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Ausgabe:

1901 Nr. 1

Spalte:

9-13

Autor/Hrsg.:

Kunze, Johannes

Titel/Untertitel:

Glaubensregel, Heilige Schrift und Taufbekenntnis 1901

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 1.

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Selbft folche, welche die Glaubwürdigkeit der Apoftel-
gefchichte, namentlich in ihrem erften Theile, leugnen,
erkennen doch offen an, dafs fie von Lukas, dem Schüler
und Gefährten des Paulus, verfafst worden ift. Nun ver-
fichert aber Lukas im Eingang feines Evangeliums —
und diefe Worte gelten auch für die Apoftelgefchichte
— er habe alles von ihm Niedergefchriebene „von Anbeginn
forgfältig verfolgt und in Erfahrung gebracht".
Und wir wiffen auch, wie ihm dies möglich gewefen
ift, ... ja wir können entweder vermuten oder mit
ziemlicher Sicherheit beftimmen, woher er die einzelnen
Stücke in der erften Hälfte feiner Apoftelgefchichte
empfangen hat. . . Für jeden Vorurteilsfreien ift es demnach
klar, wie vorzüglich Lukas in den Stand gefetzt
war, ein in jeder Beziehung unanfechtbares Material für
die erften 12 Kapitel der Apoftelgefchichte zu fammeln'.

Wie danach die Darftellung im Einzelnen ausfällt,
ift ja leicht zu fehen und braucht wohl nicht erft durch
weitere Citate belegt zu werden. Ein zweiter Band foll
die apoftolifche Wirkfamkeit des Paulus bis zu feiner
Gefangenfchaft in Cäfarea nebft den Briefen an die
Theffalonicher, Korinther, Römer und Galater behandeln.

Halle a. S. . Carl Clemen.

Kunze, Dr. Johannes, Glaubensregel, Heilige Schrift und
Taufbekenntnis. Unterfuchungen über die dogmatifche
Autorität, ihr Werden und ihre Gefchichte, vornehmlich
in der alten Kirche. Leipzig, Dorff ling & Franke,
1899. (XII, 560 S. gr. 8.) M. 15.—

In meinem Werke über das apoftolifche Symbol
habe ich das oben bezeichnete von Kunze nur noch in
den Nachträgen unter der Rubrik ,Neuefte Litteratur'
kurz berühren können; II, S. 982fr. Ich habe dort getagt
, dafs ich mich des Erfcheinens diefes Werkes freue,
trotzdem, oder vielmehr weil es fich zu dem meinigen
(welches ja noch nicht vollftändig benutzt werden konnte)
durchweg gegnerifch ftellt. Denn es ift ein tüchtiges
Buch, voll guter, gediegener Gelehrfamkeit, gedankenreich
und fcharffinnig. Ein folches Werk begrüfse ich
gern und fehe in dem Verfaffer nicht fowohl einen
Concurrenten als einen Mitarbeiter, von dem ich nicht
zweifele, dafs er in Vielem wider mich recht haben
werde. Das Material der Gefchichte, die er und ich uns
aufzuhellen bemühen, ift ungemein reichhaltig und vieldeutig
. Es ift mit feinen Einzelheiten wie mit Mofaik-
fteinen oder den Glasftückchen in einem Kaleidofkop.
Man kann vielerlei finnvolle Geftalten daraus bilden.
Jede neue Drehung des Kaleidofkops ergiebt eine neue
intereffante Compofition. Wann es einmal gelingt rb
omfiäxiov T?jq ahjd-daq, die ,wahre Geftalt' nämlich das
richtige Gefchichtsbild, zu fixiren, fleht dahin, yielleicht
ift es Kunze annähernd beffer geglückt, wie mir. Das
haben Andere zu beurtheilen, und ift nicht von heute
auf morgen oder durch die nächften Recenfenten feines und
meines Buches auszumachen. Jedenfalls ift es mir ganz recht,
Widerfpruch gefunden zu haben. Ich hoffe ja, dafs
man auch meine Argumente in ihrem Zufammenhange
auf ftch wirken laffen wird. Wenn ich etwas gegen
Kunze einzuwenden habe, fo ift es, dafs er mich eigentlich
nirgends in meiner Weife zu Worte kommen läfst.
Er hat es nicht nöthig gefunden, zufammenhängend und
wenigftens im Referat wohlwollend, d. h. Alles berück-
ftchtigend, meine Anfchauungen feinen Lefern dar-
zuftellen. Ich erfcheine faft nur auf der Bildfläche, wo
Kunze mir etwas anzuhängen hat. Dafs ich auch
Gründe für meine Betrachtung habe, das Material, auf
welches Kunze fich ftützt, meift vollftändig kenne, erfahrt
der Lefer feiten. Aber Kunze rechnet gewifs mit
Recht nur auf intelligente Lefer, die auch noch mehr
willen, als was fie von ihm erfahren und die auch mir
nicht ohne Weiteres Unwiffenheit, Quellenunkenntnifs

und Neigung zu abfonderlicher Auffaffung zutrauen. Es
ift mir nicht allzu wichtig, wieweit ich wohl Recht behalte.
Wichtiger ift, dafs noch nichts auf dem Gebiete der
Symbolforfchung — foweit die Urgefchichte des Symbols
in Betracht kommt — als ausgemacht behandelt werde.

Es ift nicht leicht hier in der leider ftrict gebotenen
Kürze über K. ausreichend zu referiren. Alle Schwierigkeiten
liegen im Detail, in den ,Deutungen'. K. ift fo
glücklich wie ich, eine Reihe von .Anflehten' zu befitzen,
ja auch ein Panorama zeigen zu können. Ich kann hier
wohl nur andeuten, wie letzteres bei ihm fich ausnimmt und
wie es kommt, dafs für mich eben alles mehr oder weniger
,anders' ausfieht. Ich will doch fogleich betonen, dafs es
fich mehr fcheinbar als wirklich um runde Gegenfätze
handelt. Grofsentheils zeigt K.'s Bild doch nur Ver-
fchiebungen neben meinem.

K. formulirt felbft wiederholt, was feine Auffaffung
von der ,GlaubensregeP fei. Sein wichtigftes Refultat ift,
dafs unter diefem Titel von Seiten der Kirche ,das
Apoftolifche' fixirt worden fei. Das Apoftolifche Hellte
fich, als die Kirche erft Anlafs hatte — gegenüber von
Gnofis und Marcionitismus — fich darüber Rechenfchaft
zu geben, vor allem dar in den vorhandenen heiligen
Schriften und Taufbekenntnifsen. Diefe beiden Gröfsen
find ein Befitz der Kirche feit fo ziemlich ihrem Anfange,
ficher feit der erften nachapoftolifch.cn Zeit. Aber beide
hatten noch nicht den Charakter mechanifcher ,Ab-
gefchloffenheit'. Im wefentlichen hatte man allenthalben
in der Kirche diefelbe Sammlung von (nicht nur alt-
teftamentlichen, fondern auch neuteftamentlichen) -/QarpaL
Und ebenfo taufte man überall auf ein Bekenntnifs von
derfelben Grundveranlagung, d. h. fo etwa wie R (alt-
römifches Symbolum). Als man eines xavmv xlq moxtmq
bedürftig wurde, entftanden relative Gegenfätze. Das
Tauf bekenntnifs war die knappfte Summe des Gehaltes
der h. Schriften, es kam immer dann am eheften in
Betracht, wenn man kurz materiell formuliren wollte, was
die Kirche glaube. Im Blicke auf die Schriften konnte
man es dann .ausftreichen', je nachdem es die polemifche
Situation erforderte. Man konnte es umgekehrt auch
jeden Augenblick noch verkürzen, in dem man es auf
feine Grundlage, das blofse dreifache övojia der Taufformel
contrahirte. Es giebt Theologen, die lieber mit
dem Symbol wider die Härefie operirten, und folche, die
lieber fich immer an die Schriften felbft hielten. Unter
jenen ift vor allem Tertullian zu nennen, der mit der Zeit
Schule machte. Unter diefen etwa Clemens von Alexandrien
und Origenes. Auch die erften Gegner der Kirche,
die Gnoftiker und Marcioniten, hatten die heiligen Schriften
und das Symbol. Jedenfalls die Gnoftiker, die Valen-
tinianer. Sie hatten nicht etwa andere Schriften, tauften
auch nicht anders als die Kirche, weder das dreifache
ovoiua kam bei ihrer Taufe zu kurz, noch verwendeten
fie ein anderes Bekenntnifs: ,Connmi 11cm fidetn offiiincinl',
das bezeugt ausdrücklich Tertullian von ihnen und das
wird auch indirect überall klar. Das Capitel, worin K.
die Stellung der Gnoftiker und Marcion's in der Gefchichte
der .Glaubensregel' behandelt, ift mir befonders intereffant
und lehrreich gewefen. K. hat mit gediegenen Studien
über den Gnofticismus feine literarifche Thätigkeit begonnen
, und was er hier bietet, ift eine würdige Fortfetzung.
Soweit feine Unterfuchungen die heiligen Schriften, die
fog. .Kanonsgefchichte' betreffen, überlaffe ich fie den
neuteftamentlichen Forfchern. In den Hauptfachen Zahn
zuftimmend, bietet K. auch da im einzelnen viel eigene
Beobachtungen. Doch kann ich das weniger controliren.
Was die Kirche den Häretikern gegenüber betonte, war
im wefentlichen zweierlei, einmal dafs keine Geheimtradition
neben der öffentlichen Schrifttradition gelte, dafs
man an den vorhandenen, im Gottesdienfte zur Verlefung
kommenden yparpai den ganzen Schatz apoftolifcher
Lehrtradition habe, fodann dafs das Symbol in feinem
fchlichten Wortfinn jedem ein Wegweifer fein könne, was

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