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Ausgabe:

1901 Nr. 15

Spalte:

415-421

Autor/Hrsg.:

Christ, W.

Titel/Untertitel:

Philologische Studien zu Clemens Alexandrinus 1901

Rezensent:

Koetschau, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 15.

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Thefe bewahrt, wonach fowohl in Mc 10, 45 als in den
Abendmahlsworten die Vielen, denen Jefu Tod Errettung
aus dem Verderben oder das Heil bringt, nicht Gläubige,
Jünger, Reichsgenoffen, fondern blos bisher Ungläubige
und Unbufsfertige fein können. Eigentlich widerfpricht
H. dem fchon felber, wenn er — fehr treffend — auf
Grund von Mc 10, 45 den Tod Jefu von diefem in eine
Linie mit feinem Lebenswerk geftellt findet, und zwar
beide unter dem Kennzeichen des Dienens, des beftändigen
Eintretens für feine Brüder (S. 157). Aber H.'s Vertrauen
auf die fteifen in II 2 mit Hülfe einer vermeintlichen
aramäifchen Grundlage von öovvai tyyxijv Xvxqov
avx sxoXXcöv vorgetragenen Disftinctionen ift mir überhaupt
verwunderlich: das Lebenswerk Jefu ift doch etwas
mehr als Bufspredigt gewefen, es war Verkündigung des
Evangeliums an Viele, ein Heranbringen des Himmelreichs
an Viele; foll fein Tod als die erhabenfte Be-
thätigung diefer felbftlofen Arbeit im Dienft des Gottesreichs
auf gleicher Linie mit feinem Lebenswerk liegen,
fo wird er die Sache des Himmelreichs im Intereffe
Aller, d. h. der Vielen fördern, er wird das glorreiche
Kommen des Himmelreichs befchleunigen; ich möchte
Mc 14,25 trotz des emg xrjg q/is'oag kxdvng in feinem
Zufammenhang mit v. 24 als Beleg für die Erwartung
Jefu anfehen, dafs feinem Tode die Vollendung der
ßaoiXda xov (rsov auf dem Fufse folgen wird.

Die Exegefe Hollmann's ift ein paar Mal z. B. bei
Lc 22,37 etwas unvorfichtig; mit der Verwerfung von
Mt 12, 40 macht er dagegen zu viel Umftände, und wo er
S. 58 bei Mt 17, nf. in der Vergleichung mit Mc 9, uff.
einen ,guten Griff' des Mt annimmt, follte er lieber eine
beffere Quelle für Mt poftuliren. Die Notiz 96 n. 1 über
den handfchriftlichen Befund von LXX zu Jef. 53 ift in-
correct; ein ganz allgemein zugängliches Citat aus Eufebs
Praeparatio cvangel. I 10 wird S. 126 n. 3 in wunderlicher
Form eingeführt, eine falfche>( Vorftellung erweckt es,
wenn man S. 120 lieft, dafs ,ö'y7ot, ja anag 6 Xaog' zu
Johannes kommen — als ob diefes ganze Volk Lc 3,21
mehr als die Lc 3, 7 erwähnten bei der Taufe Jefu an-
wefenden oxXoi wäre. Capricen wir die Sigla ,scl.' für
scilicet (noch dazu mitten in deutfchen Sätzen), die
Schreibung ,p. X.' ft. p. Chr. und die Fortlaffung aller
Lefezeichen bei griechifchen (und hebräifchen) Citaten,
wird der Verf. hoffentlich bald fallen laffen. In dem Re-
gifter der Abkürzungen S. VII fcheint Kühl fehr ehrenvoll
mit feinem Königsberger Collegen Rühl verwechfelt
worden zu fein, und auch Seeberg hat nicht den richtigen
Platz. Unfer Verfaffer wird fich, nach diefer Erftlings-
arbeit zu fchliefsen, unter den neuteftamentlichen For-
fchern bald einen angefehenen Platz erwerben.

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Christ, W., Philologische Studien zu Clemens Alexandrinus.

(Abhandlungen der k. bayer. Akademie der Wiff.
I. Cl. XXI. Bd. III. Abth.) München, G. Franz in
Comm., 1900. (74 S. gr. 4.) M. 3.—

Der bekannte Litterarhiftoriker hat, angeregt durch
die grundlegenden Arbeiten Eiters über die griechifchen
Gnomologien, ihre Gefchichte und ihren Urfprung (S. 3),
die Sommerferien d. Js. 1898 zum Studium des Clemens
Alex, verwendet und die Refultate feiner Forfchungen
im Februar 1899 der philof.-philolog. Claffe der k. Bayr.
Akademie vorgelegt. Er bemerkt freilich (S. 4): ,Die
dicken Bände des Clemens durchzulefen ... koftete mich
(was foll ich es leugnen ?) Ueberwindung'. Sehen wir zu,
ob trotz diefes Mangels an Intereffe der Verf. den behandelten
Schriftfteller richtig gewürdigt, feine Eigenart
zu verftehen gefucht und fein Urtheil sine ira et studio
gefällt hat.

Der erfte Theil (S. 4—14) ift überfchrieben: ,Die
Stellung des Clemens zu Wiffen und Bildung',

er foll zur allgemeinen Orientirung' dienen und wird
mit Recht als einleitender Abrifs' bezeichnet (S. 3), denn
nach Vollftändigkeit hat der Verf. hier nicht geftrebt.
Wenn er auch die ,umfaffende Gelehrfamkeit' (S. 4) und
I ,Hochfchätzung der griechifchen Bildung' (S. 6) bei
j Clemens anerkennt (vgl. auch Gr. L. G.3 S. 896;, fo betont
er doch vor Allem die .Kehrfeite des Bildes' (S. 6):
Clemens habe das Gebiet des Wiffens und Glaubens
nicht von einander abgegrenzt (S. 6), fich dadurch, dafs
er dem gefälfehten Briefe des Aristobul an König Ptole-
maios Philometor Glauben fchenkte, ,felber das Urtheil
totaler Kritiklofigkeit gefprochen' (S. 11), einzelne Stellen
der Alten geradezu kindifch ausgedeutet (S. 12), einen
fchlechten Stil gefchrieben (,feine Sprache wimmelt von
grammatifchen Fehlern' S. 13) und fein Hauptwerk, die
| Stromata, fchlecht und nachläffig disponirt (,die ganze
Anlage ift planlos und verworren', S. 13). Nach diefer
Ueberficht wird man' das Urtheil, das der Verf. felbft
(S. 3) über feine Darfteilung fällt (fie gehe ,mehr von
dem engeren Gefichtspuncte des Philologen' aus), noch
etwas mild finden. Durch eingeftreute Kraftausdrücke,
wie .Blödfinn' (S. 12), .infame Infinuation' (S. 10 A. 4),
.Unverfchämtheit' und ,Lüge' (S. 11) werden Urtheile
über Clemens und feine Vorgänger für einen billig
denkenden Lefer nicht beftätigt. Mit Chrifts gering-
fchätzigem Urtheil über die Stromata vgl. die richtige
Würdigung diefes Werkes von Fr. Overbeck (Hiftor.
Zeitfchr. XII 1882, S. 459 ff). Von einem einfeitig philo-
j logifchen Standpunkt aus kann man eben einem theo-
logifchen Werk wie den Stromata unmöglich gerecht
werden. Warum wollen wir denn auch von Clemens
mehr verlangen, als er felbft zu leiften verfpricht? Er
fagt Str. I 1 p. 322 ausdrücklich: ov yo-arpr) elg isciösi^iv
x£xexvaöU£vn t]Ö£ r jtQayfiaxeia, dXXd uot vjiofivrjuaxa
etg yfjQ-ag &TjßavQiC,£xai, Xrid-ng <p&Quaxov xxX. (vgl. auch
VI 1 p. 736. VII 18 p. 901 f.), alfo dürfen wir keine übertriebenen
Anfprüche an diefes fo offen und ehrlich
charakterifirte Werk ftellen, fondern müffen uns vielmehr
freuen, dafs in diefem fhrjöavQÖq fo viele für uns
unfehätzbare Dinge erhalten find.

In dem zweiten Theil (S. 14—39) werden ,Dichter-
citate bei Clemens Alexandrinus' behandelt. In
den einleitenden Bemerkungen hierzu (S. 14—16) hebt
der Verf. richtig hervor, dafs man fich den Clemens,
wenn er auch viele Dichtercitate aus feinen Vorlagen
herübergenommen habe, doch nicht ,allzu unfelbftändig'
vorftellen dürfe. Verfe aus Homer und Hefiod feien
,ihm jederzeit zur Hand' gewefen. Man wird fich wohl
die Zahl der dem Clemens wohlbekannten Dichter noch
gröfser denken müffen, als der Verf. meint; warum foll
Clemens z. B. den Kallimachos nicht ftudirt haben
(S. 16)? Später (S. 25) ift der Verf. auch geneigt, hierin
mehr zuzugeben. Die Unterfuchung beginnt mit Str. VI 2
über Plagiate bei griechifchen Schriftftellern (S. 16—22).
Clemens giebt dort, zum Theil aus entlegenen und wenig
bekannten Autoren, genaue Nachweife, wie die Griechen
Ausdrücke, Verfe, ganze Stücke von einander entlehnt
haben. Man wird dem Verf. darin beiftimmen, dafs
Clemens die vielen Beifpiele nicht alle felbft gefammelt,
fondern gröfstentheils aus vorhandenen Sammlungen entnommen
hat. Da diefe Sammlungen etwa unfern Handbüchern
und Lexicis vergleichbar find, fo verdient Clemens
dafür, dafs er fie für feine Zwecke benutzte, doch
nicht denfelben Vorwurf, wie die griechifchen Autoren,
die ftillfchweigend von einander entlehnten. Ferner
wiffen wir ja gar nicht, wie viel Material aufserdem
Clemens feinen, Str. I 1 p. 322 erwähnten Lehrern verdankt
; der Verf. weift felbft S. 14 A. 1 richtig darauf
hin, ,dafs wir mit Clemens fchon im Zeitalter des Nach-
fchreibens und der Kollegienhefte flehen'; vgl. hierzu
z. B. Str. VI 2 p. 747, wo Clemens ein Citat fälfehlich
dem Xenophon ftatt dem Herodot beilegt (Chrift S. 18).
Der Verf. meint nun, dafs das Capitel des Clemens ,auf