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Ausgabe:

1901 Nr. 12

Spalte:

335

Autor/Hrsg.:

Ecklin, G. Ad. Fr.

Titel/Untertitel:

Christus unser Bürge 1901

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Seite 1

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335 Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 12. 336

erklärt. Es ift hier wie auch in andern Lehrfragen, dafs
die zunächft unbefangen und unbetont feilgehaltenen
fcholaftifchen Theologumena fpäter doch felbftändige Bedeutung
gewinnen und die Durchführung der neuen Gedanken
kreuzen. Das ift fchliefslich die Gefchichte der
lutherifchen Lehre von der Reformation bis zur Orthodoxie.

Berlin. Kaftan.

Ecklin, Alt-Pfr. G. Ad. Fr., Christus unser Bürge oder Gottes
Gnade und Gerechtigkeit im Werke der Verföhnung.
Bafel, F.Reinhardt, 1900. (XX, 96 S. gr. 8.) M. 1.—

Der Verfaffer diefer Schrift hat im Jahr 1888 eine
gröfsere Studie über den ,Heilswerth des Todes Chrifti'
veröffentlicht. Mit deren Recenfenten fetzt er fich hier
in einer längeren Vorrede aus einander. Was er mit der
neuen Arbeit will, ift, durch eine kurz zufammengefafste
und ftraffer gegliederte Wiedergabe der im gröfseren Werk
vorgetragenen Gedanken fie wirkfamer machen und in
weitere Kreife tragen. Er will weder etwas zurücknehmen
noch hat er wefentlich Neues hinzuzufügen. — Die Lehre
von dem ftellvertretenden Strafleiden des Heilands verwirft
er rundweg. Sie ift biblifch nicht begründet, war
der alten Kirche fremd, ift ein Ueberbleibfel mittelalterlicher
Irrthümer, in ihrem Grundgedanken völlig unannehmbar
und practifch gefährlich. Doch dürfen deshalb die rechtlichen
Beziehungen, in denen der Tod des Heilands fleht,
nicht überhaupt verkannt, das juriftifche Element nicht einfach
ausgefchieden werden: es mufs nur eine richtigere
Faffungerhalten. Und das erreicht man, wenn man beachtet,
dafs es mit dem Tod des Heilandes vor allem auf die Erneuerung
und Heiligung der Menfchen abgefehn war. In
feinem Leiden und Sterben hat der Heilsmittler feinen vollkommenen
gottmenfchlicben Gehorfam bewährt und ift
dadurch zu einer Kraft der Heiligung für alle die geworden
, die an ihn glauben und durch den Glauben in
einen myftifchen Lebenszufammenhang mit ihm getreten
find. Nicht fowohl durch fein Vorbild (es kommt nur
nebenher in Betracht^ als durch die von ihm ausgehende
Kraft des heiligen Geiftes bewirkt er das. Und die fo an
ihn gläubig Gewordenen rechtfertigt Gott — nicht um
ihrer Leiftung willen, wohl aber weil er anfleht, was fie
durch Chrifti Kraft werden können. Chriftus ift vor Gott
der Bürge, um deffen willen er fie annimmt. Von den
Menfchen aus gefehn kommen ihre Werke gar nicht in
Betracht, weder die gegenwärtigen noch die zukünftigen.
Von Gott aus gefehn ift es die durch Chriftus bewirkte
innere Erneuerung, auf die hin Gott rechtfertigt. Das ift
die richtige Faflung des juriftifchen Elements, dies, dafs
Chriftus der Gerechtigkeit Gottes der Bürge geworden, um
deffen willen er nun die Chriftgläubigen rechtfertigen kann.

Man fpürt es den Ausführungen des Verf.s an, wie
fehr es ihm Herzensfache ift, die Erkenntnifs, die ihm als
befriedigende Löfung diefer fchwerwiegenden Probleme
vor der Seele fleht, andern mitzutheilen und in der Gemeinde
zu verbreiten. In vielen Einzelheiten behält er
auch zweifellos Recht, in kritifchen Urtheilen und pofitiven
Behauptungen. Dafs feine Theorie geeignet ift, fich in
der evangelifchen Gemeinde durchzufetzen, mufs ich dagegen
bezweifeln. Sie fleht nicht in Einklang mit der
reformatorifchen Predigt von der Rechtfertigung allein
durch den Glauben. Und ebenfo wenig wird fie dem
Wahrheitsmoment der alten Lehre gerecht. Das find aber
die Kriterien, an denen eine Neubildung der Lehre fich
ausweifen mufs. Doch darf das warmherzig gefchriebene
Büchlein, das fich auch vor manchen ähnlichen Erörterungen
durch begriffliche Klarheit auszeichnet, als anregende
Leetüre empfohlen werden.

Berlin. Kaftan.

Theologische Arbeiten aus dem Rheinischen wissenschaftlichen
Prediger-Verein. In Gemeinfchaft mit den übrigen Vorstandsmitgliedern
herausgegeben von D. Gräfe und
Lic. Simons. Neue Folge. Viertes Heft. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1900. (III, 124 S. gr. 8.) M. 5.—

Das vorliegende Heft interefürt befonders die Syfte-
matiker durch die Abhandlung von Niebergall .über
die Abfolutheit des Chriltenthums' und durch die Bemerkungen
zu diefem Auffatz, die Tröltfch unter dem
Titel ,über die hiftorifche und dogmatifche Methode der
Theologie' zufammenfafst. Vor wenigen Jahren hatte
Tröltfch mit Kaftan eine lebhafte Auseinanderfetzung
in der Zeitfchr. für Theol. und Kirche (1896, S. 373 ff.
1898, S. iff. u. S. 70ff). Niebergall fucht nun den Gegen-
fatz, der zwifchen Tröltfch und Kaftan vorliegt, deutlich
zu machen. Bei Tröltfch, fo fuhrt er aus, fleht in erfter
j Linie der Nachweis, dafs die Religionsgefchichte als eine
fortschreitende Offenbarung Gottes, und unter den bisher
aufgetretenen Religionen das Chriftentum als der Höhepunkt
der Entwickelung fich darftellt; nur auf diefer Unterlage
erhebt fich im Hintergrund noch der wiffenfehaftlich
unbeweisbare Glaube, dafs das Chriftentum auch für alle
Zukunft unüberbietbare Offenbarung Gottes felbft fei.
Bei Kaftan dagegen rückt an die erfte Stelle die aus
: dem Herzen und Gewiffen hervorgehende Anerkennung
| der in Jefu Chrifto uns gegebenen Offenbarung Gottes;
' erft auf Grund hiervon fucht er das Chriftentum auch
in einer religionsgefchichtlichen, genauer in einer ge-
fchichtsphilofophifchen Betrachtung als den vollendenden
Abfchlufs der Relionsgeschichte zu verftehen. Oer Gegen-
fatz beider Theologen hängt aber mit ihren philofophifchen
Anfchauungen zufammen: nach Tröltfch ift eine Metaphysik
des Geiftes, welche von dem Glauben an die Einheit
und Zielftrebigkeit des menfehlichen Geifteslebens geleitet
ift, wefentliche Vorausfetzung der Apologetik; er knüpft
damit an Hegel an. Kaftan dagegen ift ftärker von Kant's
Idee der praktifchen Vernunft beftimmt, nur dafs fie ihn
zur Schätzung der chriftlichen Offenbarung führt; er ergänzt
aber diefen praktifch begründeten Glauben durch
feine gefchichtsphilofophifche Betrachtung. Sowohl in
der Frageftellung als in der Beantwortung tritt Niebergall
auf Kaftan's Seite. Aber er führt Kaftan's Gedanken
felbftändig aus in der knappen, lebhaft geschriebenen
Skizze, in der er feine Löfung der apologetifchen Hauptfrage
vorlegt. Herrmann'fche Gedanken wirken dabei
mit Kaftan's Einflufs zufammen. — An die Spitze tritt eine
logifche Unterfuchung des Chriftentums und feines
Verhältniffes zu unferem praktifchen Geiftesleben. In
diefem macht ein abfoluter Werth fich geltend, der des
1 Sittlichen. Das Chriftentum aber ift ,ganz auf das Sittliche
zugefchnitten'; denn die Güter, die es anbietet, find nur
der fittlichen Perfönlichkeit verftändlich und werthvoll.
Hinwiederum findet das Sittliche im Chriftenthum feine
vollkommene Ergänzung. Diefe Ergänzung aber gefchieht
dadurch, dafs uns in Chriftus die Befriedigung unferer
höchften fittlichen Bedürfnifse, darin eine Erfchliefsung
und Mittheilung göttlichen Lebens, kurz Offenbarung
: Gottes felbft gegeben ift. Wir glauben an diefe Offen-
! barung; aber wir können wenigstens diefen Glauben uns
und anderen klar zu machen und Bedenken dagegen
abzuwehren verfuchen. Erft auf diefer Grundlage kann
dann weiter eine religionsgefchichtlicheVergleich-
! ung des Chriftenthums mit den beiden anderen miffio-
! nirenden Weltreligionen fich erheben; auch der theofo-
phifchen Religionsmengerei gegenüber läfst fich zeigen,
dafs diefe der fittlichen Perfönlichkeit nicht geben kann,
was fie bedarf, nämlich eine vergebende, heiligende,
das Reich Gottes verbürgende Offenbarung. Und endlich
fchliefst ein dritter Beweisgang fich an, der freilich
erft noch der praktifchen Vollendung entgegengeführt
werden mufs, der Beweis aus der Erfahrung der
Miffion: in ihr beginnt es wenigftens offenbar zu werden,