicht jede Glaubensmeinung
dulden darf, z. B. die atheiftifche Untergrabung des Eides,
die Vornahme unfittlicher Cultushandlungen und vor allem
den Ultramontanismus (S. 19—30). Lezius ftellt dann weiter
(S. 31—50) dar, wie Locke diefe Sätze begründet und ver-
theidigt hat, und zeigt dabei, wie fehr feine Gedankengänge
vom englifchen Freikirchenthum beeinflufst, wie fie
überhaupt nur auf Grund der reformirten Auffaffung von
Kirche und Staat möglich gewefen find.

Wefentlich andere Intereffen beftimmen Pufendorfs
Theorie. Er vertritt die Souveränetät des abfoluten
Staates und die Freiheit des Individuums gegenüber kirchlicher
Herrfchfucht. Es ift für ihn das normale, ja eigentlich
einzig richtige Verhältnifs von Staat und Kirche, dafs
jener diefe regiert. Und zwar fehr weitgehend regiert.
P. fordert dies aber nicht um des Staates willen, fondern
um der Religion willen. Er weifs, dafs diefer die fchwerften
Gefahren von Seiten der Kirche drohen, Religion ift in
feinen Augen etwas Unkirchliches, rein Individuelles.
Toleranzpflicht des Staates ift es, das Einzelindividuum
gegen Bedrückung feiner Religion möglichft zu fchützen.
Freilich hat diefe Pflicht ihre Grenzen; P. hat nicht
die letzten Confequenzen aus feiner grundfätzlichen
Stellung gezogen. Toleranzpflicht der Kirche ift es, bei
Uebereinftimmung in den Fundamentalartikeln niemandem
die Abendmahlsgemeinfchaft zu verfagen. P. verficht von
hier aus die Union zwifchen Lutheranern und Reformirten.
Lezius bezeichnet geradezu die preufsifche Union als Er-
gebnifs feiner Theorieen. — P.'s Auffaffung ift im Grunde
lutherifch, das zeigt fich am deutlichften in feinem Staatsbegriff
; er ift weit davon entfernt, dem Staate nur weltliche
Zwecke zuzufprechen. P. ift weiter beftimmt durch
die Verhältnifse, unter denen er lebte: das eingebürgerte
Landeskirchenthum, den aufftrebenden Abfolutismus, die
Stagnation des öffentlichen Lebens, den Widerwillen gegen
die theologifchen Zänkereien.

Leider hat Lezius es unterlaffen, Locke's und Pufendorfs
Theorien einer in die Tiefe gehenden Kritik zu
unterwerfen; er befchränkt fich auf gelegentliche begleitende
Urtheile. Dabei ift er gegen Pufendorf weniger
billig, als gegen Locke. Ja er macht gegen P. einige
fehr fcharfe, m. E. unbegründete Bemerkungen (S. 80:
Juriftenhände find ja nicht fündig; S. 83: Er fah Selbft-
ftändigkeitsgelüfte der Kirche mit dem Mifstrauen eines
unfehlbaren deutfehen Juriften und Verächters der theologifchen
,Canaille' an; S. 84: Theologengezänk zu unterdrücken
, war Juriftenpflicht, Juriftengezänk aber war kein
Gezänk u. a. a. O.). Diefe haben alle den Sinn, dafs P.
keine Schätzung für kirchliche Autonomie und wenn auch
irrenden Separatismus gehabt habe. Letzteres kann man
zugeben, aber ob erftere wirklich auf dem Boden der
lutherifchen Reformation als ein Gut zu fchätzen ift,
darüber find die Acten noch nicht gefchloffen.

Die Kirchenpolitik in Deutfchland hat fich im 19. Jahrh.
von den grundlegenden Anflehten P.'s weit entfernt: die
enge Verbindung von Staat und Kirche, die der Lutheraner
P. als Vorzug pries, ift mehr und mehr gelockert
und wird, foweit fie noch befteht, als Uebel bekämpft.
Die moderne Theorie von Staat und Kirche fleht der
reformirten Anfchauung näher, als der lutherifchen. Wie
dort wird neuerdings die religiös-pädagogifche Aufgabe
des Staates geleugnet, die Kirche als felbftändiges Lebensgebiet
neben das des Staates gefetzt; das Intereffe an
Freiheit der Kirche hat das an Freiheit des Individuums zurückgedrängt
. Aus Lezius'Darfteilung folgt, dafs Rieker's