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Ausgabe:

1901 Nr. 1

Spalte:

8-9

Autor/Hrsg.:

Albrecht, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die ersten fünfzehn Jahre der christlichen Kirche 1901

Rezensent:

Clemen, Carl

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 1.

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Ja, woran denn? Antwort: Daran, dafs der Chrift auf
Erden, trotz feiner viod-söta, noch feufzen mufs! !

Viel weniger als (im Wefentlichen) der Exegefe B.'s
können wir feinen biblifch-theologifchen Erhebungen und
,Ergebnifsen' beiftimmen. Die Behauptung, zwar, dafs
die n. t. Männer alle darüber einig find, dafs der Gläubige
feinen Antheil an den Gnadengütern innerlich erlebt und
in allen Stufen feiner Entwickelung als .individuelle Wirklichkeit
' in fich .erfährt', unterfchreiben wir unbedingt.
Auch das kann, richtig verflanden, noch zugegeben werden
, dafs ,der Heilsbefitz des Chriften' nichtausfchliefs-
lich in feinem Innern — — hegt, keine blofs innere

Gefchichte ift,--fondern auch .objectiveBeziehungen

zu Gott' (z. B. das Rechtfertigungs-Urtheil Gottes) ,in fich
fchliefst' (S. 243). Wenn B. dann aber weiter argumentirt:
das ,unmittelbare Erleben des Chriften' bleibe hinter
dem, durch .gegenwärtige und zukünftige, immanente und
transcendete Gnadengaben' gefpeiften, viel reicheren und
gröfseren ,Heilsftande' immer zurück (S. 244), und
wenn er zufügt: der Menfch vergewiffere fich feines
Gnadenftandes ,nur durch ein Glauben, welches — —
auch ohne unmittelbare Erfahrungen, ja unterUmftänden
im Gegenfatz zu ihnen feiner Sache gewifs ift (eben-
daf.): fo find das Behauptungen, die ebenfo dem N. T.
wie der Natur der Sache widerfprechen.

Um den erfteren Funkt — bei einem ,Beitrage zur
neuteftamentlichen Theologie' die Hauptfache — voll zu
erweifen, müfsten wir eigentlich eine Gegenfchrift fchreiben;
hier müffen aber ein paar Stichproben genügen, die
wir dem 1. Petrusbriefe entnehmen.

In 4, 14 foll der Chrift ,fchon in der Gegenwart mehr
vom Heile befitzen, als was ihm zur Erfahrung kommt'
(S. 31). In Wirklichkeit aber fagt die Stelle: ,Ihr feid
feiig, weil ihr im Geilte bereits gegenwärtig einenTheil
der künftigen Herrlichkeit, und damit das Unterpfand
der ewigen ö6S,a empfangen habt (Kühl, d. 1. Ptr. Br.,
S. 268f.). In 1, 1 ff. greift ja gewifs der Chrift ,mit feinem
Hoffen in eine transcendente Welt von Perfonen und
Dingen hinein', aber doch nur, weil er ,in fchon vorliegender
Heilserfahrung eine Bürgfchaft für fortgehende
göttliche Bewahrung befitzt' (Bachm., S. 33).
In 5, 10 endlich ift nicht ,die himmlifche Herrlichkeit,

--alfo der jetzt noch transfubjective Heilsbefitz

ein Unterpfand' für das Unverfehrtbleiben des gegenwärtigen
Heilsftandes' (S. 33), fondern: der von der
perfönlichen Heilserfahrung erlebte gnädige (zum
Heile in Chrifto berufende) Gott verbürgt auch die Heils-
Vollendung nach kurzer Leidenszeit.

Ebenfowenig als B. erweifen kann, dafs bei Einführung
einer ,transcendenten Welt von Perfonen und Dingen' das
Gebiet perfönlicher Heilserfahrung verlaffen fei, gleich
wenig ift fein Nachweis dafür geglückt, dafs bei dem
directen .Recurs des Glaubens auf die Heilsgefchichte
und die Heilsfactoren' der Glaube ,das Gebiet des per-
fönlich Erfahrbaren kühn überschreite und fich in
den weiten Bereich der transfubjectiven Wahrheit
mit freier Gewifsheit erhebe' (S. 39). Denn bei allen hier
einfchlägigen Stellen (1. Petr. 1, ioff.; 3, 18; 2, 24T.; 1, 18;
1, 3 und 3, 21; I, 21) vergifst B., dafs das Evangelium nicht
als blofse Lehre, nicht als eine ifolirte rein ideale
Gröfse, fondern als eine überwältigend grofse gefchicht-
licheGröfse undKunde mit gefchichtlichen Voraus-
fetzungen und Begleiterfcheinungen und als ein gefchicht-
lich fortwirkender Kraft-Factor in unmittelbarem
Contact und mit gefchichtlich-einheitlicher Kraftwirkung
an die ,perfönliche Erfahrung' der Lefer herangetreten
ift und — nach dem Grundgefetze aller Heilserlangung
: ccga rj jiioriq dxorjq, r) de äxorj öia Qr/fiarog
Xqiotov, Rom. 10, 17 — in den empfänglichen Seelen
,Glauben' gewirkt hat. Und um noch zwei fpecielle Punkte
zu erwähnen, fo ift der Glaube an den Heilstod Chrifti
nicht in .freier', von der perfönlichen Erfahrung losgelöfter
Bewegung, fondern daraus entftanden, dafs bei der

j evangelifchen Predigt der gekreuzigte Chriftus in der Fülle
feiner die Herzen überwältigen den erbarmenden Liebe
den Lefern ,vor die Augen gemalt' wurde. Und ebenfo
kann die .Auferftehung' infoweit Gegenftand perfönlicher
Heilserfahrung und Grund der lebendigen Hoffnung
für die Chriften (1. Petr. 1, 3; 3, 18. 21) fein, als der aus
der ev. Predigt hervorgehende Glaube es mit einem
.kraftvoll fortwirkenden', .lebendig und wirkfam gegenwärtigen
' Heiland (vgl. S. 39) zu thun hat.

Die n. t. Männer fchieben alfo nicht, wie B. ihnen
fälfchlich und contra naturam rerum imputirt, dem Heilsglauben
ein bereits mitgebrachtes, aber nicht erlebtes
und erfahrenes (alfo intellectuell-autoritatives!)
.Glaüben', eine Art von Vorglauben vor, fondern fie
erkennen nur dem den Werth des .Glaubens' zu, was fich
als unmittelbare Wirkung der ccxorj auf dem Wege der
perfönlichen Erfahrung ergiebt. Sie legen die elektrifche
Kette, die zur Glaubenserzeugung wirkt, nicht ein Stück
von der Hand des Menfchen weg, fondern in die Hand

j des Menfchen hinein. Hiermit wird die Wahrheit über
Chriftum und fein Werk gewifs nicht ,vom perfönlichen
Erleben des Chriften aus conftruirt' (S. 245), aber wohl
zu demfelben in unmittelbare Beziehung gefetzt und
hinwiederum auch je und je rückwärts neu erfchloffen.
Mag der .Werth' der Perfon und des Werkes Chrifti
immerhin feftftehen ,auch ohne' die und ,fchon vor'
der perfönlichen Erfahrung (S 244L): für mich, den
Glaubenden, exiftirt diefer .Werth' erft vom Moment des
perfönlichen .Erlebens' an und nur foweit, als fich die ob-

1 jectiven Realitäten der Gefchichte in die perfönliche
Heilserfahrung um- und einfchmelzen laffen. Einen .Heilsbefitz
' aber für den Chriften ohne perfönliche Heilserfahrung
giebt es nicht und kann es nicht geben, weil

j ein innerer Befitz eine Ueberzeugung, eine Ueberzeugung
aber ein .unmittelbares Erleben' vorausfetzt. Ein
,Glauben' aber, das ohne innere Erfahrung zu Stande
kommt und im Voraus gewiffe Dinge anerkennt, ift, weil

I nicht aus dem Centrum der felbftverantwortlichen Perfön-

I lichkeit erwachfen, ein rein gegenftändliches, religiös
werthlofes Fürwahrhalten und Annehmen auf Autorität

| hin. Nicht ,freie Setzung' des Menfchen ift die Heilser-

i fahrung, fondern die menfchliche Antwort auf die denkbar
ftärkfte göttliche Kraft-Einwirkung (Rom. 1, 16; 10, 17).

Friedberg i. Heff. W. Weiffenbach.

Albrecht, Paft. Ludwig, Die ersten fünfzehn Jahre der
christlichen Kirche. München, C. H. Beck, 190x3. (XI,
276 S. gr. 8.) M. 3.—

.Meine Arbeit ift für ein gröfseres Publikum beftimmt,
nicht nur für den engen Kreis der Theologen. Jedoch
finden diefe in beigefügten Anmerkungen und Excurfen
eine nähere Begründung deffen, was im Texte als blofse
Behauptung aufgehellt, aber, um manche Lefer vielleicht
wenig intereffirende Erörterungen fernzuhalten, mit Abficht
nicht ausführlich dargelegt worden ift. Mir fchwebte
vor, eine Arbeit zu liefern, die mit forgfältiger Er-
forfchung des Einzelnen und einer vielfeitigen Scenerie
eine klare, allgemein verftändliche Darftellung im reinen
Stil echt biblifchen Glaubens verbindet'.

So hat der Verf. felbft fein Buch charakterifirt und
in der That für die, denen eigenes Studium unbequem
oder unmöglich ift und fein Standpunkt genügt, ein ganz
brauchbares Hilfsmittel gefchaffen. Welches jener fei,
ergiebt fich aus den nachftehenden Ausführungen der-
felben Vorrede über Wunder und Quellen.

,Bieten fchon die Kräfte der gegenwärtigen Welt
trotz aller grofsartigen Forfchungen und Entdeckungen
auf Schritt und Tritt fo viele ungelöfte Räthfel, ift es
da zu verwundern, dafs die übernatürlichen Kräfte,
welche durch Gottes Macht und Gnade aus der Ewigkeit
in diefe Zeitlichkeit herüberragen, für uns noch viel
geheimnifsvoller und unbegreiflicher find? . . .