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Ausgabe:

1901 Nr. 14

Spalte:

391-393

Autor/Hrsg.:

Tschackert, Paul

Titel/Untertitel:

Antonius Corvinus leben und Schriften 1901

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 14.

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Tschackert, Prof. D. Dr. Paul, Antonius Corvinus Leben und
Schriften. Hannover, Hahn, igoo.(Vll, 237S. gr.8.) M.4.50

Corvinus, des Antonius, Briefwechsel. Nebft einigen Beilagen
. Gefammelt und herausgegeben von Prof. D.
Dr. Paul Tfchackert. Hannover, Hahn, 1900. (XIV,
318 S. gr. 8.) M. 6.50

(Quellen und Darftellungen zur Gefchichte Niederfach-
fens. Herausgegeben vom hiftorifchen Verein für
Niederfachfen. 3. und 4. Band.)

Antonius Corvinus ift von der kirchengefchichtlichen
Forfchung lange vernachläffigt worden. Seit Baring 1749
fein ziemlich dürftiges ,Leben M. Antonii Corvini' herausgegeben
, hat ICO Jahre lang fich keine Publikation mit
dem Manne befchäftigt, der mindeftens jedem Hannoveraner
als Begründer der heimathlichen Landeskirche, und
der von Rechts wegen auch jedem Proteftanten als Märtyrer
des evangelifchen Glaubens in der Reformationszeit
bekannt fein müfste.

Der erfte, der den Blick wieder auf Corvinus gelenkt
hat, ift Abt D. Uhlhorn gewefen; er hat 1853 Corvinus'
,Sendbrief an alle die vom Adel, fo ihre Kinder in den
Klöftern haben' neu herausgegeben und mit einer bio-
graphifchen Einleitung verfehen. Namentlich hat er aber
durch feinen Vortrag auf der Generalverfammlung des
Vereins für Reformationsgefchichte in Hannover am
20. April 1892 (veröffentlicht als 37. Heft unter den Schriften
des Vereins für Reformationsgefchichte: Ant. Corvinus,
ein Märtyrer des ev.-luth. Bekenntniffes), den er durch
umfaffende archivalifche Forfchungen vorbereitet hatte,
Corvinus' Namen wieder zu Ehren gebracht.

Damals hatte fchon Paftor Franz in Lingen ein reichhaltiges
Material für eine Corvinus-Biographie gefammelt,
das er Uhlhorn zur Verfügung hellen konnte; er hat aber
— so viel mir bekannt — feine Arbeit bisher noch nicht
zumAbfchlufs gebracht. Dagegen haben Paftor Geifenhof
in Hamburg und Profeffor D. Tfchackert in Göttingen
der Corvinus-Forfchung fich mit Eifer angenommen. Faft
gleichzeitig brachten beide fchon 1898, unabhängig von
einander ähnliche Refultate erzielend, (erfterer in der
Zeitfchrift des hiftorifchen Vereins für Niederfachfen
1898 S. 298 ff.; letzterer in der Zeitfchrift für Kirchen-
gefchichte XIX 3. Heft) hochbedeutfame Aufklärungen
und Ergänzungen zur Jugendgefchichte des Corvinus.
Faft gleichzeitig haben fie auch neuerdings uns mit um-
fallenderen Corviniana befchenkt: Geifenhof hat eine
mit gröfster Sorgfalt gearbeitete und — fo weit das auf
den erften Wurf möglich ift — vollftändige Corvinus-
Bibliographie publizirt (Zeitfchrift der Gefellfchaft für
niederfächfifche Kirchengefchichte V [1900] S. 1 — 222),
Tfchackert hat die beiden Schriften veröffentlicht, die
uns hier nun näher zu befchäftigen haben, feine Corvinus-
Biographie und Corvinus' Briefwechfel.

Die Biographie zeigt uns Corvinus zunächft in feiner
Jugend, in feiner Lehrzeit und feiner erften amtlichen
Wirkfamkeit (1. Kapitel). Selbft der Artikel Uhlhorns
in der Real-Encyklopädie 3. Aufl. IV S. 302 ff. redet
noch über diefe Zeit faft nur in Vermuthungen; die vorhin
genannten Unterluchungen haben aber vieles aufgeklärt
, wenn auch noch manche Frage offen bleibt.
Immerhin fleht es jetzt feft, dafs Corvinus Mönch in
Loccum gewefen, von dort nach Leipzig zum Studium
entfandt und dann aus Riddagshaufen ,als lutherifcher
Bube' vertrieben worden ift. Auch find wir über feine,
erfte Thätigkeit als evangelifcher Pfarrer — namentlich
in Goslar — wenigftens einigermafsen orientirt. Wie
Corvinus als Pfarrer in Witzenhaufen trotz feiner Jugend
von feinem Landesherrn zunächft bei kirchlichen Fragen ]
des heffifchen Landes herangezogen, wie er dann von !
ihm mit wichtigen Miffionen betraut wird und an den
Rcligionsgefprächen von 1539 und 1541 ebenfo, wie an

der Reformation des Herzogtums Braunfchweig und des
Bistums Hildesheim theilnimmt, lesen wir in Kapitel 2.
Das 3. und 4. Kapitel fchildern Corvinus im Dienft der
kalenbergifchen Landeskirche auf dem Höhepunkt seines
Wirkens. Kapitel 5 behandelt fein Märtyrertum: feine
Gefangenfchaft wegen feines heldenmüthigen Widerfpruchs
gegen das Interim, feine endliche Befreiung und feinen
bald darnach erfolgten Tod (5. April 1553).

Gröfsere Ausführlichkeit hätten wir gewünfcht bei
der Schilderung der kirchlichen Vifitationen, die in Corvinus
' Leben einen fo breiten Raum einnehmen. Wohl
find die Akten diefer Vifitationen durch Kayfer (Die
reformatorifchen Kirchenvifitationen in den welfifchen
Landen 1542—1544. Göttingen 1896) in ihrem ganzen
Umfange veröffentlicht. Aber nicht allen, die Tfchackerts
Buch lefen, wird Kayfers Publikation zugänglich fein;
aufserdem wäre hier eine Stelle gewefen, jene wichtigen
Urkunden — wenigftens nach der einen oder anderen
Richtung hin — zu verarbeiten und von dem Verlauf
der für die Begründung evangelifchen Kirchenwefens fo
wichtigen Vifitationen ein auschauliches Bild zu geben.

Corvinus' Schriftftellerei, auf die bei der Darftellung
feines Lebensganges fchon immer Bezug genommen wird,
wird zufammenfaffend noch einmal in Kapitel 7 behandelt.
Trotzdem fie alfo in doppelter Weife berückfichtigt wird,
hätten wir manche Schriften doch gerne noch eingehender
zur Anfchauung gebracht gefehen. Aus der Poftille wären
wohl am beften recht charakteriftifche Stellen direkt
abgedruckt worden. Vielleicht läfst Profeffor Tfchackert
noch einen Band in den ,Quellen und Darftellungen zur
Gefchichte Niederfachfens' folgen, der uns eine Auswahl
aus den Schriften des Corvinus bringt. Auch die Flug-
fchriften, die einft bei der Reformirung Niederfachfens
keine geringe Rolle gefpielt haben, verdienten vor allem
den niederfächfifchen Lutheranern wieder nahe gebracht
zu werden. Ebenfo hätte das von Corvinus verfafste
Gefangbuch, das, wenn es fich auch nicht durchgefetzt
hat, doch das erfte Landesgefangbuch der kalenbergifchen
Kirche gewefen ift, gerne durch einige Proben charakte-
rifiert werden dürfen, zumal das grofse Sammelwerk
Wackernagels nur einen Gesang daraus mittheilt (Ph. Wak-
kernagel, Das deutfche Kirchenlied III S. 987 f.).

Das 6. und 8. Kapitel, eine Schilderung der Familien-
verhältniffe Corvins und feiner ökonomifchen Lage und
eine Schlufscharakteriftik enthaltend, find durch Mittheilung
von Einzelheiten in dankenswerther Weife illuftrirt.
Doch würde namentlich das Schlufskapitel noch bedeutend
gewonnen haben, wenn es die allgemeinen Urtheile
noch mehr durch einzelne Züge begründet und erläutert
hätte. —

Der Briefwechfel ift eine aufserordentlich werthvolle
Ergänzung der Biographie. Er macht i. g. 365 Stücke
namhaft, darunter weit über 100 bisher ungedruckte. So
weit fie wichtig find, werden die letzteren alle in extenfo
I mitgeteilt; von den fchon gedruckten nur die aus ent-
| legenen Druckwerken. Für die nicht wiedergegebenen
i Stücke bieten die fehr genauen Regelten meift genügenden
Erfatz. Hier und da hätte man freilich gerne noch
etwas mehr mitgeteilt gefehen, fo das unter Nr. 345 genannte
Verzeichnis der Bücher Corvins, das Baring aus
dem Katalog der Kirchenbibliothek St. Aegidii in Hannover
einft zufammengeftellt und in feinem ,Leben Corvini
' abgedruckt hat.

Neben dem eigentlichen Briefwechfel enthält das
Buch noch andere Materialien zur Gefchichte Corvins,
zunächft die fämtlichen Vorreden zu Corvins Schriften,
fodann mehrere Epigramme, von Eobanus Heffus, von
Lotichius u. a. und von Corvinus felbft, auch fein /Bedenken
aufs Interim gefangweife geftellt', namentlich aber
höchft wichtige Akten von der 1542 im Lippifchen durch
Corvinus abgehaltenen Kirchenvifitation: fo den Bogen
mit den an die Paftoren zu richtenden Vifitationsfragen
(Nr. 130), die Namen der lippifchen Paftoren und die