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Ausgabe:

1901 Nr. 10

Spalte:

273-276

Autor/Hrsg.:

Schriften des Vereins für Kirchengeschichte Halle, M. Niemeyer

Titel/Untertitel:

1900. Nr. 66 u. 67 1901

Rezensent:

Köhler, Walther

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273

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 10.

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Perfönlichkeit Luthers es hinftellt, dafs ,wir einer der
feinigen nahe verwandten Auffaffung der Geftalten aus
der Patriarchenzeit noch vielfach bis auf den heutigen
Tag in Predigt und Unterricht begegnen', fo möchten
wir doch ein kräftiges .leider!' hinter diefe an fich richtige,
aber im Zufammenhang (S. 43) zu unverfänglich ausge-
fprochene Beobachtung fetzen. Luthers Auslegung desA.T.
ift für Unterricht und Predigt bis zur Gegenwart verhäng-
nifsvoll geworden; die Quälerei um den ,Glauben' der
Patriarchen fetzt fich hier fort — die Beifpiele find aus
vorliegender Unterfuchung mit Händen zu greifen —, und
helfen kann nur der Bruch mit Luthers Auslegungsprincip
und die Anknüpfung an den Humanismus, d. h. die hifto-
rifche Interpretation. —

Wie in feiner gröfseren Schrift über ,Luthers Lehre
vom Beruf hat E. nur den Text der Erlanger Ausgabe
benutzt und die Weimarer nicht berückfichtigt. Im vorliegenden
Falle ift das mehr wie Formfache. Die Weimarer
Ausgabe hat im 14. und 16. Bande (1895 bez. 1899
erfchienen) handfchriftliche Aufzeichnungen der Genesis-
und Exoduspredigten von Rörer und Roth mitgetheilt,
denen wahrfcheinlich die Aufzeichnungen auch anderer
Zuhörer beigemengt find (f. Weim. Ausg. XIV, S. 93).
Darnach fteht nunmehr zunächft feft, dafs die Genesispredigten
nicht, wie es bei E. auf dem Titelblatte heifst,
1524 begonnen wurden, fondern fchon 1523, und dafs
die ,Unterrichtung, wie fich die Chriften in Mofe fchicken
follen', erft nachträglich, in der Ausgabe von 1527,
den Genefispredigten als Einleitung vorausgeftellt wurde,
während fie urfprünglich ein Glied in der Serie der
Exoduspredigten war, das weiterhin 1526 zu einem Separatdruck
verarbeitet wurde. Ferner befitzen wir —
das hat der Ende 1900 erfchienene, aber in den genannten
Bänden fchon angekündigte Bd. 24 der W. A.
gezeigt, über deffen Ergebnifs E. ficherlich vom Bearbeiter
Auskunft erhalten hätte — die Genesis- und Exoduspredigten
nur in Nachfchriften. Und dabei fteht es
keineswegs fo, wie die E. A. (Bd. 33, S. 1) angiebt, dafs
die Nachfchriften den Text der Predigten wiedergeben,
,fo wie fie gehalten worden waren', vielmehr differiren
die Nachfchriften erheblich. Ein authentifcher Text
ift alfo überhaupt nicht da, auch läfst fich nicht
fagen, welche Nachfchrift die getreuefte ift. (S. jedoch
Bd. 16 der W. A. S. XI.) Dafs diefer Sachverhalt für
E.'s Unterfuchung nicht gleichgültig ift, liegt auf der
Hand. Eine fachliche Aenderung feiner Ergebnifse
wird, foweit ich nach Stichproben urtheilen kann, zwar
nicht eintreten, aber es ift doch mifslich, bei den vielen
Citaten fich fagen zu müffen, dafs ihre Faffung vermuth-
lich nicht von Luther ift. Hier hätten die Nachfchriften
verglichen, auch der lateinifche Text der Genefispredigten
, der keineswegs eine Ueberfetzung der deut-
fchen Ausgabe 1527 (fo E. A), vielmehr eine Arbeit
Stephan Roth's auf Grund vor Allem feiner eigenen
Nachfchriften höchft wahrfcheinlich ift (W. A. XXIV,
S. XV), herangezogen und dann immer wieder der fekun-
däre Charakter des Textes betont werden müffen.
Giefsen. W. Köhler.

Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Halle,
M.Niemeyer, 1900.(gr.8). Nr. 66(XVIII. Jahrg. r. Stck.).
Roth, Dr. F., Leonhard Kaifer, ein evangelifcher
Märtyrer aus dem Inn viertel. (III, 51 S.). M. 1.20

Nr. 67 (XVIII. Jahrg. 2. Stck.). Arnold, C. Fr., Die
Ausrottung des Proteftantismus in Salzburg
unter Erzbifchof Firmian und feinen Nachfolgern
. Ein Beitrag zur Kirchengefchichte des achtzehnten
Jahrhunderts. Erlte Hälfte. (VII, 102 S.).

M. 1.20

1. Es ift mit Freude zu begrüfsen, dals die Gefchichte
des Märtyrers Leonhard Kaifer, bisher fowohl in den

gleichzeitigen Drucken (f. darüber Enders: Luthers
Briefwechfel VI, Nr. 1167 und Cp. 4 vorliegender Schrift)
als auch in den Gefammtausgaben der Werke Luthers —
.Von Er. Lenhard Keifer . . . Eine feiige gefchicht' fehlt
in der Erlanger und Braunfchweiger Ausgabe — wie
auch in neuerer Darfteilung (vgl. Aurel Schmidt: L. Käfer
in: Ztfchr. f. allg. Gefchichte 1887) nicht leicht allgemein
zugänglich, nunmehr durch Roths Monographie weiteften
Kreifen erfchloffen wird. R's Darfteilung ift anfprechend
gefchrieben, unter erfchöpfender Behandlung des gedruckten
Materials und eingehender Beachtung der Zeit-
gefchichte in Bayern (vornehmlich im Anfchlufs an Riezler);
mit Recht ift namentlich die Entwicklung des Ketzerpro-
ceffes und der Ketzerverfolgung in Bayern im Reformationszeitalter
eingehend behandelt. Ungedrucktes Material
hat R. nicht ausfindig gemacht, Nachforfchungen im
K. Kreisarchiv für Oberbayern, im K. Geh. Haus- und
Staatsarchiv und im K. Allgemeinen Reichsarchiv waren
ergebnislos, (f. Vorwort). Ob nicht in Regensburg, dort
wo das ,lange Original' über Kaifers Widerruf von den
Pfafien ,geftellt' wurde, (S. 4) fich etwas finden liefse?
Auf den von Walther Z. K. G. XVIII. 230 f. aus einem
Bande der Jenaer Univerfitätsbibliothek nach einer Ab-
fchrift Rörers herausgegebenen, angeblich neuen und von
Luther in feinen Druck nicht aufgenommenen Brief kommt
R. nicht ausdrücklich zu reden. Derfelbe ift nämlich längft
bekannt und fteht trotz Walthers gegenteiliger Behauptung
dennoch in Luthers Druck (f. Walch: Luthers
Werke XXI, 187 f. dazu Roth. S. 13). Rörer hat ihn
wohl bei Luther gefehen und ihn fich abgefchrieben.
Dafs Luther noch mehr Material befafs als er drucken
liefs, folgt aus der von Roth angezogenen Stelle (S. 50,
Anm. 20) keineswegs. Uebrigens hat R. S. 20, Z. 19 v. u.
vergeffen, dafs Luther nur Herausgeber war, nicht Ver-
faffer. Es läfst fich weiterhin zeigen, dafs nicht Michael
Stiefel, wie R. und Walther annehmen, fondern Kaifers
Vetter, der identifch fein mufs mit dem im Berichte
genannten Vetter Erasmus Kaifer, Luther das Hauptmaterial
geliefert hat. Die Quellenfcheidung ift mit
ziemlicher Sicherheit zu vollziehen. Die ganze Erzählung
von den Bitten der Freunde Kaifers an die Adeligen
um feine Befreiung bis zur Verbrennung einfchl. ift von
einem Augenzeugen gefchrieben (ein kleines Stück wahrfcheinlich
ausgenommen f. u.), und zwar von einem der
Freunde felbft. Das geht nicht nur daraus hervor, dafs
die Thätigkeit der Freunde eingehendft gefchildert wird,
fondern vor Allem aus dem wiederholten Gebrauch der
erften Perfon, fei es Singularis, fei es Pluralis. Z. B.
heifst es: ,Da folches gefchehen, hat man die Freund-
fchaft für den Fürften und Prälaten . . . erfoddert. . .
und unfer (nämlich der Freundfchaft) begern . . . ver-
newet'. Oder: ,ich hab von keinem Menfchen kein
folchen Ernft und Inbrunftigkeit gefehen' . . . ,Ein Bepft-
licher Pfaff, den wir vor hetten hinweg gethan, war
wider bey im.' Das fchreibt Alles einer und derfelbe
Augenzeuge, Kaifers Freund. Stiefel aber war kein
Augenzeuge; man müfste alfo annehmen, dafs er fich
den Bericht von einem folchen verfchafft habe, um ihn
Luther zuzufenden. Doch warum diefer Umweg? Ein
Vetter Kaifers war nachweislich unter der .Freundfchaft'
und Augenzeuge (f. Walch a. a. O. S. 192), ein Vetter
Kaifers — zweifellos derfelbe — fchickt Luther eine
historia de Leonharde- Keifer (Enders a. a. O. VI 107,
dafs er nur Manufkripte Kaifers fandte, folgt aus Luthers
Worten nicht) — ergo ift er der Verfaffer des angegebenen
Stückes. Auf Stiefels Rechnung kämen dann
vor Allem die eingeftreuten Briefe an die Freunde
und wohl auch die Gefchichte Kaifers bis zu der Stelle,
wo die .eigene Handfchrift' Kaifers beginnt. Letztere
hatte der Vetter gefandt und zweifellos auch das ,Tefta-
ment' und den Troftbrief Luthers an Kaifer, der ihm,
wie er fagt (a. a. O. S. 213), .gebrochen und gelefen
wider zukomen' war. Luthers eigener Antheil an