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Ausgabe:

1901 Nr. 14

Spalte:

402-403

Autor/Hrsg.:

Hahn, A.

Titel/Untertitel:

Die Kunst des kirchlichen Vortrags 1901

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 14.

402

Vorbeigehen fei bemerkt, dafs der Verfaffer wohl daran
gethan haben würde, die pofitive Entwickelung (Abfchnitt
4 und 6) voranzustellen; das Pofitive würde das geeignete
Kriterium für das Unberechtigte und Auswüchfige ge-
wefen, und ermüdende Wiederholungen (z. B. 21 und 113.
49 und 117, 50f. und 127h, 160 und 178 u. f. w.) würden
vermieden worden fein. Beklagenswerth find die that-
fächlichen Darlegungen, in denen der Verfaffer feine Vor-
lefungen in dem theologifchen Lehrkurfus in Mölln 1898
reproducirt. Hier redet nicht der Seelforger, fondern der
confeffionelle Parteimann. Der Methodismus, führt der
Verfaffer aus, ift ein fpecififch englifches Gewächs. Im
englifchenChriftenthum find reformirtes und römifch-katho-
lifches Wefen verfchmolzen; da aber beides im Grunde
dasfelbe ift (S. 3), fo ift der Methodismus, trotzdem
dafs er nur Wiederbelebung des englifchen Mifchchriften-
thums ift, fpecififch reformirt. Was fich an Auswüchfen
und Karrikaturen des Chriftenthums im Methodismus
findet bis hin zu den Harlekinaden der Heilsarmee, ift nichts
Anderes als Confequenz der reformirten Lehre. Reformirt
find auch die Gebetsheilungen der Katholiken Vignes
und Schlatter, des Lutheraners Blumhardt; reformirt,
d. h. metl.odiftifch, find die Wunderlichkeiten an L. und Th.
Harms in Hermannsburg, denn ,die reformirte Kirche kennt
keine Gnadenmittel, kein Sich-Verlaffen auf das Wort und
die Verheifsung Gottes' (S. 8. 19. 147). Zwar die Gemein-
fchaften leiten fich vom Pietismus her; aber der Pietismus
felbft ift ja reformirter Abkunft; reformirt ift das Ge-
meinfchaftsbedürfnifs und die Gemeinfchaftspflege (S. 34),
und ,wie die Evangelifation, fo ift auch das Gemeinfchafts-
wefen etwas Methodiftifches' (S. 29). Die Gemeinfchaft
will etwas Befonderes fein, ein befonderes Chriftenthum vertreten
, fie hat etwas Separatiftifches an fich (S. 43) u. f. w.
Man ftaunt in der That nicht nur über die mafslofe
Verunglimpfung der reformirten Schwefterkirche, noch
mehr über die eklatanten Widerfprüche, in denen der
Verfaffer fich bewegt. Die Gemeinfchaftspflege, die hier
als reformirtes und methodiftifches Erzeugnifs mit harten
Worten verworfen wird, ift hernach als nothwendig oder
doch berechtigt anerkannt; was S. 151 f. verkündet wird,
dafs nämlich die grofse Menge der Getauften der Erweckung
und Bekehrung bedarf, und zwar einer folchen,
die in der Regel bewufster Weife in einen beftimmten
Moment fällt, wenn fie auch nicht in allen Fällen fo plötzlich
und bewufst fein müffe, — ganz dasfelbe wird S. 6 als
fpecififch methodiftifch verworfen. In den erften Ab-
fchnitten genügen dem Verfaffer krankhafte religiöfe Er-
fcheinungen, um fie als reformirt und methodiftifch an
den Pranger zu ftellen, es genügen ihm gefunde reformirte
oder methodiftifche Lebensäufserungen, um darüber den
Stab zu brechen. Dafs eine relative Berechtigung jenen
Lebenserfcheinungen inne wohnt, dafs es fogar fehr ver-
fchiedenartige und doch durchaus gleichberechtigte
Formationen evangelifchen Chriftenthums giebt, würde
dem Verf. in Bezug auf reformirtes, felbft auf fpecififch
methodiftifches Wefen klar geworden fein, wenn er feine
Unterfuchungen biblifch orientirt und fie auf die Unter-
fchiede des paulinifchen vom johanneifchen Chriftenthum,
uffonderheit auf die paulinifchen Anfchauungen von dem
tv Xqiotcö eIvcu, von Chrift und Sünde, von der Stellung
der rt/.tioL u. f. w. ausgedehnt hätte. Die Berechtigung
der Polemik gegen die Untugenden des Conventikelwefens:
Hochmuth. Empfindlichkeit, Verachtung Anderer, ebenfo
gegen die Praxis der Reifepredigt, der ungeiftlichen Mache
und dergleichen wird vom Referenten felbftverftändlich
nicht in Frage geftellt.

Einen niederfchlagenden Eindruck macht nicht minder
der zweite Abfchnitt. Der Evangelifation wird es als
grundftürzende Verkehrtheit angerechnet, dafs fie die ent-
kirchlichten Mafien wiederzugewinnen ftrebe. ,Das lautere
reine Evangelium, d. h. das echte Chriftenthum, ift nichts
für die Maffe' (S. 72); ,fo wenig ift auf die Bekehrung
und das Seligwerden der Maffe zu hoffen, dafs felbft von

denen, die nicht ohne ein gewiffes Heilsverlangen find, nur
ein kleiner Theil feiig werden kann' (S. 67 f.). Unabläffig
wird dies Urtheil wiederholt; das Lieblingswort, das fort
und fort gegen die Evangelifation der Maffen ausgefpielt
wird, ift Mt. 7,6: Jhrfollt das Heiligthum nicht den Hunden
geben'u. f. w. Freilich Auguftin fagt: ,De nullius hominis
correctione desperet, quem paticntia Dei videt vivcre, non
ob aliud, sicut apostolus ait, nisiut adducatur adpocmtentiam
(De cat. rud. 264 ed. Krüger p. 56); doch das ift wohl
eine verfteckte reformirte Ketzerei des Kirchenvaters. Daneben
wird mit grofser Emphafe betont, dafs diefe felben
Maffen durch die Taufe wiedergeboren, aus der Obrigkeit
der Finfternis errettet, und in ein neues Leben verfetzt
find (S. 18. 44 u. ö.), und dafs der Gemeindeprediger nicht
Miffionar fei, fondern eine gläubige Gemeinde vorauszu-
fetzen habe (S. 49. 117). Die traditionelle Lehre des
Lutherthums des 17. Jahrhunderts ift dem Verfaffer ab-
folutes Kriterium; fie ift die Lehre der hl. Schrift (S. 179);
ihre bedenklichfte Schwäche: das opus opcratum der
Kindertaufe und des Abendmahls, find in feinen Augen
ihre ftärkften Bollwerke; dafs es eine römifch-katholifche
und eine reformirte Kirche giebt, ift die Sünde und Schuld
derer, die nicht zur lutherifchen Kirche zählen (S. 162);
auf S. 164 entfchuldigt fich der Verfaffer fogar, dafs er
einmal den Ausdruck ,evangelifche' Kirche gebraucht.

Zu gleicher Zeit mit Hardeland'sBuch ift in gleichem
Verlage eine Schrift von Detlev Zahn, evangelifch-
lutherifchemPaftor(inKöslin), erfchienen: ,Konventikel und
Bibelftunde. Ein Beitrag zur praktifchen Theologie' (80 S.).
Trotz mancher Differenzen in Einzelheiten ift es wahrhaft
erquickend, folch ein unbefangenes und echt evangelifches
Wort aus ftreng lutherifchem Munde zu vernehmen.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Hahn, Paft. A., Die Kunst des kirchlichen Vortrags. Eine
Anregung und Anleitung. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht, 1901. (124 S. gr. 8.) M. 2—; geb. M. 2.50

Der Verfaffer theilt feine Schrift in fieben Abfchnitte
ein. A. Allgemeines: die Kunft des Vortrags, Werth und
Nothwendigkeit eines guten kirchlichen Vortrags, der
gegenwärtige Stand der kirchlichen Vortragskunft, diePer-
fönlichkeit des geiftlichen Redners. B. Der perfönliche
Charakter des kirchlichen Vortrags: Natürlichkeit und
Ernft. C. Die beiden Hauptgefetze des kirchlichen Vortrags
: Ruhe (Sprachmittel, das Athmen, die Stimme, die
Deutlichkeit und Reinheit der Ausfprache, die Langfam-
keit) und die Bewegung (die innere Wahrheit, die Stimme
als Kunftmittel, die Art des Vortrags in feiner Wirkung auf
das Verftändnifs, die Art des Vortrags in feiner Wirkung
auf das Gefühl). D. Die Aneignung eines guten Vortrags.
E. Das Vorlefen im Gottesdienfte. F. Die Gefundheit der
Stimme. G. Die Gebärdenfprache.

Wohl kaum wird dem Verfaffer etwas aus der neueren
theologifchen, rhetorifchen und mimifchen Literatur, was
zu feinem Gegenftande in Beziehung fleht, entgangen fein.
Doch feine grofse Belefenheit drängt fich niemals auf,
noch weniger erdrückt fie fein eigenes Studium und fein
eigenes Urtheil. Wie fchon aus dem oben angeführten
Inhaltsverzeichnifs erfichtlich ift, werden alle Verhältnifse
(mit einer allerdings fehr wichtigen Ausnahme) eingehend
und mit gefundem Sinne und Verftändnifs befprochen.
So werthvoll dem Verfaffer mit vollem Recht der gute
Vortrag der geiftlichen Rede ift, fo wenig wird ihm als
folchem eine beherrfchendeStellung eingeräumt; der Verfaffer
ift davon durchdrungen, dafs dem guten Vortrag
nur eine dienende Stellung gebührt, dienend der grofsen
Sache, dem Stoff, dem Inhalt der Predigt, damit diefer
die zweckentfprechende Wirkung ausüben könne. Die
eine grofse Ausnahme, die ich angedeutet habe, befteht
darin, dafs dem liturgifchen Vortrag, der doch gewifs
zum kirchlichen Vortrag' gehört, viel zu wenig Aufmerk-
famkeit gewidmet ift. Nur in dem Abfchnitt „E: das Vor-